derspecht

CoroNews 25.03.2020

Ein Beitrag, der endlich auch einige sehr vernünftige Aussagen enthält, den Autor aber leider offensichtlich immer noch überfordert. Daher liefert er sich Widersprüche, Zweifel und doch wieder viel Nebel, was letztlich suggeriert, niemand wisse gar nichts, jedenfalls nicht genau. Das ist falsch!

Vorab: Was ich hier zu erläutern versuche, entspricht exakt den qualitativen Aussagen von Wieler und Drosten, dem Hintergrundmaterial von Hopkins, den Papern der WHO sowie der EU und den allermeisten wissenschaftlichen Studien, die ich derzeit in meinen Uni-Datenbanken lesen kann. In der Wissenschaft gibt es viel weniger Dissens als in der Öffentlichkeit – und das hat leider mit der Überforderung unserer Medien zu tun, die solche und weit schlimmere Berichte liefern oder irgendwelchen „Medizinern“ eine Plattform zur Verbreitung wilder Thesen ohne Bezug zur aktuellen Forschung geben. Ferner werden in der Forschung aktuell sehr schnell alle möglichen Überlegungen und Thesen verteilt, um Geschwindigkeit in die Debatte zu bringen. Das ist richtig so, aber diese Paper gehören in den wissenschaftlichen Diskurs und nicht inkompetent kommentiert und bewertet in die Zeitung!

Das ist in einer Krise mehr als bedenklich, denn die Öffentlichkeit sollte sich auf die Wissenschaft verlassen können, um sich eine eigene Meinung zur Politik bilden zu können. So viel kann ich sagen: Wir können uns entgegen dem Chaos, das ich in den Medien und in der Folge leider auch in den sozialen Netzen feststelle, durchaus auf unsere Wissenschaft verlassen. Nur darf man nicht falsch verstehen, was Wissenschaft zum jetzigen Zeitpunkt leisten kann und was nicht. Ich verstehe jeden, der wissen möchte, wie es in den kommenden Wochen weiter geht, ob wir Bilder wie in Italien bei uns sehen, wie lange wir mit den laufenden Maßnahmen leben müssen – am liebsten eine Prognose, wie die Zahlen in einem Jahr aussehen, wann und wie wir das komplett vergessen können. Das kann die Wissenschaft (noch) nicht und leider wird Wieler in den Pressekonferenzen immer noch danach gefragt. Wenn er dann ausweichen muss, erzeugt das Unsicherheit und die Medien versuchen, diese Fragen anderweitig zu beantworten – oder sie lassen Leute sprechen, die das fahrlässig tun.

Wer sich derzeit wahrhaftig informieren möchte, muss leider akzeptieren, dass es bestimmte Antworten noch nicht gibt. Wer diese Antworten trotzdem sucht, wird allenfalls zufällig etwas von Wert finden. Es ist nicht leicht, in der Krise mit Unsicherheit zu leben – aber das wohnt einer Krise inne. Ich kann persönlich nur empfehlen, zwischen Wissen und Spekulation zu unterscheiden und lieber mit einer großen Portion nicht-Wissen zu leben. Das fühlt sich auf Dauer besser an, als alle paar Tage zu merken, dass man sich geirrt hat oder irgendeinem Wirrkopf gefolgt ist.

Damit zu den Dingen, die man von Tag zu Tag besser einschätzen kann: Tatsächlich gibt es inzwischen weltweit genug Datenmaterial für derzeit anzusetzende Schätzwerte zur anfänglichen Ausbreitung von COVID-19 und auch zur Sterblichkeit. Demnach repliziert sich die Krankheit anfangs im Mittel alle 5,2 Tage um Faktor 2,7, wenn man die Infektionsketten nicht durch Gegenmaßnahmen unterbricht. Ferner wird die mittlere Sterblichkeit tatsächlich Infizierter mit 0,5% geschätzt.

Alle diese Werte sind Durchschnitt und Schätzung! Die Replikation der Krankheit wird vermutlich von Bevölkerungsdichte, gesellschaftlichem Umgang, ggf. Klima und anderen Faktoren beeinflusst, die noch unbekannt sind. Die Sterblichkeit wird von der Altersstruktur und dem Gesundheitswesen – vor allem während der Spitzenlast – beeinflusst. Es wird also im Nachgang der Krise zu anderen Daten kommen, die auch regional unterschiedlich sind. Wenn ich hier von anzusetzenden Schätzwerten spreche, so ist damit gemeint, dass man diese Eckwerte zur Bewertung von Maßnahmen derzeit als ausreichend annehmen kann – und dafür sind sie auch genau genug. Momentan spielt es keine Rolle, hier über die Nachkommastellen zu räsonieren.

Warum spielt das keine Rolle? Was bedeuten diese Zahlen? Ist das viel oder wenig? Typisches Problem bei Exponentialfunktionen, denn diese Replikation heißt: Aus 100 Infizierten werden in einer Woche 380, in einem Monat 21.000 und in zwei Monaten 4,4 Millionen – sofern man die Infektionsketten nicht unterbindet bzw. reduziert. Bitte beachten: Das ist die anfängliche Replikation. In der Fläche läuft das nicht gradlinig weiter, die Ausbreitung ist durch den begrenzten Umgang jedes Einzelnen, durch regionale Barrieren, durch zunehmende Immunität etc. begrenzt. Es gibt auch bereits jetzt Studien, die das Geschehen in Wuhan und vor allem auf dem Kreuzfahrtschiff vor Japan untersuchen und der Frage nachgehen, warum sich auch unter sehr schwierigen Bedingungen viele Menschen nicht infiziert haben. Es macht also auch keinen Sinn, was leider als Weltuntergangsszenario ebenfalls passiert, diese Exponentialkurve ungebremst zu extrapolieren. Diese Pandemie hat natürliche Grenzen und das ist nicht die Gesamtzahl der Bevölkerung. Ob die – wie das RKI und andere angenommen haben – bei 60% der Bevölkerung liegt, spielt momentan keinerlei Rolle, denn da will niemand hin und mittels eines Impfstoffes passiert das hoffentlich ohnehin nicht.

Diese sehr steile und schnelle anfängliche Verbreitung ist neu und das ist auch momentan die größte Gefahr. Alleine deshalb ist Corona nicht mit der Influenza zu vergleichen. Die Ursachen werden im Detail gerade erforscht, aber es gibt auch hier zu den wichtigsten Punkten Konsens: Corona ist bereits sehr schnell, in Einzelfällen bereits nach zwei Tagen, im Durchschnitt geschätzt nach besagten 5,2 Tagen durch einen Infizierten übertragbar. Das ist meistens vor dem Zeitpunkt, zu dem man selbst Symptome entwickelt, wenn man die denn überhaupt bekommt. Das macht Corona für uns alle so „unsichtbar“ und es ist einerseits Grund für diese Geschwindigkeit, andererseits für die erforderlichen Eindämmungen. Im Zweifel muss jeder so handeln, als sei er infiziert. Das hat man aber als Empfehlung nicht ausreichend hinbekommen, weshalb wir nun (hoffentlich) überwiegend zuhause sitzen.

Sieht man diese anfängliche (modellhafte) Verbreitung, so ist klar, dass in Ländern, in denen das Virus bereits im Laufe des Januars/Februars epidemisch verbreitet wurde, tatsächlich eine Infiziertenzahl besteht, die man mit der zudem oft erst aufzubauenden Testkapazität nie mehr wirklich messen kann. Man läuft in solchen Fällen wochenlang hinter der tatsächlichen Welle her und kann deren Größe erst viel zu spät abschätzen. Vielleicht versteht jetzt jeder, dass es bei Corona tatsächlich in der Anfangsphase auf Tage ankommt, nicht auf Wochen – sonst ist die Sache längst zur Epidemie geworden. Es sollte auch klar werden, dass bereits 100 Fälle ein Alarmsignal sind und dass wir alle – auch ich – uns zuerst gewundert haben, warum das so ein großes Problem sein soll. Da kannte ich diese Mathematik noch nicht, mit diesen Raten muss mich keiner mehr überzeugen: Das Biest ist verteufelt schnell!

Wenn man nicht sofort reagiert, passiert das, was in Italien, Spanien und den USA offensichtlich passiert ist: Die ersten gemeldeten Fälle sind Todesopfer. Wie weit die Epidemie zu diesem Zeitpunkt bereits im Land ist, weiß bis heute niemand. Klar ist, dass der Todesfall bis zu sechs Wochen vorher ein Infizierter war – und gewiss nicht der einzige. Die oben genannten Zahlen zeigen, dass diese Zahl sogar siebenstellig sein kann, ja vermutlich ist oder bald wird.

In den „Meldezahlen“ werden wir das lange nicht zu sehen bekommen. Die oft zitierte Dunkelziffer ist also unklar, so lange die Epidemie läuft. Man kann sie ungefähr an den Opferzahlen abschätzen, aber auch das gehört in die Hände der Wissenschaftler. Die tragischerweise tödlich verlaufenden Fälle sind zeitlich und ursächlich viel zu unterschiedlich. Es gibt Fälle, bei denen der Tod in wenigen Tagen eintritt, bei anderen sind das sechs Wochen und mehr. Ohne diese Hintergrunddaten kann man den Verlauf der Opferzahlen nicht bewerten und leider beherzigen auch das die wenigsten.

Vielleicht versteht nun jeder, dass es sinnlos ist, irgendwelche absoluten Zahlen von x-Tausend mehr gemeldeten oder verstorbenen zu diskutieren oder gar zwischen den Ländern zu vergleichen. Ich kann nur von allen Quellen abraten, die immer noch solche absoluten Zahlen veröffentlichen. Das RKI dürfte diese Veröffentlichungsform inzwischen sehr bereuen, aber sie können es leider nicht mehr so leicht vom Tisch nehmen – der Aufschrei wäre erheblich.

Wie unsinnig die Sache mit den absoluten Zahlen ist, sieht man auch am Vergleich von Italien und Deutschland. Es könnte gut sein, dass Deutschland in wenigen Tagen mehr Infizierte meldet als Italien – bei deutlich weniger Fällen in Kliniken oder gar Todesfällen. Ich sehe jetzt schon die Interpretation, dass wir viel gesünder sind als die Italiener – und wohl auch die Chinesen, denn deren Infiziertenzahl werden wir definitiv in Kürze überschreiten. Hoffentlich schaut dann wirklich niemand mehr hin. Es ist bereits klar, dass man in diesen Ländern die Epidemie nachträglich durch Modellrechnungen korrigieren wird und dann werden wir vollkommen andere Zahlen bekommen. Für China wird derzeit der Faktor 10 gehandelt, für Italien ist der – das ist Mathematik – größer, für Spanien ebenfalls.

Was aber in viel geringerem Maße zu korrigieren sein wird, sind die Wachstumsraten! Die und nur die kann man in der aktuellen Phase nutzen, um Trends zu bewerten. Nicht mehr, nicht weniger. Klar ausgedrückt heißt das: Man kann sehr gut bewerten, ob es besser oder schlechter wird. Punkt.

Reale Zahlen, wie viele tatsächlich infiziert sind, was in den Krankenhäuser zu erwarten ist und auf welche Opferzahlen wir uns einzustellen haben, kann niemand derzeit seriös beantworten. Drosten erwartet in Kürze erste verwendbare mathematische Modelle, um solche Fragen zumindest anzunähern. In UK ist man damit vorgeprescht und hat diese 500.000 Todesopfer simuliert, falls man den Johnson-Plan der „Herdenimmunität“ verfolgt. Vermutlich haben die Wissenschafter das so früh gemacht, um ihren PM zu containen. Eigentlich ist das noch nicht ausgereift genug und daher sollten wir das hier auch nicht diskutieren. Droste und Kekulé lieferten sich im Anfang der Diskussion einen Schlagabtausch von 300.000 bis 500.000 Opfern für Deutschland – das war auch aus der Not heraus und wir sollten diese Zahlen vergessen. Das RKI wird bald ein „Tool“ haben, mit dem mehr geht als heute. Das müssen wir abwarten.

So lange geht es nur um die Wachstumsraten und die simple Antwort, ob es – in zwei bis drei Wochen – besser oder schlechter als heute wird. Mehr geht nun mal nicht, aber immerhin das, denn es ist für die Raten egal, ob ich die nur in einem Teil der Gesamtmenge messe – solange ich gleichmäßig messe und methodisch nicht zu viel ändere. Hier ist Deutschland nicht gut aufgestellt, denn das Meldewesen der Daten ist schlecht und unter Last wird es noch schlechter. Bei uns stauen sich Daten im Meldewesen und werden stoßweise nachgeschoben. Dadurch sind unsere Kurven solche Zickzack-Grafen, die zeigen, dass die tatsächliche Entwicklung erst nach vielen Tagen stabil zu erkennen ist. Ab einer gewissen Phase gibt es in der Realität kein Zickzack mehr, das sind Mess- bzw. Meldefehler – leider.

Wachstumsraten erkennt man zudem nur in logarithmischen Darstellungen, die auch tabellarischen Aufstellungen, wie der Spiegel sie macht, vorzuziehen sind. An Kurven kann man nämlich besser den Trend über mehrere Tage ablesen und darauf kommt es an: Erst, wenn sich die Rate stabil über mehrere Tage ändert, kann man von einem Trendwechsel sprechen.

Damit zur Interpretation und Lesart der Daten: Man sieht derzeit, dass es in Italien sehr stabil zu einem Trendwechsel der Rate von Neuinfektionen kommt. Da alles weitere, schwere Fälle in Krankenhäusern, längere Behandlungszeiten bei lebensgefährlichen Verläufen und leider Todesopfer oft wochenlang nachlaufen, heißt das nicht, dass wir zugleich entspanntere Bilder zu sehen bekommen, es heißt aber, dass die kommen werden! Zugleich – und das ist halt wichtig – ist es ein Beleg, dass die Maßnahmen funktionieren. Wie wir in Italien sehen, beginnt das frühestens nach einer Woche, stabil erst nach zwei. In Spanien deutet sich ebenfalls ein Trendwechsel an, aber leider auf einem deutlich höheren Niveau als in Italien, so dass es dort möglicherweise sogar noch schlimmer wird, aber in zwei bis drei Wochen besser als heute – wenn der Trendwechsel sich jetzt hält.

Für Frankreich, UK und Deutschland sieht man leider keinen Trendwechsel, es deutet sich allenfalls ein Rückgang an, aber der ist noch nicht stabil genug – nichts anderes hat Wieler heute gesagt. Wir wissen damit auch leider noch nicht, wo wir wirklich stehen. Noch ist es nicht ausgeschlossen, dass wir Italien nur hinterher laufen. Die Rückkehrer aus den Ländern sind noch nicht lange genug zurück, um dazu Entwarnung zu geben. In einigen Tagen wissen wir mehr und an der Stelle ist auch die anziehende Todesrate – von Experten – zu beobachten.

Leider ist die Entwicklung in den USA hingegen klar zu bewerten. Dort beschleunigen sich die Raten, es geht also in die falsche Richtung. Das ist zu einer bereits so weit entwickelten Phase der Ausbreitung ganz schlecht. Ich fürchte, die USA werden die biologischen Grenzen der Epidemie zumindest regional in Erfahrung bringen.

Dieser mal wieder lange Text ist weder als gute, noch als schlechte Nachricht zu werten. Es geht darum, Wissen von Spekulation zu trennen. Wieler sagt es jeden Tag: Diese Krankheit ist neu und wir wissen noch nicht viel darüber. Umso wichtiger ist es, dass, was wir wissen, richtig anzuwenden. Und wir werden von Tag zu Tag, von Woche zu Woche immer mehr wissen. So bewältigt man Krisen.

Wer mehr zu logarithmischen Darstellungen, möglichen Quellen und deren Nutzung erfahren möchte, findet das bei Markus Breuer oder auch hier bei mir. Wenn es mehr gute Quellen gibt, gerne hier kommentieren oder selbst posten – qualitative Information ist momentan rar. Wir brauchen mehr!!

https://www.welt.de/vermischtes/article206783949/Coronavirus-RKI-rechtfertigt-sich-und-haelt-sich-dann-konsequent-zurueck.html?fbclid=IwAR0MWNBkxGGCd6QB5qZkAjM4UxJWdWcdZra87U2xG709IemaywPQ3c76uRE

 

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