derspecht

CoroNews 27.03.2020

Auch heute habe ich mich wieder durch die Primärquellen im Uni-Netz und die von mir empfohlene Seite der EU zu den Corona-Zahlen informiert. Wie immer lese ich parallel die wichtigsten Medien und trolle mich durch Kommentarfelder in Posts, die bei mir erscheinen. Die Spannbreite wird immer größer, ich züchte mir eine wirklich interessante Filterblase heran. Aber auch in den Studien sowie in den Medien passiert einiges.

Zu den sozialen Netzen und dem leider überwiegend immer noch sinnfreien Nachrichtenstrom in den Medien: Der „Experte“ Wodarg ist überwiegend durch, gut so. Wer den jetzt noch zitiert, bekommt ordentlich Gegenwind. Lässt hoffen, dass der bald weg ist und nie wieder auftaucht. Verbreiteter sind leider immer noch die „Grippe-Experten“, die den Unterschied zwischen Jahres- und Tagesstatistiken, zwischen der Bewertung einer abgelaufenen und einer gerade angelaufenen Epidemie nicht verstehen.

Vor allem aber erkennen sie nicht die hinter Corona liegende Geschwindigkeit einer Verdopplungsrate alle zwei bis drei Tage bzw. der eigentlich dahinter liegenden Verdreifachung ca. alle fünf Tage: Also noch mal: Ohne Eindämmung werden – in der Anfangsphase – aus 100 Infizierten in einer Woche 380, in einem Monat 21.000 und in zwei Monaten 4,4 Millionen.

Diese Geschwindigkeit gibt es bei Influenza nicht, die ist gegen Corona eine lahme Ente. Wer nun trotzdem an die „wertvollen“ Statista-Daten denkt (bitte nicht dafür verwenden, fast alles Schrott!) und sagt, Italien habe doch immer noch weniger Corona- als Influenza-Opfer, dem sei neben dem Hinweis, dass Corona halt erst anfängt, noch mal die Geschwindigkeit vor Augen geführt: Kann durchaus sein, dass man Corona durch drastische und frühe Maßnahmen so gut einfängt, dass die Opferzahl sogar unter der Influenza bleibt. Darum geht es aber nicht: Influenza ist ein Traktor, wenn der zu schnell wird, kann man ihn einfangen. Corona ist ein Jet, wenn der einmal los gelassen wird, ist er weg. Mit anderen Worten: Handle ich bei Corona nur eine Woche zu spät, habe ich auf die Infektionszahlen einen solchen Faktor, dass ich mich vom Erwartungswert einer Influenza-Welle schon um das fast Vierfache entferne und bei zwei Monaten zögern um das 44.000-Fache.

Genau deshalb sind die Ideen von Johnson in UK und Rutte in NL, die „kontrollierte Herdenimmunität“, nicht machbar. Ein so schneller Prozess lässt sich nicht kontrollieren, der lässt sich allenfalls mit aller Kraft bremsen. Corona erzeugt mit dieser extrem hohen Geschwindigkeit Mengen klinisch erforderlicher Behandlungen (schwere Verläufe, nicht nur die viel diskutierten Intensivbetten), die kein Gesundheitssystem dieser Welt bewältigen kann – und das schließt übrigens jüngere Menschen ein, von denen in Italien, Spanien und Frankreich zwar relativ wenige, aber absolut sehr viele auf ein Krankenhaus angewiesen sind. Auch deren Fallzahlen wären bei einem „laufen lassen“ kaum noch zu bewältigen.

Was leider auch immer noch nicht aufhört, auch in den Medien nicht, sind sinnbefreite Vergleiche von Infektions- und Opferzahlen. Meldungen, dass die USA jetzt mehr Infizierte als China haben, waren vor zwei Wochen bereits abzusehen und es macht sie heute nicht wertvoller. Fragen, warum in Italien so viele, in Deutschland so wenige und in Schweden noch weniger Menschen sterben, sind ebenso dumm, wie die nicht tot zu kriegenden „Sterblichkeitsraten“, die in Tabellen munter weiter gepflegt werden. Alles Quatsch. Wie bereits mehrfach erwähnt, ist die Pandemie in den einzelnen Ländern in unterschiedlichem Stadium und die Dunkelziffern bei den Infizierten weichen erheblich ab. Wenn also irgendwo auf dieser Welt weniger Menschen sterben – egal, ob absolut oder prozentual – heißt das nur, dass die Krankheit dort in einem früheren Stadium ist oder/und dass die Testverfahren besser funktionieren, die Meldezahlen also genauer sind. Da wir das nicht wissen, heißt das: Vergleichen lässt sich das nicht!

Es ist eine Pandemie, der sich kein Land entziehen kann. Auch Russland nicht, die das nun erkennen, Ungarn übrigens auch nicht, über die USA muss man nichts mehr sagen. Es ist weltweit dieselbe Krankheit und die läuft wie ein Uhrwerk überall gleich. Sie erzeugt ferner sehr ähnliche Raten an schweren Verläufen und auch an Todesopfern. Es wird sich erst in einigen Jahren zeigen, welche lokalen Umweltbedingungen (Altersstruktur, Bevölkerungsdichte, gesellschaftlicher Umgang, Qualität der klinischen Versorgung) diese Raten beeinflussen.

Natürlich macht es einen Unterschied, ob die Bevölkerung deutlich älter ist, eine Gesellschaft mehr oder weniger engen Kontakt pflegt und ob ein Gesundheitssystem wie jetzt auch im Elsass ganze Patientengruppen von einer Behandlung ausschließen muss. Auch Tourismus – dazu gehören neben den Gästen aber auch die Heimkehrer – dürfte eine Rolle spielen.

Das sind aber im Vergleich zu dieser enormen Ausbreitungsgeschwindigkeit Parameter, die man derzeit schlicht vernachlässigen kann. Wenn ich an „Experten“ wie ausgerechnet den Ärztepräsidenten Montgomery denke, der vor wenigen Tagen noch räsonierte, die Italiener seien alt, die Luft sei da so schlecht, Atemwegserkrankungen so häufig und das Gesundheitssystem sei chronisch überfordert – er sprach übrigens davon, dass die Italiener „wie die Fliegen“ sterben -, so graut es mich heute noch. Inzwischen sind solche Zustände in Spanien und lokal, im Elsass, auch in Frankreich eingetreten. Spätestens das Elsass sollte uns mahnen, denn das ist unseren Voraussetzungen, inklusive Gesundheitssystem, sehr ähnlich.

Montgomery ist übrigens qua seines Amtes gerade damit beschäftigt, für Deutschland ethische und formale Richtlinien zu vereinbaren, unter welchen Bedingungen Ärzte Patienten von einer Behandlung ausschließen. Triage heißt das und der Herr lässt sich mit dem Satz zitieren „Niemand darf aus dem Bauch heraus über Leben und Tod entscheiden“. Womit allerdings der Bauch gemeint ist, denn dass solche Entscheidungen auch bei uns möglicherweise erforderlich werden, wird gerade vorbereitet.

Das ist auch richtig so, denn wenngleich es immer noch so aussieht, dass wir in der Fläche mit einer Welle zu rechnen haben, die wir so gerade noch bewältigen, muss man sich darauf vorbereiten, falls das nicht gelingt. Wenn ich die Aussagen und Vorbereitungen richtig interpretiere, wird es regional sehr eng.

Was wir also aus den nun wirklich ausreichenden Daten erkennen müssen: Diese anfängliche Replikationsrate ist valide genug ablesbar, so dass sie als Grundlage für unsere Entscheidungen dienen muss. Die tatsächlichen Verläufe in den Ländern werden nicht wegen irgendwelcher Umweltbedingungen unterschiedlich sein, sondern überwiegend eine schonungslose Sicht auf Zeitpunkt und Umfang der Eindämmungsmaßnahmen erlauben.

Wie spät oder wie rechtzeitig wir die Bremse gefunden haben, dürfte sich in der kommenden Woche zeigen. Es sieht wie gesagt nicht so schlecht aus, wie diese FAZ-Meldung es zum Ausdruck bringt. Ich teile die hier im Wesentlichen deshalb, weil selbst heute noch diese Influenza-Vergleiche herum gehen oder Beruhigungspillen, dass bei uns doch jedes Jahr 1.000 Menschen an allem möglichen anderen sterben.

Wenn wir großes Glück haben, läuft die erste Welle ohne Triage über uns. Ich teile so einen Beitrag auch deshalb, weil sich hoffentlich dann nicht alle möglichen „Influenza“-Bestätiger zu Wort melden. Ich denke, die Notwendigkeit solcher Vorüberlegungen in der Ärzteschaft macht deutlich, wie eng es ist und wie wichtig der Shutdown war.

 

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