derspecht

CoroNews 08.04.2020

Die Tage verbrennen derzeit, führe immer noch so viele Debatten parallel und muss mich jetzt auch noch zwischendurch anwaltlich beraten lassen – hatte darüber heute Mittag berichtet. Es tut mir leid, dass ich ausgerechnet auf die Kommentare und Dialoge auf meiner eigenen Seite nicht immer eingehen kann. Ich hole das nach!

Die Diskussion in den Medien wird leider nicht besser, sie kommt nun nur auf eine andere Ebene. Als alter Hase in dem Bereich kann ich schon ahnen, was folgt: Nach den ganzen Fragen, ob Covid-19 denn wirklich so schlimm ist, dreht sich nun der Wind in die Richtung wie fürchterlich es wohl kommen wird. Parallel werden kritische Debatten über Versäumnisse und Schuld kommen. Wundert euch nicht, wenn dieselben Medien, die teilweise sogar heute noch bezweifeln, dass der Lockdown angemessen war, in ein paar Tagen darüber berichten werden, dass der viel zu spät kam. Und wer Schuld hat und so weiter.

Zugleich nimmt der Diskurs über die ökonomischen Folgen/Gegenmaßnahmen zu. Ausgerechnet mein Fachgebiet und ich habe noch immer keine Zeit dafür. Was ich bisher so „aufquellen“ sehe, macht mich zur Qualität der kommenden Berichte nicht zum Optimisten. Besser als die virologischen „Experten-Runden“ werden die ökonomischen wohl nicht werden.

Der Spagat für den geschätzten Leser oder den Genießer einer weiteren LanzIllner´schen Runde über die Lage der Weltwirtschaft wird größer. Die Bandbreite wird sich von „wir werden alle sterben“ bis zu „wir werden alle verarmen“ bewegen. Die Vorschläge der „Experten“ dürften von „alle einsperren“ bis zu „alles wie früher aber mehr Sauerstoffpumpen“ reichen, jeweils belegt durch Statistiken, ob der Tod durch Covid-19 oder durch Hunger sich gerade mal wieder aus den aktuellen (aber selbstverständlich schlechten!) Zahlen „evidenter“ ableiten lässt. Ich weiß, war mal wieder Sarkasmus.

Ein so unfassbares (!) öffentliches Chaos habe ich trotz meiner 30 Jahre in dem Bereich noch nie erlebt! Es ist selbst für einen Profi wahnsinnig schwer, Orientierung zu finden. Das ist aus meiner Sicht eine große Gefahr in dieser Krise, die – das wird wohl jeder so langsam erkennen – gerade erst begonnen hat. Es ist diese Gefahr, die mich hier „verleitet“, jeden Tag meinen kleinen Versuch an Orientierung zu leisten. Ich bitte wirklich jeden, der dazu etwas beitragen kann, es genauso zu machen.

Viele Dinge kann man ohne Fachwissen mit einem kritischen Verstand und einem geschulten Auge beim Lesen zwischen den Zeilen ganz gut bewerten, aber es ist nachvollziehbar, dass es irgendwann eine Frage des Vertrauens ist. Ich bekomme immer noch teilweise sehr drastische Zuschriften, ich solle das gefälligst den Medizinern überlassen. Das ist für mich in Ordnung, aber bitte keine Hinweise mehr, dass ich kein Arzt sei und auch kein Professor. Wenigstens die Kenntnis meines eigenen Lebenslaufs darf man mir zutrauen – OK?

Ich werde auch zunehmend gedrängt, ich solle endlich meine „Methoden“ offen legen und woher meine Erkenntnisse stammen. Finde ich merkwürdig, weiß nicht, wie lange Texte ich denn noch schreiben soll, mein Profil ist öffentlich? Aber gerne: Ich habe eine mathematische Grundausbildung, war im Verlagsumfeld mal als Chefredakteur und Geschäftsführer unterwegs, habe finanzmathematische Algorithmen für Banken und Versicherungen entwickelt, bin heute als kleiner Dozent in Forschung und Lehre im Bereich Medien/VWL tätig, an einem kleinen Gesundheitsunternehmen beteiligt (immerhin) und Aufsichtsrat in einer Forschungsgesellschaft aus den Bereichen Bigdata/Data Analytics. Außerdem quatsche und schreibe ich hier und da, unter anderem an einem Buch zum Finanzsystem und zur Digitalisierung, das ich nun gepflegt in die Tonne treten kann – übrigens nicht, weil es falsch wäre, es wird vielmehr gerade mit einer wöchentlichen Verdopplungsrate „in Realitas“ weiter geschrieben – so schnell kann ich aber nicht tippen.

Mir muss niemand folgen, vielleicht nimmt man mir als ehemals Verantwortlichem für einige Medien aber wenigstens ein paar „Gebrauchsanweisungen“ ab:

Erstens: Einen Bericht, in dem ein Journalist keine eigene und sehr gut begründete Wertung leistet, kann man wegwerfen. Der fragliche Journalist hat keine Ahnung und ist im Zweifel schon bei der Weitergabe seiner Quelle überfordert. Erkennbar sind diese Berichte daran, dass fast nur oder zumindest an den relevanten Stellen mit Zitaten gearbeitet wird. Damit machen Journalisten sich gerne vom Hof, wenn sie selbst nicht so richtig wissen, was Sache ist. Falls man die zitierten Quellen interessant findet, bitte diesen direkt nachgehen. Ein Bericht, der mehrere Quellen gegeneinander stellt oder gar ein Sammelsurium mehrerer zusammenstellt, ohne zu einem gut begründeten und nachvollziehbaren Fazit zu kommen, sollte denselben Weg nehmen. Gerne den Quellen folgen, nicht dem Bericht. Dasselbe gilt für Plattformen, die zeitgleich alles Mögliche durcheinander berichten. Das ist zwar für Meinungsfreiheit toll, dient aber nicht dem, was man derzeit gerne hätte: Orientierung. Es sollte auch in diesen Zeiten den Chefredaktionen gelingen, zwischen Meinungsfreiheit und Orientierung eine bessere Balance zu finden. Das könnte beispielsweise durch das Prinzip „weniger ist mehr“ klappen. Plattformen, die sich momentan mit besonders vielen und zugleich besonders vielfältigen Meldungen hervortun, sollte man vorerst skeptisch begegnen.

Zweitens: Auch, wenn das hier immer anders klingt: Es gibt guten Journalismus, sehr guten! Man muss ihn aber finden und erkennen. Leider – und das tut einem Aussteiger aus der Branche wirklich weh – funktioniert das nicht mehr durch die Wahl der Plattform. Findet man aber einen für sich guten Beitrag, empfehle ich dringend, dem Autor zu folgen. Man wird dort mehr Wert finden, als nur der Plattform zu folgen. Es ist die Zeit der Autoren, nicht die der Medien! Das gilt für alle, auch für die Öffentlich Rechtlichen.

Drittens: Sobald man sich eine eigene Meinung gebildet hat, sollte man den Konsum von Berichten anderer Meinungen dringend hoch fahren! Nichts macht schneller blind als die ständige Vertiefung einer bestehenden Sicht. Wer die braucht, sollte daran sogar besonders zweifeln.

Viertens: Ausgesprochen kurze und plakative Erklärungen sind der Tod des Wissens. „Corona ganz einfach“-Statements aller Art und Talkshows aller Art sind deshalb: Strikt verboten!

Fünftens: „Experten“, die alles wissen, sind gefährlich. Niemandem folgen, der alle Fragen beantwortet. Das Vertrauen gehört denen, die auch mal den schwierigen Satz sagen: Ich weiß es nicht. Im Verlaufe der Krise sollten die Experten unser Vertrauen genießen, die einen noch schwierigeren Satz sagen: Ich habe mich geirrt.

Damit zu den Zahlen und vorab gerne nochmal die gewünschte Erläuterung: Ich nutze eine Modellierungsmethode aus dem Umfeld Bigdata/Data-Analytics, die ich vereinfacht ausgedrückt als eine „selbstadaptive Statistik“ bezeichnen möchte. Das Modell sucht also in den Pandemieverläufen nach möglichst stabilen Mustern, um diese zu erklären. Das kann man machen, wenn man sehr kritisch darauf achtet, bei welchen Daten es funktioniert und bei welchen nicht. Ich kann daher beispielsweise zu regionalen Entwicklungen nichts beitragen, die Methode würde gehen, aber es sind zu wenige Daten mit zu vielen Störfaktoren.

Ebenso möchte ich wieder auf Markus Breuer verweisen, der mit sehr klaren und sauberen statistischen Methoden arbeitet. Seine Bewertungen und meine laufen bisher nach einigen Tagen/Wochen immer zusammen und seine Methoden finden Trendwechsel früher als meine. Insofern arbeitet er bisher besser! Man kann ihn als den schnellen Realisten und mich als den konservativen Zweifler nutzen.

Was die Zahlen betrifft, muss ich leider wieder mit Medien-Schelte beginnen, die zwei Kollegen aus der Ökonmie ebenfalls trifft. Es gibt eine Studie der Uni Göttingen, die gerade mal wieder die Welle macht. Alle Medienberichte, die ich gesehen habe – um nicht mal wieder den Spiegel alleine in die Pfanne zu hauen – sind weitgehend Irrlichterei. Es geht um eine Hochrechnung der tatsächlich Infizierten. Ich greife das nur auf, weil diese Frage selbstverständlich wichtig ist, sie wurde bisher mit diesen ach so wichtigen Stichproben-Tests im Feld verbunden, die uns endlich „Klarheit“ in die bedrohlichen „Dunkeziffern“ bringen, ohne die wir „nichts wissen“. Wenn ich das hilflose Dilettieren mit den Göttingen-Zahlen nun sehe, freue ich mich jetzt schon auf die Testergebnisse.

Nur kurz: Die Kollegen aus Göttingen – Ökonomen – haben ein kleines Rechenspielchen gemacht, das ich auch seit ein paar Tagen anstelle – ich schreibe aber nicht darüber. Es geht in der Substanz darum, eine vermutet bekannte tatsächliche Sterberate zu nutzen, um aus den genaueren Sterbezahlen die Infiziertenzahl zu schätzen.

Nun ist das derzeit nicht möglich, weil die Entwicklung der Pandemie überall in einem unterschiedlichen Stadium ist, weil aus klinischen Studien tatsächliche Sterberaten zwischen 0,3% und 2,5% gemeldet werden und weil die Sterbezahlen überall unterschiedlich festgestellt werden. Die Göttingen wissen das auch, es findet sich in den Erläuterungen zur Methodik alles vollkommen korrekt, das ist wissenschaftlich nicht angreifbar – es macht zugleich deutlich, dass dieses Rechenspielchen viel zu sehr streut, um es jetzt zu machen. Aber die Studie war vermutlich an einem halben Tag gemacht, dann haut man sie an die Presse raus und schon gibt es dutzende Meldungen mit Nennung des „Centre for Modern Indian Studies“. Die wird es sonst nicht soooo oft geben und ja, Wissenschaft macht auch Marketing, aber Marketing ist nicht Wissenschaft. Traurig.

Schaut man auf die Methodik und die genutzten Daten, ist klar, dass die Ergebnisse wahnsinnig streuen und die Validität der Studie eigentlich widerlegen. Ich möchte daher auch nur einen Punkt nennen, zu dem ich in meiner Rechnung auch gekommen bin: Die Studie weist grob ca. 10% – 13% der Bevölkerung als maximalen Durchseuchungsgrad in der Gesamtbevölkerung aus. Dass Covid-19 längst im siebenstelligen Bereich ist, hatte ich vor einigen Tagen schon geschrieben, das wird nun hauptsächlich in den Teasern der Medien verbreitet – null Neuigkeit!

Wichtiger ist der Durchseuchungsgrad, der hier für die Türkei und Spanien am höchsten ausgewiesen wird. Lassen wir die Länder mal, dass er dort, wo es am schlimmsten zuging, wohl am höchsten ist, mag nicht so wirklich überraschen. Wenn wir aber selbst dort „nur“ um die 10% haben sollten, ist das für mich ein weiteres Indiz, dass „Herdenimmunität“ als Strategie unverantwortlich ist. Nur darum geht es. Schreibt aber keiner.

Ferner vielleicht ein Indiz, dass es mit guten Modellen und Methoden bald gelingen wird, die Durchseuchung recht gut herzuleiten. Das erwarte ich seit einigen Wochen, eher aus Asien sowie aus besseren klinischen Studien. Stichprobentests bringen vermutlich etwas mehr Sicherheit, aber auch nicht mehr. Das Thema wird viel zu hoch gehängt – schreibt aber auch keiner.

Statt dessen ist der neue Volksheld Streeck zu unser aller Rettung in Heinsberg nun dieser Frage auf der Spur. Oh weh, oh weh – Öffentlichkeit und dein Geschwurbel.

Die eigentliche Nachricht an der Sache: Wir werden nicht alle sterben, aber wir können das „Ding“ auch nicht einfach laufen lassen, weil wir sonst sechs bis acht Monate Verhältnisse wie in Italien und Spanien haben – was kein Staat und keine Gesellschaft aushalten wird. Punkt.

Eine weitere „Daten-Kiste“, die herumgereicht wird, ist die Situation in unseren Krankenhäusern. Die Hässlichkeit lässt nicht nach, das reicht von Berichten, denen immer noch nicht genug gestorben wird, bis zu „bei uns“ ist doch alles besser. An der Stelle nur kurz: Wir haben, Stand gestern 0:00 Uhr, in den gemeldeten Krankenhäusern eine Auslastung der Intensivbetten von 70% und wir haben einen Anteil von Covid-19 Patienten mit Beatmung von 80%. Das sind keine guten Zahlen!

Es zeigt, dass wirklich nur noch die schweren Fälle in den Krankenhäusern liegen und es legt nahe, dass die Reserve knapp wird.

Wir haben immer noch den Nachlauf aus einer Phase mit Verdopplungsraten, so dass ich befürchten muss, dass die Behandlungszahlen sich mindestens noch ein Mal, schlimmstenfalls sogar noch drei Mal verdoppeln werden. Dagegen sind 30% Restkapazität nichts. Das ist aber nicht der Ausruf einer kommenden Katastrophe, denn die im Register sichtbaren Betten sind vermutlich nur ca. die Hälfte der Verfügbaren und es werden bekanntlich wöchentlich Notkapazitäten in Messehallen etc. geschaffen. Die andere Hälfte der heute Verfügbaren macht mir nicht so große Hoffnung, weil ich vermuten muss, dass dort die Lage genauso ist – die gut 1.200 gemeldeten Kliniken dürften repräsentativ sein. Aber die Notkapazitäten werden nach Verschiedenen Angaben um bis zu 30% der vorhandenen geschätzt und die sind aktuell noch gar nicht im Betrieb.

Auch dazu eine Warnung: Die Medien werden sich wieder überschlagen mit absoluten Zahlen, hier uns da wieder so viele mehr unter Beatmung und so viele Betten mehr belegt. Alles Quatsch, es geht nur um diese Quoten und die Frage, was schneller ist: Die Neuaufnahmen oder die frei werdenden Betten.

Meine Vermutung daher: Das wird ein Wettlauf mit der Zeit zwischen den existierenden Betten und der Bereitstellung der Notreserve. Unser Staat weiß schon, warum er den Aufwand betreibt und derzeit die komplette klinische Organisation Covid-19 unterordnet. Von Entspannung kann also überhaupt keine Rede sein und hoffentlich verstehen nun alle, dass dieses „Fahren am Rande der Kapazität“ nur der „Ritt auf der Rasierklinge“ ist.

Beim Blick auf die große Weltkarte mit „meinen“ Methoden nehme ich heute mal wieder die Infiziertenzahlen, also die frühesten Indikatoren für die Zeit in ca. drei bis vier Wochen: Europa ist wie in den letzten Tagen bereits gesagt schon länger auf der Abbiegespur in Richtung Rückgang der Zahlen. Je nach Land ist das schon passiert (Italien, Spanien) oder wird bald so sein. Ausnahmen sind leider UK und Schweden sowie einige von mir bisher kaum genannten Staaten in Osteuropa sowie auf dem Balkan, Weissrussland sieht auch nicht gut aus. Es korreliert weiter beklemmend mit der Ignoranz der Regierungen, überall.

Auf dem Globus laufen Russland, Türkei, Brasilien weiter ohne Trendwechsel, Größe oder gar Ende der ersten Welle sind nicht erkennbar. Einen ganz kleinen ersten Hoffnungsschimmer sehen meine Indikatoren hingegen endlich für die USA. Es würde mich so sehr freuen, das Land wird so brutal durchgeschüttelt!

Soweit dieser Tag, ich wünsche allen Gesundheit und: Orientierung!

 

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