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CoroNews 16.05.2020

Heute ein wenig Lesestoff zum Nachdenken.

Wissenschaftlicher Überblick: Aus Spektrum.de kann ich eine sachliche und wissenschaftliche Zusammenfassung empfehlen, die bezüglich Covid-19 sehr nah an meinem „Brief an einen Freund“ ist, aber verdaulicher geschrieben. Ich sehe einige Punkte etwas kritischer als hier dargestellt, aber das ist unstrittig sehr ausgewogen und vielleicht daher besonders gut geeignet, um auch solche zu erreichen, die von der Besonderheit der Epidemie immer noch nicht überzeugt sind. https://www.spektrum.de/wissen/wie-entwickelt-sich-die-coronavirus-epidemie/1700384

Folgeschäden einer Covid-19 Infektion: Was mir bei Spektrum zu kurz kommt, ist die Betrachtung von Folgeerkrankungen und Folgeschäden. Das ist ein Parameter der um einige Faktoren über den Sterbezahlen liegt, auf die sich die Diskussion leider zu sehr fokussiert. Insbesondere bei jüngeren Zielgruppen ist dieser Punkt aus meiner Sicht der relevanteste und er sollte dringend dazu führen, dass die Bevölkerung nicht über Alter, sondern über Vorbelastung und individuelles Risiko nachdenkt. Dazu hat es im Bundestag eine Anfrage an das Gesundheitsministerium gegeben, in der nun erstmals ganz offiziell das Thema als solches eingeräumt wird. Leider wird im Wesentlich auf noch unklare Daten hingewiesen, aber immerhin beginnt diese wichtige Diskussion nun endlich. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/112936/Ge%C2%ADsund%C2%ADheits%C2%ADmi%C2%ADnis%C2%ADterium-rechnet-mit-Spaetfolgen-nach-COVID-19-Erkrankungen

Übersterblichkeit: Der Economist hat seine Darstellungen zur Übersterblichkeit in vielen Ländern aktualisiert. Sie ist aus meiner Sicht vom Aufbau der Charts eine der besten. Wer die traurigen Zahlen sehen oder vielleicht auch weiter geben möchte, findet hier eine gute Quelle. https://www.economist.com/graphic-detail/2020/04/16/tracking-covid-19-excess-deaths-across-countries?fbclid=IwAR2tuvKlwWEprvwuHiGkj0APXnhNRDyCa4oyQYgAKT3Z_EiUDY6i94IbUaw

„Soziale Auswahl „von Covid-19: Bekanntlich trifft Covid-19 insbesondere in den USA sehr stark die sozial Schwächeren. Das hat viele Gründe, deren Wohnverhältnisse, die Notwendigkeit, zur Arbeit zu gehen, die oft unzulänglichen Arbeitsumstände und vieles mehr. Kurz: Gerade diese Gruppe hat im Alltag und im Leben zuhause wenig Möglichkeiten, sich zu isolieren und zu schützen. Es gibt aber auch einen anderen Grund für die überproportional Häufigen Fälle dieser Gruppe: Die andere ist nämlich gerade mal weg. Wer es sich leisten konnte, hat sich in New York nämlich pfleglich vom Acker gemacht. Diese Klasse gehört wahrscheinlich auch nicht zu der Gruppe, die in den USA auf der Straße gegen die Einschränkung ihrer Freiheitsrechte „kämpft“. Die nehmen sich ihre Freiheit vermutlich ganz woanders, auf Landsitzen oder wo auch immer. https://www.nytimes.com/interactive/2020/05/15/upshot/who-left-new-york-coronavirus.html?action=click&module=Top%20Stories&pgtype=Homepage

Lokales Infektionsrisiko in Deutschland: Zum lokalen Risiko in unseren Landkreisen hat ein ehemaliger Abgeordneter der Piraten eine privat betriebene Seite aufgebaut, die ich mit Einschränkungen deshalb empfehle, weil ich an lokalen Daten nichts besseres gefunden habe. Die Seite nutzt die offiziellen Daten des RKI, die dort zum Download stehen. Das sind also authentifizierte Daten, aber leider bekanntlich keine besonders guten. Die Latenzen bei der Datenerhebung sind erheblich, das Meldesystem sehr langsam, die Testszenarien undefiniert etc. etc. Insofern kann man m.E. bestimmte Auswertungen mit diesen Daten gar nicht machen, sie zeigen teilweise zudem Zustände, die ein bis gar zwei Wochen zurück liegen. Aber die hier angesetzte Statistik, um ein lokales Infektionsrisiko zu berechnen, ist soweit in Ordnung. Man mag es als Anhaltspunkt nehmen – wenn ich was besseres finde oder jemand einen Tipp hat, gerne. Nur nicht per Fax, habe ich im Unterschied zu den Gesundheitsämtern abgeschafft. https://pavelmayer.de/covid/risks/?fbclid=IwAR1EwXTxs89ndBZeDrIvQjS64YkjhcLFYM9mblJyoC4zoGhh8b3ab34bLTw#Benutzung

Ausbreitung in „Ökosystemen“, Geschwindigkeit, Aerosole, geschlossene Räume: Ich hatte hier oft über die Geschwindigkeit von Covid-19 als wesentlicher Faktor für die Gefährlichkeit der Pandemie berichtet. Das zeigt sich auch im Kleinen. Die Beispiele und Fälle häufen sich, in denen Covid-19 in irgendein Ökosystem eindringt. Sei es der Nachtclub in Südkorea, über den ich vor ein paar Tagen schrieb, ein Chor aus Seattle – bisherigen Spitzenwert, ein Infizierter steckte 52 von 61 Chormitgliedern an !! -, eine Schule in Frankreich, die als wesentlicher Ausbreitungsfaktor für einen ganzen Ort vermutet wird (20% Infizierte im ganzen Ort, noch mehr in der Schule), die Fälle in den Schlachthöfen (>30% Infizierte), das Call Center in Süd Korea (>50% Infizierte) oder heute ausgerechnet in Heinsberg, wo in einem DPD-Verteilzentrum 42 von 170 Personen positiv getestet wurden. Das ist aber nur die Spitze des Eisbergs, denn der Betrieb hat 400 Mitarbeiter, die jetzt gesucht werden und was in dem Ort selbst, bei Familienmitgliedern oder Kunden passiert ist, muss sich erst zeigen.

Wir werden solche Fälle häufig sehen und sie zeigen zunehmend folgende Aspekte: Wenn nicht schnell gehandelt und erkannt wird, sind binnen weniger Tage im deutlich zweistelligen Prozentbereich Infizierte erkennbar. Daher ist es auch zweifellos notwendig, bereits bei einem singulären Fall, so eine Einheit sofort zu schließen. Das ist eines der großen organisatorischen Risiken dieser schnellen Lockerung. Je höher der allgemeine Infiziertenstand ist und je mehr man zulässt, desto wahrscheinlicher wird es, dass wir nun täglich genau solche Berichte hören. Das ist für einen gelassenen Alltag unser Bevölkerung und für einen verantwortbaren Betrieb unserer Wirtschaft pures Gift. Niemand kann sicher sein, ob sein Betrieb nicht morgen still steht, Eltern wissen nicht, ob morgen Kita oder Schule noch läuft, niemand kann ein Geschäft aufsuchen und wissen, ob er morgen nicht erfährt, dass dort etwas passiert ist. Selbst, wenn es gelingen sollte, das Infektionsgeschehen durch Einzelmaßnahmen bei betroffenen Einrichtungen einigermaßen im Griff zu halten (auch das glaube ich nicht!), so kann ich mir kaum vorstellen, dass wir damit lange zurechtkommen.
So mehren sich auch die Berichte von Ladenbesitzern, Gastronomen und Hoteliers, die unter diesen Bedingungen gar nicht öffnen möchten.

Hinzu kommt, dass viele dieser Fälle darauf schließen lassen, dass Aerosole eine bedeutende Rolle bei der Übertragung der Erkrankung tragen. Dagegen schützen Masken leider nicht und Aufenthalte in geschlossenen Räumen mit – gar vielen – Menschen, die sich dort auch noch lange aufhalten, sind ein kaum kalkulierbares Risiko. Wie man unter diesen Umständen Fitness-Studios, Kneipen, Innengastronomie erlauben kann, ist mir schleierhaft. Man kann nur abraten, so etwas zu nutzen. Die Politik sollte aus meiner Sicht viel klarer abwägen, welche Risikobereiche man zulässt. Warum fördert man diese nicht im familiären Kreis und im engsten Freundeskreis und stellt dafür teile des öffentlichen Lebens zurück. Was wäre denn nun würdiger zu fördern, was sollten wir primär schützen?
Die engeren familiären und privaten Kontakte sind für das seelische Wohlergehen doch wohl extrem wichtig und sollten nicht gefährdet werden durch Gastronomie oder m.E. auch einen Vollbetrieb bei Schulen. Sollten die Zahlen nämlich wieder zu stark steigen, bleibt außer dem Hammer nichts übrig, da effizientere Mittel wie Tracing und App nicht existieren. Dann müssen wir schlimmstenfalls alle Kontakte wieder reduzieren und vor allem die Senioren mal wieder alleine lassen. Es ist so traurig!

Hier die Studien und Berichte dazu:
Aerose, Chor, geschlossene Räume: https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/covid-19-belastete-troepfchen-machen-geschlossene-raeume-zu-infektionsherden-a-7522885d-7553-4acc-ac5d-ac603552ed06
Ort und Schule in Nordfrankreich: https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2020.04.18.20071134v1?fbclid=IwAR3_7DC5fXU1cFJ9PTvuBEgE8VBIYgfl-rArInIwXFISWtJw00k6IZ54YlA
DPD-Zentrum in Heinsberg: https://heinsberg-magazin.de/2020/05/16/dpd-standort-in-hueckelhoven-wegen-corona-geschlossen/?fbclid=IwAR3T65TfJO4eajThZxx-vM1j8NQZJVUJ0csuH5A7GbCzH2sMp-sF5KPq5fE

Stimmung, Proteste, Verschwörer: Armin Laschet, den ich eigentlich schon seit Wochen totschweigen möchte, habe ich heute Nachmittag kurz kommentiert. Er hat sich in der ihm eigenen formvollendeten Geschicklichkeit zu den anstehenden Demonstrationen geäußert. Es ist natürlich alles andere als „lustig“, wenn die Proteste von Verschwörungstheoretikern und deren Nachläufern nun als Massenveranstaltungen im persönlichen Kontakt organisiert werden. Ich war heute fast den ganzen Tag wieder in den einschlägigen Foren unterwegs und kann nur bestätigen, dass es dort vor allem darum geht, besonders viele Menschen gerade jetzt zusammenzubringen.

Das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit schafft ein Dilemma, schwierige Lage. Aber aus meiner Sicht wird hier etwas pseudodemokratisch und nur vordergründig durch Demonstrationen geäußert: Wenn es um eine demokratische Meinungsäußerung und Debatte ginge, so müsste die – wenn man es ehrlich meint – zuerst mal ergebnisoffen geführt werden. Das erfolgt aber nicht, wenn man das Ergebnis – namentlich die Notwendigkeit, Massenkontakte zu unterlassen – im Rahmen eben dieser demokratischen Debatte gleich vorweg nimmt bzw. in dem Falle negiert.

Das ist auch der eklatante Unterschied zu beispielsweise Neuseeland, über das ich kürzlich geschrieben hatte: Dort ist der Dissens in der Bevölkerung zu den Maßnahmen weit härter als bei uns, aufgrund des ehemaligen Zwei-Parteien-Systems ist die Gesellschaft ungefähr in einem 45:55-Verhältnis zerstritten. Aber niemand dort widersetzt sich den Maßnahmen, das wird zuerst diskutiert – in Medien, in digitalen Plattformen, in Parteien, im Parlament, vor Gerichten – und dann wird gehandelt. Nicht umgekehrt! Ein Mangel an Plattformen für diesen Diskurs gibt es aus meiner Sicht nicht, dafür müssen keine Massenveranstaltungen in Innenstädten stattfinden, die unstrittig das größte Risiko für das Epidemiegeschehen bedeuten.

Meine Meinung daher: Wer Demokratie und Respekt vor Mehrheiten ehrlich meint, äußert seine anderslautende Meinung nicht in einer Menge auf einem Marktplatz. Das nimmt vorweg, was in demokratischem Diskurs erst zu diskutieren ist!

Der Vergleich zu Neuseeland ist umso schmerzlicher, als in Deutschland vermutlich die Quote eher 2/3 zu 1/3 lautet. Dazu drei Berichte von heute:
Eher steigende Zufriedenheit beim Lockdown? https://www.zeit.de/gesellschaft/2020-05/corona-pandemie-umfrage-wohlbefinden-homeoffice-entschleunigung?fbclid=IwAR1EKfs9II9VaAGNo70aP0743f0c2jj7qoSdwA8S95pgi-_qaYeKOuKmObU
Anti-Corona-Stimmung bei AfD-Anhängern und teilweise FDP: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/politbarometer-coronavirus-grenzoeffnung-eu-100.html?slide=1589460967756
Verschwörungstheorie als Geschäftsmodell: https://zeitung.faz.net/faz/politik/2020-05-16/833620d4596b388d160db8d58dca6d85/?GEPC=s2&fbclid=IwAR0Z4lakczylJttBIoXT5ISUHj-57bsZGHqaisUO8GLrO-_5IwUO13vLE5c
Kommentar zu Laschet: https://www.facebook.com/specht.dirk/posts/1881216292008383?comment_id=1881285078668171&notif_id=1589638205988922&notif_t=feedback_reaction_generic

Zu den Daten: Heute im Chart wieder die täglichen Neuinfektionen. Es zeichnet sich ab, dass alle Länder, die derzeit noch in Lockdowns (verschiedenster Art) stehen oder gerade erste Lockerungen daraus umsetzen, bestenfalls in einem Seitwärtstrend auf hohem Niveau münden. Wäre da nicht wie oben erwähnt die hohe Geschwindigkeit von Covid-19 und die Anfälligkeit von Einrichtungen jeder Art, so könnte das eine Strategie sein. Ich denke aber, dass selbst ein Seitwärtstrend zu keinem stabilen Leben oder wirtschaftlichen Betrieb taugt und die Gefahr von lokalen Massenausbrüchen ist latent zu hoch. Das wird nicht lange gelingen, so meine Prognose.

Anders in Süd Korea, wo auf den Ausbruch in dem Nachtclub durch lokale Schließungen reagiert wurde. Hier zeigt der Trend jetzt wieder nach unten. Bitte logarithmische Skala beachten: Bei uns sprechen wir immer noch über Größenordnungen von 1.000 Fällen pro Tag, Süd Korea fällt jetzt wieder auf weniger als 30!

 

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