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CoroNews 26.07.2020

Wäre es nicht gerade Covid-19, so könnte man es belächeln. Auch in meinem „Freundeskreis“ hier auf Facebook immer noch Gemecker über Maskenpflicht, gar in Urlaubsländern, wo doch gar nichts los ist. Mal ist die Pandemie vorbei oder nie dagewesen, wenn überhaupt ein Thema in Amerika und bei uns, ja da ist alles anders, es sei denn es ist ein mies geführter Schlachthof mit mies untergebrachten Leiharbeitern.

Alles falsch, es ist dasselbe Virus, es sind dieselben Menschen, es ist überall dieselbe Biologie und dann kommt noch etwas Physik dazu, was den Luftaustausch, Temperatur und Feuchtigkeit betrifft. Ob wir dazu Schlachthof oder Partymeile sagen, vielleicht Kirche oder Krankenhaus, ob es Leiharbeiter oder Gläubige, Partygänger oder Patienten im Krankenhaus sind – was soll diese dumme Differenzierung!

Dass dies biologisch oder physikalisch vollkommen gegenstandslos ist, muss das wirklich immer noch diskutiert werden ?? Und ja, auch Deutschland, das „hier ist alles anders“ Land, wie jedes „hier ist alles anders“ Land, unterliegt derselben Biologie und derselben Physik – muss auch das noch diskutiert werden ??

Ich bleibe optimistisch, dass in Europa auch im Herbst, wo uns vermutlich bei mehr Leben in geschlossenen Räumen sogar eine größere Konfrontation mit der Pandemie bevorsteht als die, die wir beginnend im letzten Winter gesehen haben, wegen der insgesamt guten sozialen Verhältnisse (Wohn- und Arbeitssituation), wegen der insgesamt disziplinierten und intellektuell der Krise gewachsenen Bevölkerung und der inzwischen überwiegend besser vorbereiteten politischen Führung kein Desaster wie am Anfang bevorsteht.

Historisch gesehen waren die Folgewellen von Pandemien oft die weit schlimmeren. Gründe waren erstens eine aus der ersten Welle zwar geringe, dafür aber breit gestreute Basis von immer noch grassierenden Infektionen sowie besondere Sorglosigkeit der Menschen, die zu wenig wussten und glaubten, das Drama sei vorbei.

Mit dem ersten Grund für die Gefahren von Folgewellen müssen wir leider auch rechnen. Ich war und bin daher immer noch ein Befürworter der asiatischen Strategien oder des konsequenten Wegs von Neuseeland: Kurz, hart, konsequent, aber lokal jeden Ausbruch austreten. Die Strategie Deutschlands, mit dem Virus auf niedrigem Niveau zu leben – über den umstrittenen Grenzwert von 50 Infektionen pro 100.000 definiert – läuft bisher in den Sommermonaten gut, aber sie sät letztlich in zu vielen Regionen eine Basisgefahr, die jederzeit einen unkontrollierten Ausbruch ermöglicht.

Wie gesagt: Das werden wir auch im Herbst gut managen, ich bleibe optimistisch, aber ich halte es für die freundlich ausgedrückt zweitbeste und ganz sicher für die teurere Strategie. Bewerten kann man das natürlich erst, wenn es wirklich vorbei ist. Die Schlussrechnung liegt nirgendwo auf dem Tisch, die Zwischenrechnungen geben den Asiaten vollauf recht – und ich werde nicht müde zu erwähnen: Auch und gerade bezüglich der Stabilisierung der Wirtschaft!

Die zweite Ursache historischer Katastrophen, die Unwissenheit, wäre heute eigentlich komplett überflüssig, aber auch hier erreichen wir wohl nur eine Reduzierung der Zahlen (von Idioten, Ignoranten, Egozentrikern). Ob wir da wohl unter 50 pro 100.000 liegen?

Ich fürchte nein, denn auch wir Europäer machen es den US-Amerikanern zumindest ein wenig nach. Was sich beginnend mit dem Januar 2020 im Ski-Urlaub – damals ohne Vorwissen – zum Desaster entwickelte, in Italien, Spanien, Frankreich und UK zu einem partiellen Zusammenbruch des Gesundheitswesens mit lokalem Massensterben führte und bei uns nur durch massive Eingriffe in unsere Bewegungsfreiheit verhindert werden konnte, nun, das will ein Teil der europäischen Bevölkerung offensichtlich gleich noch mal ausprobieren.

Es ist wirklich vollkommen überflüssig, genau dasselbe Muster nochmals zu sehen, aber es zeichnet sich leider ab. Die Zahlen in Spanien und Österreich reagieren bereits deutlich, wie die Oxford-Zahlen (s.u.) leider zeigen. Nur Italien scheint gelernt zu haben, ich wünsche es den Italienern wirklich von Herzen, dass sie klüger reagieren und beim Covid-19 Intelligenztest nicht nachsitzen müssen. Welche Nachhilfe wir benötigen, wird sich zeigen: Auch bei uns gibt es ein erstes Signal für einen Trendwechsel. Laut RKI ist das nun auch nicht mehr lokalisierbar, sondern ein Geschehen in der Breite. Ob das bereits Urlaubsrückkehrer sind, weiß niemand. Wie man nun mit der kommenden Welle von Rückkehrern verfahren möchte, wird bekanntlich gerade diskutiert. Man fragt sich ernsthaft, warum wir das noch mal brauchen, was daran nun überraschend sein soll und weshalb wir das erneut diskutieren müssen?

Heute kommen passend zum Bild erste Berichte aus einem Hotspot in Österreich: Sankt Wolfgang! Nein, weder Schlachthof, noch Leiharbeiter: Leihgäste, davon reichlich biodeutsches Material, vorzugsweise ohne Maske. Wenn man den Bericht im Detail liest, kommt das kalte Grausen, denn es ist wieder derselbe überflüssige Unfug: Nur Mitarbeiter betroffen, bisher erst ein Gast und es ist doch keiner krank geworden. Anmerkung: Systematisch getestet wurden nur Mitarbeiter und deren Kontakte, für Gäste freiwillig, gerade mal ein Drittel der (erratisch gestreuten) Testergebnisse ausgewertet, zudem Inkubation bis zu sieben Tage etc. etc. Als nächstes werden wir dann lesen, dass es hauptsächliche jüngere Infizierte gibt, dass nur wenige schwerer erkranken, dass in den Krankenhäusern nichts los ist, dass niemand gestorben ist etc. etc.: https://www.nachrichten.at/oberoesterreich/29-faelle-in-st-wolfgang-neue-testergebnisse-am-abend;art4,3278066

Selbst über Ischgl hält sich bis heute das Märchen, es sei letztlich gar nicht so schlimm gewesen, weil dort nur ein halbes Dutzend Leute gestorben und die Infektion bei so vielen vollkommen harmlos verlaufen sei. Wie viele Folgeinfektionen und Sterbefälle Ischgl weltweit erzeugt hat, wird teilweise gerichtlich untersucht – wir werden es trotzdem nie erfahren. Was wir aber wissen, ist der Anlass: Freizeit und Urlaub! Das wird aus meiner Sicht nämlich nicht ausreichend gewürdigt. Wir sprechen hier nicht von einer Zwangslage, wir sprechen nicht von einem Unglück, das aus dem Himmel gefallen oder aus dem Boden aufgestiegen ist. Wir sprechen von Urlaub und Freizeit als Ursache für Infektionen, Krankheiten, Todesfälle. Und immer noch stellt niemand die Sinnfrage ??

Derselbe Irrsinn, über den ich vor einigen Tagen bezüglich der USA (https://www.facebook.com/notes/dirk-specht/coromerica-19-juli-2020/1943113535818658/) geschrieben hatte. Diese Nachricht ist inzwischen überholt, denn die Sterbezahl hat die 1.000 pro Tag wieder überschritten, Krankenhäuser lehnen Patienten ab oder schicken todkranke wieder nach Hause, weil der Platz nicht mehr für alle reicht. Und auch das ist nur der erste Akt einer vollkommen überflüssigen Tragödie, die in den letzten Wochen massgeblich durch partysüchtige Jüngere ihre Ouvertüre hatte. Bleibt allenfalls die Hoffnung, dass die Reaktionen der Gouverneure einen Trendwechsel bei den Neuinfektionen erreichen, so dass die Zahlen sich deutlich zurück entwickeln, bevor Herbst und Winter kommen. Die Sterbekurve wird unvermeidlich noch einige Wochen steigen, daran kann niemand mehr etwas ändern, auch der nun mal wieder etwas einsichtigere Herr im Weißen Haus nicht.

Wie gesagt bin ich optimistisch, dass Europa es besser machen wird – auch im Herbst. Aber es ist wahrlich kein Vorzeigeprojekt, dass immer noch vor allem die Politik und die Regierenden dazu lernen müssen, dass dieselben Themen erneut über eine Debatte zu einem entschlossenen Handeln führen – man kann es kaum noch nachvollziehen. Wir sehen jetzt seit vielen Monaten, wie Gesellschaften und Wirtschaft in Asien mit dem Virus leben und müssen uns in Europa schon wieder mit Urlaubs- und Freizeitverhalten herumschlagen. Ich verstehe jeden, der gerne Freizeit und Urlaub genießen möchte, aber in einer solchen Krise muss es einfach gelingen, beides mal anders zu gestalten!

Das wird unserer Wirtschaft nachhaltig schaden, denn diese latente Irrlichterei, dieses Totalversagen von Teilen der Gesellschaft und Politik, die damit verbundenen Unsicherheiten, die fehlende klare Gesamtstrategie sind Gift für alle mittelfristigen Investitionsentscheidungen. Diese sind aber Basis für die Wirtschaft und nicht unsere Konsumlaune. Je länger diese Phase der Unsicherheit, der fehlenden Planungsgrundlagen, der mangelnden Verlässlichkeit aber andauert und je länger die wirklich unsere Volkswirtschaften tragenden Unternehmen dadurch Investitionsentscheidungen vertagen, desto tiefer und länger wird die Durststrecke danach. Wirtschaftskrisen haben verschiedene Ursachen, aber eine Gemeinsamkeit: Sie enden nicht, wenn die Ursache verschwunden ist, sie fangen dann erst an!

Wir sollten uns mit Blick auf Gesellschaften wie in Indien oder Afrika, die keine Chance haben, sich besser zu schützen, schlicht in den Boden schämen, aus welchen Gründen wir es immer noch schaffen, diese Epidemie am Leben zu erhalten: Weil wir trotz Krise unsere bevorzugten Urlaubs- und Freizeitvergnügungen unbedingt aufrecht erhalten müssen, um uns grundgesetzkonform frei fühlen zu dürfen!

In dieses Bild passt eine Nachricht zu dem britischen Verkehrsminister, über die man zum Abschluss dieses Beitrags dann doch mal lächeln darf: https://www.spiegel.de/panorama/leute/beim-spanien-urlaub-britischer-verkehrsminister-von-quarantaene-beschluss-seiner-regierung-kalt-erwischt-a-6f2a9547-017e-4119-90be-31c7bb57f403

 

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