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Schweden als nicht enden wollendes Vorbild

Da an mehreren Stellen diskutiert, hier kurze Einschätzung zur Entwicklung in Schweden: Die Entwicklung der Sterbefallzahlen ist in Chart 1 dargestellt (kumulativ, normiert auf die Einwohnerzahl).

Bekanntermaßen ist zu erkennen, dass Schweden hier in einer „Liga“ spielt, in der sie wohl nicht sein wollen. Das Land hatte wie seine Nachbarn sehr viel mehr Zeit, sich vorzubereiten und längst in anderen gesehen, was passieren kann.

Tatsächlich hat in Schweden, siehe Chart 2, die eigentliche Welle viel später stattgefunden. Das sind die Infektionszahlen pro Tag, zum Vergleich nur Deutschland, ebenfalls wieder pro Einwohner. Das wäre vermeidbar gewesen und hat halt nicht das gewünschte Ergebnis gebracht, denn die Immunität in der Bevölkerung ist viel zu gering geblieben, um eine zweite Welle zu verhindern.

Über den Sommer ist die Epidemie wie überall in Europa zurück gegangen und fast zum Erliegen gekommen. Das führt bei vielen „Schweden-Fans“ nun zu dem Irrglauben, es sei – wie bei uns – vorbei und daher wären die Schweden insgesamt mit ihrem Kurs doch ganz gut gefahren – wegen der Wirtschaft, der Freiheit und so. Zwar ein vielfaches an Toten, aber dafür das gute Gefühl der Selbstverantwortung. Nun, über diese Gefühle haben die Schweden zu entscheiden, der Wirtschaft hat´s nicht geholfen. Die BIP-Einbrüche sind bekanntlich weltweit sehr ähnlich und vor allem durch die Struktur der jeweiligen Wirtschaft bestimmt. Je mehr Tourismus, Reise und Exportwirtschaft, desto schlechtere Daten. Tendenziell gilt zudem: Je schlechteres Pandemiemanagement, desto schlechtere Wirtschaftsdaten – noch nicht valide, daher der Begriff der „Tendenz“.

Insofern darf man bereits bestreiten, dass die schwedische Zwischenbilanz in Ordnung ist. Vorbei ist es dort mit dem Sommer natürlich genauso wenig wie sonst irgendwo auf der Welt und außer in Asien/Neuseeland oder hier in Europa vielleicht in Island, Norwegen, Finnland – also den nordischen Nachbarn Schwedens – ist auch wenig unter Kontrolle. Die erste Reaktion der Kurve Schwedens ist bereits sichtbar, die Zahlen steigen also auch dort bereits. Nimmt man hinzu, dass die Pandemie in Schweden erneut eher etwas verzögert reagiert, ist das sogar ein erstaunlich frühes Signal.

Dass man dort mangels ausreichender Immunität und der nun kommenden kühleren Jahreszeit wieder mit Covid-19 zu tun bekommen wird, ist wohl auch der Regierung klar und eine Wiederholung dieser Sterbezahlen wäre bei einer unveränderten Strategie insofern reine Mathematik. Wenn ich die Berichte aus Stockholm richtig deute, ist man daher bereits auf Suche nach Erklärungen, warum man der eigenen Bevölkerung die Selbstverantwortung ein wenig abnehmen muss.

Meine Einschätzung: Wenn die das nicht tun, werden sie in der Liga weiter ganz vorne mitmischen.

Nachtrag: Man mag aus den Daten Schwedens übrigens durchaus die legitime Diskussion ableiten, welche Fallzahlen gesellschaftlich akzeptiert werden sollten, um einen Lockdown zu vermeiden bzw. das Modell „Eigenverantwortung“ zu rechtfertigen. Denn hier liegt halt der Preis mal recht klar auf dem Tisch. Ich finde ihn zu hoch und man muss auch endlich mal klar machen, dass es ökonomisch auch nicht der bessere Weg ist. Aber ich kann nicht sagen, dass die Diskussion unerlaubt ist. Bei Streeck beispielsweise ist nicht zu kritisieren, dass er über diesen Weg nachdenkt – ich würde das aber glaubhafter finden, wenn er den Preis nennt. Der lautet recht grob: Faktor 5 bis 6 pro Welle. Wir wären also in Deutschland bei 50.000 bis 60.000 Opfern und müssten damit mindestens über Herbst/Winter noch mal rechnen. Ist zwar eine zu simple Hochrechnung, aber wer Schweden empfiehlt, muss sich mit der Zahl auseinandersetzen oder eine andere liefern. Keine Zahl ist keine Diskussionsgrundlage.

 

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