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Kommentar zum BGE und dem AfD-Parteitag

Zum in den letzten Tagen diskutierten Populismus-Thema heute ein Blick in dessen Holzklasse: Der AfD-Parteitag läuft und er beschäftigt sich unter Anderem mit einem Beschluss zum Entwurf eines bedingungslosen Grundeinkommens. Die Partei verbindet damit nationale und soziale Aspekte, das Wortspiel sei einleitend erlaubt.

Tut sie das?

Nun, wie gestern dargestellt, möchte ich an der Stelle Wissen und Meinung verknüpfen. Fangen wir mit dem Wissen an, das ich trotz meiner Präferenz für lange Texte hier nur verkürzt aus einem vermutlich niemals fertigen eigenen Sachbuch zitieren kann.

Wir haben in der Tat in Deutschland inzwischen einen Sozialstaat errichtet, dessen jährliche Leistung jenseits einer Billion liegt. Das ist die Summe aller Leistungen für Rentner, Erkrankte, Arbeitslose, Kinder/Eltern, Sozialhilfeempfänger und „sonstige Leistungen“, deren Art und Umfang mehr als Hundert weitere Posten umfasst.

Wer diese Summe umrechnet, erkennt, dass es tatsächlich ungefähr 1.000 EUR pro Monat pro Kopf der Gesamtbevölkerung sind. Das bewegt sich also bereits heute in einer Größenordnung, die von vielen für ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) angedacht ist.

Vollkommen zurecht wird kritisiert, dass diese gigantische jährliche Summe in Deutschland zudem über eine unfassbar komplizierte Parallelstruktur mehrerer Rechtssysteme und Behörden „verwaltet“ wird. Steuer- und Sozialrecht sind getrennte Gesetzeswerke von vielen Hundert Seiten, nicht ohne Widersprüche übrigens. Das setzt sich fort in Verwaltungsstrukturen aus Finanzbehörden und denen für die Sozialgesetzgebung, wozu die Rentenversicherung, die Arbeitslosenversicherung und die Sozialämter gehören. Hinzu kommt die Vielfalt der gesetzlichen Krankenkassen, Details wie die berufsgenossenschaftliche Unfallversicherungen nur am Rande erwähnt. Manches liegt zentral beim Bund, manches reicht bis zu den Gemeinden herunter. Bei der Gerichtsbarkeit setzt sich das übrigens fort.

Eine Folge ist, dass man die Kosten für die Verwaltung dieser Billion allenfalls schätzen kann. Der Rechenschaftsbericht der Bundesregierung beziffert die Kosten auf einen zweistelligen Milliardenbetrag – jährlich! Experten sehen das eher als Untergrenze. Dieser Bericht erscheint im Frühjahr und die Einsichtnahme kann ich jedem interessierten Bürger nur empfehlen– das Studium von Primärquellen gehört aus meiner Sicht zur Pflicht für jeden, der mit Information kritisch umgehen möchte.

Tatsächlich wächst aufgrund dieser hohen Summe von Jahr zu Jahr die – leider nur schätzbare – Zahl an Haushalten, die zwar Steuern und Sozialabgaben zahlen, tatsächlich aber Netto-Empfänger sind. Nicht selten übrigens, ohne das zu wissen. Wir haben hier also ein hochkomplexes und teures Umverteilungssystem vor uns.

Wie kompliziert das ist, haben die meisten Bürger natürlich bereits selbst erfahren. So gut wie jeder muss irgendwann mindestens eine Steuererklärung machen, die meisten haben es mit Renteninformationen zu tun, viele mit Krankenkassen und wer beispielsweise mal Kurzarbeit erlebt hat, kennt vielleicht auch Informationen seines Arbeitsamtes, wenngleich vieles hier durch die Arbeitgeber abgewickelt wird. Wer zeitweise arbeitslos oder gar auf irgendeine Form von Sozialhilfe angewiesen war, hat sich tiefer in diesen Dschungel „eingearbeitet“. Auch die Kindergeldstelle bei der Gemeinde haben viele kennen gelernt, zumindest deren Existenz zur Kenntnis genommen.

Je mehr man damit zu tun bekommt, desto häufiger hat man Anträge ausgefüllt, versucht Formulare und deren Bedeutung zu verstehen, hat erkannt, dass man da irgendwie immer dieselben, aber eben nicht wirklich identische Angaben zu machen hat. Für den einen ist das vor allem sehr lästig, für den anderen natürlich ein offenes Tor für falsche Angaben zu eigenen Gunsten.

Denn selbstverständlich lädt diese Billion herzlich dazu ein, als Selbstbedienungsladen für Steuer- und Sozialbetrug genutzt zu werden. Viele Verwaltungen übrigens einbezogen, deren Betrug manchmal in Form von Korruption, kollektiv in Form von Erhalt des Selbstzwecks stattfindet.

Am Rande sei bemerkt, dass eine wirklich effektive Aussteuerung von Corona-Hilfen auch an diesen vollkommen verfehlten Strukturen mit ihren jeweils eigenen Datenhaushalten liegt. Das war also bereits bis 2019 für das Volk sehr teuer, in 2020 fällt es uns so richtig auf die Füße!

Es gibt wilde Schätzungen für die Gesamtkosten aus Verwaltung und Missbrauch, die für 2020 vermutlich noch deutlich steigen werden. Daran möchte ich mich gar nicht beteiligen, denn der Schaden es ist gewiss hoch genug, um zu sagen: Das sollten wir besser machen.

An der Stelle setzen erste Ideen für das BGE ein, die sogar auf die 40er Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurück gehen. Der erste modernere und tatsächlich primär sogar auf die Effizienz der Verwaltung abzielende Vorschlag stammt aus dem Jahr 1962 und wurde von keinem anderen als Milton Friedman vorgelegt, den man etwas unfair oft als den Urvater des Neoliberalismus bezeichnet.

Ups, das BGE aus einer neoliberalen Ecke und gar kein „Sozialprojekt“? Nun, das ist durchaus auch ein Aspekt der Sache und mit Blick auf die AfD bereits vorab: Es ist sogar dort die eigentliche Herkunft des Vorschlags – dazu aber später mehr, hier zuerst mal mehr Wissen.

In der jüngeren Vergangenheit hat das BGE eine Renaissance erfahren, weil viele Wissenschaftler aufgrund der Entwicklung von KI-basierten Technologien eine neue und dieses Mal andere Welle der Automatisierung von Arbeitsprozessen erwarten.

Das ist ein gerne mal schnell beiseite geschobenes Thema, welches ich hier ernsthaft warnend schon mal ein wenig beleuchten möchte: Es ist richtig, dass bisherige Automatisierungstechnologien netto sogar mehr Menschen in Arbeit gebracht haben, als vorher.

Das hatte recht einfache Gründe: Mit moderner Fertigungstechnologie, zu der maschinelle Optimierungen oder Teilautomatisierungen in der industriellen Produktion zählen, konnten viele Fabriken in Niedriglohnländer „exportiert“ werden.

Dort wurden dadurch neue Arbeitsplätze geschaffen und die jeweiligen Volkswirtschaften fingen an, zu wachsen. Das brachte neue Absatzmärkte, die aufgrund der hohen Automatisierung und der schnell skalierbaren Kapazitäten effizient beliefert werden konnten. Dadurch sind global alle Absatzmärkte über Jahrzehnte gewachsen, mit der Folge: Noch mehr Fabriken, noch mehr Arbeitsplätze und noch mehr – vor allem hoch bezahlte – Beschäftigung in den Konzernzentralen der Industrienationen.

Eine Aufwärtsspirale also, unter der als Nebenhinweis unser Planet fürchterlich leidet, aber so ganz kompliziert möchte ich diesen Facebook-Beitrag denn doch nicht machen. Es sei nur der Gedanke platziert: Das ist zwar der Grund für das Netto-Plus an Arbeit und Wohlstand, aber es hat eben auch eine Schattenseite, die nicht mehr und nicht weniger als unser aller Lebensgrundlage gefährdet.

Was wir nun aber sowohl bezüglich der weiter laufenden Aufwärtsspirale als auch mit Blick auf die neuen Automatisierungstechnologien erkennen müssen: Diese Spirale ist nicht nur tödlich für unsere Lebensgrundlage, sie muss sich auch nicht beliebig weiter nach oben drehen. Wir sehen durchaus begrenzende Tendenzen.

Das fängt bei der Lohnentwicklung in vielen Ländern an, die natürlich steigt. Das führt zu einer Art „Produktionskarawane“ über den Planeten. Alle paar Jahre werden Standorte aus Kostengründen in noch günstigere Länder verlagert. Ein Vorgang, der natürlich noch ein paar Jahre weiter gehen kann, aber er ist selbstverständlich endlich. Und man muss halt verstehen, dass der ökonomische Treiber hinter dem Spiel die Subvention der Spirale durch billige Löhne ist. Man kann das aus anderer Perspektive übrigens auch Ausbeutung nennen, aber ich will es wirklich nicht unendlich kompliziert machen – das Buch ist aus vielen Gründen nie fertig geworden.

Wir sehen also, dass dieser Prozess aus mehr Automatisierung zunächst zwar die Weltmärkte weiter nach oben treibt und dadurch netto mehr Arbeitsplätze erzeugt, aber auf einem endlichen Treiber beruht. Hinzu kommen die vielen Negativaspekte, die uns – wieder so eine Nebenbemerkung – grundsätzlich dazu anhalten sollten, das „Ding“ sogar vor seiner „inneren“ Erschöpfung zu stoppen.

Nun kommen aber vollkommen neue, KI-basierte Technologien hinzu, deren Potenzial nicht nur einen weiteren Automatisierungsschub in der industriellen Produktion, sondern vielmehr in nahezu allen Arbeitsprozessen „verspricht“. Da ich als Aufsichtsrat in einer Gesellschaft sitze, die sich an vorderster Front mit diesen Technologien beschäftigt, kann ich dazu nur aus persönlicher Erfahrung sagen: Das Potenzial dieser Technologien wird hinsichtlich der zeitlichen Verfügbarkeit überschätzt, bezüglich ihrer Wirksamkeit zugleich massiv unterschätzt.

Anders ausgedrückt: So schnell wird das nicht zu Veränderungen in den Unternehmen führen, aber es wird mittel- bis langfristig viel mehr bewirken, als wir heute auch nur ahnen können!

Warum das trotz der möglicherweise erst in einer Dekade beginnenden Effekte so ein großes Problem ist, will ich ganz kurz in einem Satz zusammenfassen: Die gesellschaftliche und finanzielle Basis unserer Staatssysteme ist die menschliche Arbeit! Sie gibt dem Menschen Sinn und Wert, sie finanziert unsere Staaten. Wenn diese Basis unter eine gewisse Quote fällt, ist Krise angesagt – und zwar eine, die Staaten nicht sehr lange aushalten.

Die Beschäftigungsquote ist oberstes Gebot jeder Staatsführung, das ist bereits seit Jahrhunderten so. Wir haben es in den 30ern des letzten Jahrhunderts erlebt – mit besonders schmerzhaften Folgen für Deutschland. Es ist seitdem bei jeder Wirtschafts- oder Finanzkrise der Brennpunkt überhaupt, in der Covid-19 Krise sehen wir das erneut.

Wenn wir das umbauen wollen – oder vielleicht sogar müssen – reden wir von einem Prozess, der Jahrzehnte dauert. Daher kann niemand ernsthaft auf Digitalisierung, Globalisierung und die Lebensgrundlagen des Planeten (verkürzt mit „Klima“ ausgedrückt) schauen und sagen: Das hat ja alles noch Zeit. Nein, es brennt!

Dazu übrigens nur ein nüchternes Detail zu den Finanzen: Wir haben in allen Ländern der Erde ein Aufkommen an Steuern und Sozialabgaben, das fast nur durch Arbeit refinanziert wird. Das sind Einkommensteuern, Lohnsteuern, Sozialabgaben auf die Gehälter und vor allem Verbrauchssteuern, die vom Konsumenten bezahlt werden – der dafür aber ein Einkommen braucht. Ein sehr geringer Teil kommt global über Vermögensabgaben hinzu, die aber als endliche Ressource zwar für Umverteilungen, nicht aber für nachhaltige Finanzierungsaufgaben nutzbar sind.

Der kleinste Teil wird von Unternehmen beigesteuert. In Deutschland ist die Körperschaftsteuer beispielsweise inzwischen auf einem Niveau der Tabaksteuer angekommen!

In einem Punkt sind alle Steuerexperten einig: Wir müssen die Refinanzierung unserer staatlichen Aufgaben viel stärker durch Abgaben der Unternehmen leisten. Nur so können wir Automatisierungs- und Globalisierungsgewinne wieder zurück zum Menschen bringen.

Leider hat sich gerade in dem Bereich in den letzten Jahrzehnten ein Wettbewerb von Steueroasen für Unternehmen ergeben, dem kein Land bisher entgehen konnte. Die niedrigen Abgaben der Unternehmen sind also oft diesem verheerenden Wettbewerb geschuldet – und sie werden, auch das nebenbei, auch noch überwiegend von kleineren Unternehmen geleistet, die nicht international ausweichen können.

Alleine der Umbau dieser Steuer- und Sozialfinanzierung ist ein Projekt für Dekaden. Die gesellschaftlichen Herausforderungen geringerer Beschäftigungsquoten, das ganze daran hängende Wertesystem unserer Gesellschaften ist vermutlich weitaus komplizierter.

Ich sage es daher mal so: Sowohl die endliche Spirale der Fertigungskarawanen, als auch die ökologisch erforderliche Begrenzung des Prozesses und die – zumindest denkbare – Änderung in zukünftigen Automatisierungsspiralen erzwingt aus meiner Sicht die ernsthafte Beschäftigung mit einem BGE.

Damit Ende des Wissensteils und Beginn des Meinungsteils: Bereits die Ineffizienzen unseres Sozialstaates als auch die Größe der sehr wahrscheinlich kommenden Aufgabe, mit geringeren Beschäftigungsquoten zurecht zu kommen, legt für mich nahe, das BGE als ernsthaftes Projekt anzugehen.

Gerne vielleicht anfangs als Reform des Sozialstaates ohne zusätzliches Aufkommen. Das BGE alleine ist aber nur ein Baustein der Sache, denn es geht auch um gesellschaftliche Akzeptanz der Beschäftigungslosigkeit sowie um die Staatsfinanzierung insgesamt.

Zu guter Letzt der eigentliche Aufhänger, der natürlich gar nicht die AfD ist, denn deren „Progrämmchen“ ist nichts anderes als eine Mogelpackung: Dahinter steht die neoliberale DNA der Partei, die schließlich immer noch aus dem einen Flügel der Euro-Kritiker besteht: Aus der Ecke kommt in der Tat der jetzige Entwurf eines BGE in Höhe von 500 EUR und das ist nichts anderes als ein brutaler Sozialabbau, den dieser Flügel nach wie vor verfolgt. Man hat hier lediglich einen Betrag oberhalb der Hartz IV Bezüge gewählt, um den Dummen in diesen Kreisen eine Aufwertung verkaufen zu können.

Da der durchschnittliche Bezug von Sozialleistungen aber auch Dinge wie Wohngeld und vieles mehr etc. umfasst, sollte schnell erkennbar sein, dass es sich hier um ein ganz und gar unsoziales Unterfangen handelt.

Nun besteht die Partei aber auch aus dem anderen Flügel, weshalb ich das beigefügte Bild gewählt habe, denn da ist schließlich auch die braune Suppe vertreten. Das fügt sich zusammen, indem man über die neoliberale Mogelpackung ein braunvölkisches Etikett klebt. So nennen sich diese unsozialen Ideen beispielsweise „Bürgergeld für Deutsche“ und das ganze Pamphlet ist durchsetzt von dem Versprechen, dass es nur den „Deutschen“ „zugute“ kommen soll.

Wenn man versteht, dass es hier um Kürzungen geht, mag man das vielleicht so einordnen, wie es sein sollte: Ein rein populistisches Lügenpaket, dessen Tiefe im Sinne von Durchführungsideen übrigens die Stärke eines Bierdeckels locker unterschreitet!

 

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