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Kommentar zur Krisenpolitik der CDU

Die Covid-19 Pandemie hat Deutschland in einer Phase der Erneuerung nahezu des gesamten politischen Führungspersonals getroffen. In Ländern mit vergleichbaren politischen Umbruchsituationen, beispielsweise die USA oder UK, hat sich das stärker bemerkbar gemacht. Man muss der Kanzlerin, der Bundesregierung und letztlich auch den Verantwortlichen in den Ländern zugutehalten, dass sie trotz dieser Situation bisher eine Bilanz erreicht haben, die andernorts unter solchen Bedingungen schlechter ausgefallen ist.

Trotzdem sollten wir wahrnehmen, dass wir sehr wahrscheinlich durch diesen bevorstehenden und leider auch bereits angekündigten Erneuerungsprozess unter unseren Möglichkeiten geblieben sind. Natürlich wird unsere persönliche Agenda immer noch von der Pandemie-Bekämpfung dominiert. Die unserer Regierung müsste deutlich breiter ausfallen. Meine Sorge ist allerdings, dass wir diesbezüglich nicht viel zu erwarten haben, denn offensichtlich muss sich die politische Führung Deutschlands zuerst mal finden und die Pandemie dabei irgendwie überstehen. Das ist gar nicht gut!

Im Zentrum unserer Sorge sollte die stärkste und aller Wahrscheinlichkeit nach auch ab 2021 die Regierung bestimmende Partei stehen. Ganz egal, wie man ihr zugewandt ist: Die CDU/CSU ist für Deutschland maßgeblich und ihre innere Verfassung kann niemandem Freude bereiten. Auch in dieser Partei sind Flügelkämpfe erkennbar und sie ringt mit drei Kandidaten, bei denen weder in der Partei, noch außerhalb, große Euphorie erkennbar ist, um die Nachfolge einer Kanzlerin, deren Zeit beendet ist, die man bei dem, was da gerade passiert, aber zugleich sogar bereits zu vermissen beginnt – ebenfalls ganz egal, wie man genau zu ihr steht.

Wer meint, ich neigte an der Stelle zur Übertreibung, dem empfehle ich nicht weniger als vier in Details sehr verschiedene Medienberichte, die alle aus einer einzigen Sitzung des CDU-Präsidiums stammen, in dem es offensichtlich nur Zoff, Kontroversen und ein Gegeneinander gegeben hat.

Mir geht es hier gar nicht um die konkreten Punkte, obwohl die wichtiger Natur sind. Es ist ein Stimmungsbild aus einem Gremium, das der Kanzlerin bereits länger die Macht entzogen hat und maßgeblich für die Findung der Nachfolge zuständig ist. Der Parteitag wird zwar den Vorsitzenden wählen und das muss nicht automatisch der Kanzlerkandidat sein, ebenso ist nicht das Präsidium alleine die Machtzentrale der Partei, es ist schon etwas komplexer.

Aber das Präsidium in dieser Verfassung ist ein nicht mehr zu verkennendes Symptom für die Lage der gesamten Partei und diese Berichte sind sehr wahrscheinlich nur ein Teil dessen, was in und rund um diese Sitzung abgelaufen ist:

https://www.spiegel.de/…/corona-streit-im-cdu…

https://www.n-tv.de/…/Bouffier-attackiert-Brinkhaus-in…

https://www.rnd.de/…/hotels-an-weihnachten-geoffnet…

https://www.sueddeutsche.de/…/corona-news-merkel-hotels…

Wir können nur froh sein, dass in der offensichtlichen Krise der größten konservativen Partei der rechtsbraune Ausleger in eine Phase selbstzerstörerischen Ringens getreten ist. Nicht auszudenken, wenn die AfD ausgerechnet jetzt organisatorisch oder personell gut aufgestellt wäre.

Dennoch erwähne ich das in dem Kontext nicht ohne Absicht: Das Jahr 2021 ist noch nicht erreicht, es ist lang bis zur Bundestagswahl, die Pandemie hat eine globale Dynamik, in so einer Ausnahmesituation ist politische Stabilität kein Selbstläufer, erst recht nicht bei einem politischen Umbruchprozess, für den kein überzeugendes Personal erkennbar ist.

Das ist insbesondere deshalb wichtig, weil die Pandemie keineswegs vorbei ist und vor allem weil die ökonomischen sowie gesellschaftlichen Folgen vermutlich gerade mal ihren Anfang gesehen haben. Covid-19 wird uns noch sehr lange beschäftigen und damit meine ich nicht primär die gesundheitlichen Herausforderungen.

Die Dynamik beginnt nur bei den finanziellen Herausforderungen jeder Nation und den entstandenen Spannungen in den einzelnen Gesellschaften, sie setzt sich fort in den Kontinenten, die bereits vor Covid-19 überwiegend ihre spezifischen Konflikte hatten. Für Deutschland relevant sind hier die Situation in der EU, dem Euro-Raum, dem Brexit und der transatlantischen Beziehung sowie den in Asien/Ozeanien mit großer Dynamik durchstartenden Volkswirtschaften.

Das sind alles Prozesse, die keineswegs nur Risiken, sondern auch sehr große Chancen beinhalten. Man sieht vor allem in Asien, dass dort Regierungen in der Lage sind, mit der Kraft der Krise Allianzen abzuschließen und neue Themen voranzutreiben. Schaut man auf die Agenda, verspricht auch die neue US-Regierung solche Kräfte zu entwickeln – aber wir sollten uns nichts vormachen, auch Biden hat sehr viele protektionistische Adern.

In so fragilen Situationen kommt sehr viel auf die gesellschaftliche Reaktion an. Wir haben in Umbruchzeiten beispielsweise nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in Osteuropa mit erstaunlicher Geschwindigkeit und mit ebenso erstaunlich unterschiedlichen Ergebnissen neue politische Konstellationen erlebt.

Vielleicht ist es 2021 an der Zeit, dass jeder von uns eine Zäsur zulässt und sein Denken neu ausrichtet. Wir sind es gewohnt, in parteipolitischen Symmetrien zu denken. Wir finden die einen schon immer gut und die anderen schlecht. Wir orientieren uns nach Zielen und Werten, denen wir unseren Fokus geben und bewusst oder unbewusst folgen wir denen – auch bei Wahlen – die dem möglicherweise am besten Rechnung tragen.

Das sind Gewohnheiten, das ist Alltag, das haben wir schon immer so gemacht. Wir sollten das 2021 ändern, jeder für sich und auch bei der Bewertung, wo wir als Gesellschaft und als Land 2030 stehen wollen. Daran sollten wir uns messen und die, die sich im Herbst nächsten Jahres darum bewerben, uns dahin zu führen. Wenn wir dann feststellen, dass die, denen wir normalerweise folgen würden, nicht mehr zu uns passen, sind wir weiter, als die falschen Kandidaten, die da vielleicht stehen.

Je früher wir alle das zum Ausdruck bringen und klar machen, dass wir aus der Krise nicht zurück, sondern besonders weit nach vorne blicken wollen, desto mehr Einfluss haben wir möglicherweise sogar schon vorher auf die Programme und Personen, die uns im Herbst zur Wahl gestellt werden.

Politik darf keine Einbahnstraße mehr sein. Wir können als Gesellschaft nicht mehr warten, was uns serviert wird. Wir müssen unsere Vorstellungen und Forderungen deutlich machen, wir müssen Angebote einfordern, die unsere Wahl verdient haben.

Es geht nicht um den Skiurlaub oder das Weihnachtsfest 2020. Es geht nicht um den Erhalt oder den Wiederaufbau alter Strukturen. Es geht nicht um die Normalität von 2019. Im Gegenteil haben wir 2020 vom Schul- und Bildungswesen über die Digitalisierung mit dem Niveau Zentralafrikas bis zur Situation unzähliger Solo-Selbständiger, Freischaffender, Kleinunternehmer sowie davon Abhängiger viele Missstände kennen gelernt, um deren „Normalität“ es hoffentlich nie wieder gehen wird.

Es geht darum, die erkannten Missstände aufzuarbeiten. Die Welt ist in dynamischen Veränderungen, das ist durch 2020 beschleunigt worden. Es geht um unsere Zukunft. Wir brauchen keine Leute, die uns in eine Vergangenheit zurück bringen, die ihre Belastungsprobe nicht bestanden hat.

Wir brauchen kein Führungspersonal, das uns das Lied vom Gestern singt oder gar mit Konzepten von Vorgestern daher kommt. Wir brauchen keine Kuschelkommunikation mit der parteipolitisch üblichen Klientelbeschallung.

Krise bedeutet Kraft zur Erneuerung. Darüber sollten wir reden, dann wird die Politik es auch tun!

 

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