Es geht das Gerücht, heute beginne das Weihnachtsfest 2020. Bei mir fällt es sehr bescheiden aus und das finde ich ausgesprochen entspannend. Ich wünsche mir, dass es in möglichst vielen Familien genauso zugeht – ohne Stress, ohne zu viele Kontakte und ohne den Gedanken eines großen Verzichts, sondern vielleicht gar – wie bei mir – den eines Gewinns?
Sofern das in den meisten Familien so gehandhabt wird, wie in meiner, gibt es erste kleine Signale einer Besserung, die ich heute zur Bescherung gerne übermitteln möchte. Dies als Einleitung zur nüchternen Analyse, die leider auch zum heutigen Tag dazu gehört.
Die gute Nachricht ist bereits etwas älter, sie stammt von der „Testfront“. Die Daten des folgenden Charts gehen leider nur bis zum 20. Dezember, da sie wöchentlich veröffentlicht werden. Es sind die Testergebnisse der ALM-Labore, die wir aufgrund ihrer Menge als repräsentativ sehen können, denn zuletzt wurden hier um die 90% aller Tests in Deutschland durchgeführt (zweites Bild). Ich habe zwei Bereiche markiert, in denen die Entwicklung der Positivquote im Verhältnis zu den Infektionszahlen erkennbar ist.
Wie bereits früher erläutert, haben wir in Deutschland keine repräsentative Teststrategie, sondern unverändert die – gescheiterte – Idee, tatsächliche Fälle und deren Umfeld zu entdecken. Gleichwohl werten wir die daraus gemeldeten Infektionsdaten immer so aus, als seien sie repräsentativ für das tatsächliche Geschehen. Wie ebenfalls sehr oft erläutert, leite ich daraus jedoch nur die jeweilige Wachstumsrate ab, um zu bewerten, in welche Richtung wir in der Folgezeit insbesondere bei den klinischen Daten steuern. Das ist also eine reine Trendanalyse und Sätze wie „nachweislich haben sich in den letzten 24h“ so und so viele Menschen infiziert, neue Höchststände oder was auch immer finden sich hier daher niemals.
Die Trendanalyse hat den Vorteil, dass sie eine ohnehin unvermeidliche Dunkelziffer der Infiziertendaten herausrechnet. Sie kann aber nur gelingen, wenn die Daten in sich konsistent bleiben. Das ist mit dem Zusammenbruch der Nachverfolgung durch die Gesundheitsämter im Laufe des Oktobers nicht mehr der Fall gewesen (erste Markierung), denn hier ist die Positivquote stärker gestiegen als die Infektionszahlen und das ist rein rechnerisch ein Widerspruch, der unstrittig die Konsistenz der Daten in Frage stellt. Seitdem habe ich daher von einer „diffusen“ Lage berichtet. Diese könnte sich nun endlich aufgelöst haben, denn seit einigen Tagen laufen diese Daten wieder parallel (zweite Markierung).
Dies vorausgesetzt folgt nun zuerst mal ausnahmsweise der Blick auf die schrecklichsten klinischen Daten, die Sterbefälle, die gerade auch an Weihnachten 2020 nicht übersehen werden dürfen. Ich habe hier zwei Trendphasen abgegrenzt und durch eine lineare Approximation des logarithmischen Charts skizziert. Ich bitte zu beachten, dass ich hier nur mit Handzeichnungen arbeite, weil meine numerischen Analysen endlose Tabellen erzeugen, die sich nicht mal Mathematikern erschließen würden, da ich an vielen Parametern wie beispielsweise den Trendphasen ständig Veränderungen vornehme. Das Chart ist also nur eine Illustration und keine präzise Kurvendiskussion!
Grob gesagt sehen wir bei den Sterbefällen zwei größere Trends: In der zweiten Oktoberhälfte einen sehr starken Anstieg bei niedrigen Tageszahlen unter 100 Opfern, die leider – wir erinnern uns hoffentlich noch sehr lange daran – zu den jegliche exponentielle Charakteristik ignorierenden Beruhigungspillen aus allen möglichen Quellen geführt haben. Ab der zweiten Novemberhälfte sehen wir dann bis heute einen weniger steilen, aber immer noch ansteigenden Trend, der sich – dies sind die 7-Tage Werte – im Wochenmittel auf über 600 Fälle entwickelt hat. Das ist also trotz Abflachung mehr als eine Versechsfachung, bei exponentiellen Prozessen ist das leider so und exponentielle Sterbezahlverläufe machen da leider keine Ausnahme.
Dieser Trendwechsel zu einem langsameren Anstieg dürfte wie im Frühjahr auf die gesellschaftliche Reaktion bei steigenden Zahlen und dann auf den Lockdown light zurück zu führen sein, dessen begrenzte Wirkung wir hier leider erkennen müssen. Ebenso ist nun kaum mehr davon auszugehen, dass es den Seitwärtstrend bei den Infektionen jemals gegeben hat. Vielmehr wird die oben aufgezeigte Phase mit dem Überwachstum der Positivquote die Dunkelziffer hoch getrieben haben.
Leider ist daher zu erwarten, dass diese fürchterliche Kurve mit den Todesfällen und damit verbunden der Druck auf die Intensivstationen bis zum Einsetzen der Wirkung der verschärften Maßnahmen von Mitte Dezember weiter steigen werden. Sofern wir exakt in diesen Tagen nun trotz der Feierlichkeiten umsichtig und vorsichtig bleiben, könnten wir gegen Mitte Januar mit dem klinischen Peak der zweiten Welle rechnen. Das wir bis dahin die 1.000 Opfer im Tageswert überschreiten und zudem regional keine Vollversorgung für alle Patienten mehr möglich sein wird, ist bereits traurige Realität.
Wir sollten das auch an den Weihnachtstagen akzeptieren und zugleich dafür sorgen, dass es tatsächlich Mitte Januar endlich besser wird.
Sehr interessant ist für mich die Feststellung, dass sich bei den von mir parallel beobachteten epidemiologischen Modellen gleich zwei auf genau die Interpretation synchronisiert haben, die ich seit Anfang November favorisiere und seit einer Woche als gegeben betrachte. Demnach ist in der Tat ein Abflachen, aber kein Abknicken der Neuinfektionen mit dem Lockdown light gelungen.
Der gute Teil dieser Nachricht lautet aber: Der in den Infektionsdaten seit Anfang Dezember ausgewiesene Anstieg, der uns so viele Fragezeichen brachte, weil wir keine Erklärung dafür hatten, warum unter dem Lockdown light nun so ein doch recht heftiger Anstieg erfolgte, findet nach meiner Interpretation eine ganz andere Auflösung: Es hat diesen Anstieg gar nicht gegeben, er ist vielmehr darauf zurückzuführen, dass unser Testsystem sich wieder der tatsächlichen Entwicklung annähern konnte. Auch dies nur skizziert im folgenden Chart, anhand der logarithmischen Kurve der Neuinfektionen.
Die entscheidende Frage ist nun aber, wie der aktuelle Trend aussehen mag. Dazu gibt es in Verbindung mit den seit einigen Tagen nun wieder vertrauenswürdigen Testdaten einen ersten Lichtblick, der auch kaum überraschen kann, denn wir müssten nun mit der Verschärfung der Maßnahmen seit Mitte Dezember in den kommenden zwei Wochen ein Abflachen und dann ein Abnicken dieser Kurve zu sehen bekommen.
Die wirklich gute Nachricht des heutigen Tages lautet: Das ist bereits erkennbar! Ich zeige dazu den linearen Chart derselben Daten, weil man hier oben rechts markiert den sich ankündigenden Trendwechsel besser erkennt. In den Daten ist diese kleine Markierung tatsächlich der Beginn eines sich abflachenden Bogens!
Wäre heute nicht Weihnachten, würde ich das gar nicht erwähnen, denn von Trends spreche ich in der diffusen Datenlage seit einigen Wochen erst dann, wenn die sich über mehrere Tage stabilisieren. Das war offensichtlich auch nicht so ganz falsch.
Dennoch möchte ich explizit vor diesen Festtagen mit meinem Fazit enden: Wenn ich das richtig analysiert habe, hat der Lockdown light durchaus gewirkt, leider zu schwach, aber wir hätten bereits jetzt weitaus schlimmere Daten aus den Krankenhäusern. Auch dieser Preis wurde also nicht umsonst bezahlt. Da es zu schwach war, sollten wir trotzdem bis Mitte Januar mit weiter steigenden Zahlen in den Krankenhäusern rechnen, ohne den Mut zu verlieren. Denn: Sofern wir nun nicht die Verantwortung an den Feiertagen verlieren, dürften wir recht bald sehen, dass die Verschärfung der Maßnahmen den Trend bereits gebrochen hat, dass wir also gerade an Weihnachten 2020 in Wahrheit erstmals seit Herbst tatsächlich sogar fallende Infektionszahlen geschafft haben.
In diesem Sinne wünsche ich einen besinnlichen Heiligen Abend und verbinde das mit einem Foto, das mir bei einer herrlich einsamen Wanderung in meiner Wahlheimat heute sehr früh gelungen ist. Ein karger Zweig voller Schönheit mit dem verwaschenen Sonnenlicht in einem Bachlauf dahinter. Aus meiner Sicht sinnbildlich für diese sehr spezielle Weihnachtsbotschaft.