Das Landgericht München hat eine Kooperation zwischen dem Bundesgesundheitsministerium und Google vorläufig untersagt. Das Projekt hatte Gesundheitsminister Spahn bereits im November vorgestellt. Das Ministerium betreibt ein Portal unter „gesund.bund.de“, die Kooperation sieht vor, dass bei bestimmten Suchabfragen zu Gesundheitsfragen auf Google Infoboxen des Portals eingeblendet werden. Dagegen hatte unter anderem der Burda-Verlag geklagt, der eigene Gesundheitsportale betreibt.
Das Urteil könnte das Dilemma, vor dem wir bei der Regulation der neuen Medien stehen, nicht besser beschreiben. Ich hatte das auf meinem Facebook-Profil, also quasi an einem der „Tatorte“ häufiger zur Diskussion gestellt und immer wieder sehr kontroverse, teilweise hilflose Debatten erlebt, die bestätigen, wie schwierig die Situation ist.
Nun ist das Thema spätestens seit der „Causa Capitol“ in den USA ohnehin nicht mehr aufzuhalten und auch die EU-Kommission, namentlich die dafür zustände Kommissarin Margrethe Vestager, hat die Sache auf der Agenda: „Soziale Netzwerke sind ein systemisches Risiko für die Demokratie“ verkündet sie. Ob man das nun so klar und drastisch sieht, wie Vestager, deren Tenor ähnlich klingt, wie der aus der Politik in den USA, mag jeder für sich bewerten, aber ein „weiter so“, was ich teilweise aus den Facebook-Kommentaren entnehmen konnte, ist kaum mehr eine Option. Alleine schon mit Blick auf die politischen Ideen zur Regulation sollten wir als Gesellschaft das Thema annehmen. Wenn wir es nämlich nicht aufhalten, könnten – wie überraschend – weitere Blaupausen der bestehenden Medienregulation Ihren Weg nehmen. Ob nun die USA von einer privatwirtschaftlichen Lösung mit quasi eingebauten „Senderechten“ der Politik oder Europa von einem weiteren öffentlich/rechtlichen System profitieren, sollten wir alle unbedingt mit diskutieren und wenn möglich mitgestalten.
Es ist aber nicht nur der ohnehin beginnende politische Prozess, den wir nicht wie vielleicht die Neuordnung des Bananenmarktes einfach mal den dafür zuständigen Gremien überlassen sollten, es ist auch der anhand des genannten Urteils erkennbar unbefriedigende Status quo, denn: Das Urteil ist vollkommen berechtigt, die Klage der betroffenen Verlage ist es auch und zugleich ist die geplante Kooperation des Bundes mit Google vollkommen angebracht. Was also wie ein „Trilemma“ klingt, ist noch viel schwieriger. Die Google-Dienste haben mit denen von Facebook eine Art Welt-Oligopol (ex China) gebildet, das durch Anbieter wie Twitter nur in einem ergänzt wird: Das sind privatwirtschaftliche Unternehmen mit einer in so wenigen Händen niemals erreichten Informations- und Meinungsbildungsmacht.
Das wird oft negiert mit dem Hinweis, die Plattformen erzeugten keine eigenen Inhalte und deren Verteilung erfolge rein algorithmisch. Da sitze also niemand, der so etwas wie Meinungsbildung betreibe. Diese Sicht ist aber vollkommen falsch: Erstens geht es bei der Meinungsbildung nicht um die Frage der Absicht, sondern zunächst alleine um die Wirkung. Es spielt gar keine Rolle, ob diese Plattformen meinungsbildend wirken möchten oder nicht, sie tun es. Zweitens ist der Blick auf die neutralisierende Funktion von Algorithmen mehr als naiv, denn Algorithmen verfolgen einen dedizierten Zweck, das ist ihre Daseinsberechtigung. Und den Zweck geben ihre Erschaffer vor, also die fraglichen Unternehmen. Insofern sind Algorithmen sogar wirkmächtigere Werkzeuge menschlichen Willens, als alles, was wir seit der Erfindung des Buchdrucks, der Dampfmaschine und auch der Kalaschnikow jemals kannten.
Das ist wunderbar erkennbar an dem Beispiel mit dem Gesundheitsportal. Google ist eine der meistgenutzten Informationsquellen. Die Suchmaschine stellt bekanntlich aus Milliarden an Internetquellen eine Trefferliste zu unseren Suchanfragen zusammen. Die meisten Nutzer kommen über die erste Seite der Treffer, also maximal ein Dutzend Quellen, nicht hinaus. Ambitioniertere lesen weiter oder suchen mit alternativen Begriffen. Gleichwohl kann niemand dem Algorithmus entkommen, selbst eine vertiefte Recherche wird nicht mehr als eine zwei- bis dreistellige Quellenauswahl einbeziehen. Alles andere verschwindet hinter dem Algorithmus, made by Google & Co.
Nun trösten sich viele damit, dass sie die gebotenen Inhalte immerhin noch selbst lesen und bewerten, aber vielleicht werden selbst die größten Optimisten in Sachen eigener Urteilsfähigkeit nachdenklich, wenn sie sich klar machen, dass sie die allermeisten Inhalte aufgrund der Wirkungsweise des Algorithmus ja gar nicht ihrem kritischen Verstand zuführen können. Tatsächlich funktioniert die Meinungsbildung natürlich viel simpler, vor allem bei den Fragen, für die wir wenig Zeit, eine hohe Bequemlichkeit, wenig Vorwissen und nur eine geringe Aufmerksamkeit mitbringen. Jeder mag für sich beurteilen, für wie viele Meinungsbildungen des täglichen Alltags das so gilt – ich behaupte mal: Für die überwältigen Mehrzahl ist das ganz genau so!
Das ist leider der Grund, weshalb die Meinungsbildungsmacht dieser Algorithmen, ob nun gewollt oder ungewollt, so groß ist. Was Google auf der ersten Seite zeigt, existiert, was Google dort nicht zeigt, existiert nicht. Das gilt für die Filterliste der Facebook-Seite oder für die von Twitter genauso. Das weiß Google sehr genau, die EU-Behörden wissen es inzwischen ebenso. Die Idee, in der Suchmaschine durch herausgehobene Infoboxen Inhalte besonders hervorzuheben und anzupreisen, hatte Google schon vor Jahren. So werden beispielsweise Inhalte der Wikipedia strukturiert hervorgehoben oder Anfragen zum Wetter gleich mit hübschen Grafiken für den Verlauf über mehrere Tage aufgemacht.
Was so harmlos und nützlich klingt, kann erhebliche Wirkung haben. So hat Google seinen Maps-Dienst genau mit solchen Sonderaufmachungen nach vorne gebracht. Sobald sich mit einer Suchanfrage irgendwelche Lokalisierungsinformationen umsetzen lassen, werden die als Verlinkung auf den Maps-Dienst aufbereitet und führen diesem milliardenfach Nutzer zu. Das klingt nützlich und das ist es selbstverständlich. Auch für Google. Denn die haben damit den Markt der Kartographie- und Navigations-Anbieter schlicht zerstört – zu eigenen Gunsten. So etwas ist – jenseits der Medienregulation, die für Google bis heute nicht gilt – verboten. Ein Unternehmen darf eine marktbeherrschende Stellung in einem Markt nicht nutzen, um sich damit Wettbewerbsvorteile in einem anderen Markt zu verschaffen. Es darf dies auch nicht tun, um einseitig bestimmten dritten Anbietern so einen Vorteil zu verschaffen.
Unter anderem darauf basiert das genannte Urteil. Diese „Sonderformate“ in der Google-Suche sind spätestens seitdem das Unternehmen damit einen Großteil des Marktes von Karten- und Navigationsdiensten an sich reißen konnte, unter strenger Beobachtung. Daher hatten die Richter aus München auch gute Vorlagen, wie das zu bewerten ist. Man sieht aber an der Stelle, wie schwer sich unser Rechtssystem tut, diese neuen Plattformen überhaupt richtig zu greifen. Gegen das genannte Beispiel mit der Bevorzugung von Google-Maps sind betroffene Unternehmen lange vorgegangen. Genutzt hat es keinem. Die EU-Kartellbehörden haben viel zu lange gebraucht, den Vorgang zu verstehen, die Frage der beteiligten „Märkte“ abzugrenzen und den Verstoß zu erkennen. Das ist zwar letztlich passiert, aber die klagenden Unternehmen waren zwischenzeitlich in der Bedeutungslosigkeit verschwunden und den Markt, den es zu verteidigen galt, gab es zum Abschluss des Verfahrens gar nicht mehr.
Das vorliegende Beispiel ist aber noch viel komplexer, denn hier geht es über das Kartellrecht hinaus. Wir sprechen hier nicht nur von den wirtschaftlichen Interessen, die Basis für die klagenden Verlage ist, sondern darüber hinaus über eine gesellschaftlich/medientechnische Dimension: Selbstverständlich ist es gerade in einer Pandemie in Anbetracht der Problematik einer Flut von Falschinformationen ungemein sinnvoll, wenn staatlich abgesicherte Sachinformationen nicht durch einen privatwirtschaftlichen Algorithmus weggefiltert werden. Zugleich kann es in einer Demokratie aber nicht darum gehen, dass nur staatliche Informationen da stehen. Diesen Platz dürfen aber nun auch nicht nur die Verlage für sich beanspruchen oder mit beanspruchen, die besondere wirtschaftliche Interessen nachweisen können.
Mehr als diesen Streit gibt die aktuelle Rechtslage aber nicht her und das – vorläufige – Urteil kann auch nichts anderes tun, als die Auswahl der Inhalte denn doch wieder in die Hand von Google zu legen. Wie unbefriedigend das ist, erkannt man alleine an der Tatsache, dass dieses Vorgehen momentan rechtlich nicht angreifbar wäre, wenn die Kooperation zwischen Google und dem Gesundheitsministerium nicht diese gesonderte Aufmachung vorgesehen hätte, sondern einfach nur auf Ebene des Algorithmus durchgeführt worden wäre.
Ein „weiter so“ kann erkennbar nicht im gesellschaftlichen Interesse liegen. Es darf auch nicht dabei bleiben, dass wir es bezüglich der großen Plattformen bei bestehenden Rechtssystemen belassen, die sich insbesondere auf Wettbewerbsfragen oder rechtswidrige Inhalte beschränken. Es geht um mehr als ums Geld und es geht um mehr als die Wahrung rein rechtskonformer Inhalte. Es geht um Meinungsfreiheit, um öffentlichen Austausch ohne Diskriminierung, um Meinungsvielfalt. Nur das gewährt eine Meinungsbildung, die für eine Demokratie grundlegend ist.
Die aktuelle Diskussion in der US- und in der EU-Politik geht zwar scheinbar in diese Richtung, sie interpretiert aber Meinungsvielfalt durch die Verfügbarkeit von Kanälen für die politischen Akteure, also Parteien und Amtsträger.
Das kann es nicht sein und wenn wir das so nicht wollen, dürfen wir uns als Gesellschaft die Debatte nicht wegnehmen lassen.