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Globale Unterschiede der Wettbewerbsfähigkeit brauchen neue Antworten

In seinem Gastbeitrag für den Tagesspiegel beschreibt der ehemalige Außenminister Joschka Fischer in wenigen Zeilen die geopolitische Entwicklung der letzten 70 Jahre. Eine in der Kürze der Darstellung gelungene Beschreibung, die mit der Feststellung endet, die deutsche Politik sei in der letzten Dekade ganz wesentlich durch den Erhalt des Geschäftsmodells „Export“ geprägt gewesen.

Dem kann man sich als Gesamtfazit sehr gut anschließen. Auch die Zuspitzung auf die nun entstehende Konfliktsituation aus der Abhängigkeit zu den USA in sicherheitspolitischen Fragen versus der zu China bezüglich des Export-Motors ist sicher richtig.

Demgegenüber schwach fällt die geforderte Lösung auf, denn der Appell, es bedürfe „starker Überzeugungen und fester Werte“ an sich ist doch etwas leer. Selbstverständlich sind eigene, insbesondere europäische Werte in der geopolitischen Konfliktsituation eine unverzichtbare Basis für jede Politik. Aber es geht doch primär um die Frage der Mittel und Wege, mit denen diese Werte durchsetzbar wären.

Dazu lohnt ein Blick auf das Geschäftsmodell, denn die Exportorientierung hat neben zweifellos positiven Wirkungen für den Wohlstand Deutschlands auch Nebenwirkungen. Eine ist beispielsweise im laufenden Pandemie-Management erkennbar, denn trotz aller Mängel der operativen Leistungsfähigkeit unserer staatlichen Strukturen, ist eine erfolgreiche Strategie wie in Norwegen, Neuseeland, Süd Korea oder Taiwan wohl auch daran gescheit, dass die Aufrechterhaltung der industriellen Produktion sowie der Lieferketten eine Art Demarkationslinie sind, denen sich die Politik auch seitens des Bundeskanzleramts nicht nähern wollte.

Ob es dabei bleiben kann, wird um Haaresbreite zwischen wesentlich aggressiveren Mutationen einerseits und staatlicher Leistungsdefizite andererseits erst noch entschieden. Eine konsequentere Impfstoffbeschaffung sowie der Aufbau einer modernen Testinfrastruktur sind eine schmerzhafte Lücke der Strategie, die deren Kern, die Aufrechterhaltung der Produktion, schlimmstenfalls doch noch beschädigen könnte. Dass aus opportunistischen Gründen zusätzlich auch noch Urlaubsfreuden und Partikularinteressen besonders von der Schließung betroffener, aber für die deutsche Volkswirtschaft nun mal unbedeutenden Branchen, Berücksichtigung fanden, wäre dann ein besonders teurer Fehler. Klüger wäre es gewesen, die Schließungen konsequenter zu gestalten und die Entschädigung der betroffenen Unternehmen sowie Personen gezielter zu leisten, um den zweifellos erforderlichen gesellschaftlichen Ausgleich zu leisten.

Das zeigt, auf welch erbärmlichen Level sich die Politik momentan bewegt. Leider ist insbesondere die Politik in Europa nahezu gefesselt in ihrem jeweils nationalen Pandemie-Managementdesaster. Dabei entwickelt gerade diese Pandemie eine gewaltige geopolitische Beschleunigung, das beschreibt Fischer viel zu undeutlich. Die bereits vor der Krise erkennbaren Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit nehmen zu, der Trend, dass diese weiter auseinander driften, beschleunigt sich.  Das werden wir auch national sehen, denn viele von der Pandemie profitierende Branchen werden gestärkt aus ihr hervor gehen und viele Verlierer werden nur einen Teil des Verlusts wieder aufholen können, nicht wenige wird es gar nicht mehr geben. Dasselbe passiert gerade aber auch global, insbesondere aufgrund des deutlich überlegenen Pandemie-Managements in Ostasien. Daher ist nicht nur die Organisation eines nationalen Ausgleichs zwischen Gewinnern und Verlierern, der bisher weitgehend misslingt, sondern dessen globale Gestaltung dringender denn je!

Wir sehen bereits weit vor Covid-19 weltweit in den meisten Ländern eine zunehmende Spreizung der ökonomischen Situation von Unternehmen, die durch die Globalisierung profitieren, gegenüber solchen, die plötzlich durch Wettbewerb aus fernen Ländern nur noch dahin siechen. Besonders drastisch ist das in den USA erkennbar, wo sowohl die modernsten Digitalimperien mit zuvor ungeahnten Wertschöpfungen als auch vollkommen marode alte Industriebranchen existieren.

Die meisten Unternehmen in Deutschland haben sich aufgrund ihrer Exportorientierung bereits frühzeitig auf den globalen Wettbewerb fokussiert. So ist dieser Exportmotor entstanden, so ist es gelungen, dass hierzulande mehr Weltmarktführer als Weltmarktverlierer entstanden sind. Es gibt keinen Grund, das klein zu reden und sich dafür von populistischer Politik in Europa oder zuletzt in den USA gar anprangern zu lassen. Es gibt aber auch keinen Grund, die Nachteile und Gefahren zu übersehen.

Die reinen Verfechter marktwirtschaftlicher Lehre des letzten Jahrhunderts, eine Schule, die auch ich durchlaufen habe, belassen es meist bei der Feststellung, man könne Deutschland seine Überlegenheit im freien Wettbewerb nicht vorwerfen, die Unterlegenen müssten halt wettbewerbsfähiger werden. Das läuft auf die Idee hinaus, in der Bundesliga sollten doch alle Mannschaften stets gewinnen. Das Modell sozialer Marktwirtschaft dieser Schule basiert sehr grob gesagt auf der Idee, Ungleichheiten im freien Wettbewerb zuzulassen, um dann über staatliche Ausgleichsleistungen mittels Besteuerung eine Umverteilung von Gewinnern zu Verlierern vorzunehmen.

Oft wird es so dargestellt, dass dieses Modell sich grundsätzlich von dem der USA abhebt. Das halte ich für überbewertet, denn es handelt sich doch eher um eine andere Interpretation und sicher auch Quantität der Umverteilung. Sehr grob gesagt entsteht dadurch auch der Effekt, dass die USA normalerweise Krisen in der Ökonomie und in der Folge auch in der Gesellschaft, tiefer, dafür aber kürzer durchlaufen.

Nicht nur, aber auch aufgrund des geringeren Grades staatlicher Umverteilung sehen wir in den letzten Dekaden in den USA eine stärkere Spaltung der Gesellschaft. Also innerhalb eines Wirtschaftsraums, der zumindest bis 2020 der größte und erfolgreichste der Nachkriegszeit war, bis er in dieser Rolle vielleicht beginnend bereits ab 2021 von China abgelöst wird. Diese oft gelesene Klassifikation der USA als führende Wirtschaftsmacht ist aber genau genommen falsch, denn zumindest bis 2020 war ein anderer Wirtschaftsraum der weltgrößte: Die EU! Ebenso ist es falsch, die USA oder jetzt China als wichtigste Handelspartner des deutschen Exportmotors darzustellen, denn auch dies ist die EU.

Betrachtet man daher nicht nur die Situation Deutschlands, wie Fischer es tut, sondern die der gesamten EU, so kommt man zu dem Ergebnis, dass die Lage der in den USA nicht unähnlich ist: Während einige Branchen vom Welthandel enorm profitieren, gibt es zugleich viele Brachen, die zudem aufgrund der diesbezüglich anderen Politik in der EU mittels staatlicher Stützung jeglicher Art weiter am Leben gehalten werden. Unglücklicherweise verteilt sich das zudem über die Nationen der EU sehr unterschiedlich.

Konsequenz sind in der EU ebenfalls viele gesellschaftliche Spaltungen und diese hervor rufende populistische Strömungen in der Politik. Die Wettbewerbsunterschiede sind ferner in den Staatshaushalten immer sichtbarer. Die Überschuldung hat in vielen Ländern längst Höhen erreicht, die nicht mehr zurück zu führen sind, zumal diese Länder in einer Abwärtsspirale aus mangelnder Wettbewerbsfähigkeit und damit mangelnder Ressourcen zur Modernisierung stecken.

Genau so, wie die klugen Leute aus dem Silicon Valley in den USA längst erkannt haben, dass so ein einseitiger Wettbewerbsvorteil nicht auf Dauer ohne Ausgleichsmaßnahmen funktionieren kann, weshalb sie überwiegend die Politik der Demokraten unterstützen, sollte auch Deutschland verstehen, dass die EU als Handelspartner so auf Dauer nicht funktionieren kann.

Die erforderliche Weiterentwicklung des marktwirtschaftlichen Modells bedarf nun zweier Erkenntnisse: Erstens sind es zunehmend die besonders stark profitierenden Unternehmen, von denen die Umverteilung ausgehen muss. Zweitens ist sie global erforderlich. Das bisherige Modell sieht die Bürger im Zentrum und an der Stelle eine Umverteilung über Einkommen- oder Vermögensteuern sowie Sozialabgaben. Die große Wertschöpfung der heutigen Zeit passiert aber zunehmend auf der Ebene von immer weniger Unternehmen – und zwar global. Nutznießer sind zwar auch die Beschäftigten dieser Unternehmen, aber das sind wenige Personen und sie leben meist in Ländern, in denen die Unternehmen nur Teile ihrer globalen Wertschöpfung erzielen. Vor allem aber schaffen die Unternehmen es, sich selbst weitgehend einer Besteuerung zu entziehen, weshalb eine Umverteilung gar nicht erfolgen kann. Das wiederum macht diese Unternehmen so wertvoll und erzeugt gigantische Gewinne bei deren Besitzern. Dadurch entsteht – teilweise – das enorme Vermögensungleichgewicht auf der Welt, welches in den Gesellschaften ebenfalls zunehmend Probleme mit sich bringt.

Ein zukünftiges ökonomisches Modell sollte daher die Rolle der Unternehmen als wesentliche Ressource zur Finanzierung staatlicher und gesellschaftlicher Aufgaben im Fokus haben und das sollte global angelegt sein. Dann muss auch nicht die Quadratur des Kreises einer Wettbewerbsfähigkeit aller weiter diskutiert werden und ein Exportmotor schwächt nicht mehr die wirtschaftliche Basis seiner eigenen Absatzmärkte.

Insbesondere unter Steuerexperten ist die erforderliche Refinanzierung von Staaten über die Unternehmensbesteuerung bereits sehr lange bekannt. Leider hat der Steuerwettbewerb unter den Nationen in diesem Bereich zum Gegenteil der erforderlichen Steuerbasis geführt. In Deutschland beispielsweise dümpelt das Aufkommen der Körperschaftsteuer auf dem Niveau der Tabaksteuer.

Tatsächlich hat es vor allem in der EU sowie in den USA aber bereits seit Jahren Bestrebungen – und auch Erfolge! – gegeben, die Unternehmensbesteuerung einheitlicher zu regeln. Ebenso sind diese Nationen immer wieder gegen übertriebene Steueroasen vorgegangen. Ein Weg mit ständigen Rückschlägen, aber auch mit Fortschritt. Es ist also falsch, wenn Politiker in der Sache schnell das Handtuch werfen und mit der Keule der Unmöglichkeit winken.

Das Thema ist viel zu wichtig, um nicht – gerade jetzt! – weiter entwickelt zu werden. Die neue US-Regierung hat exakt das auf ihre Agenda genommen und sie verfolgt einen internationalen Weg. Natürlich will man das zunächst deshalb, weil sowohl die eigenen Unternehmen als auch die internationalen auf dem großen nationalen Markt viele Erfolge haben, die an der US-Steuerkasse vorbei gehen. So ist auch die Situation Deutschlands nicht einfach, denn viele Modelle, die derzeit diskutiert werden, würden für die deutsche Industrie eher eine Belastung bedeuten.

Zugleich macht es aber keinen Sinn, den Exportmotor weiter mit allen Nachteilen zu betreiben und so zu tun, als führten die nicht irgendwann zu großen Problemen. Bevor die Asymmetrie der EU-Ökonomien zu einer kollektiven Schieflage führen, sollte hier dringend umgedacht werden. Da einige Kernbranchen des deutschen Exporterfolgs zudem ihren Vorsprung eingebüßt haben, wäre es möglicherweise sehr klug, gerade jetzt auf ein neues Modell globaler Umverteilung zu setzen.

Mit Biden im Weißen Haus und Yellen im Finanzministerium könnte das Thema weiter entwickelt werden. Es würde Wettbewerbsvorteile weiter belohnen, diesen aber die fremd- und letztlich selbstzerstörende Wirkung nehmen.

Zudem wäre es die richtige Antwort auf China, denn die haben das schon längst umgesetzt. Kein Unternehmen kann auf dem chinesischen Markt aktiv werden, ohne maßgebliche Teile seiner dortigen Wertschöpfung da zu lassen.

So sollte es überall sein – aber eben nicht mittels eines autokratischen Regimes, sondern unter freien Gesellschaften als gemeinsame und identische Regel für alle festgelegt. Genau da gehören die Werte nämlich hin.

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