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Die Aufarbeitung der Krise im Gesundheitswesen wird hoffentlich ergebnisoffen erfolgen

Der Chef der Helios-Kliniken, Francesco De Meo, hat in der FAZ ein sehr interessantes Interview gegeben. Zwei Stellen sind besonders relevant: Zunächst erwähnt er, dass in Deutschland sehr zügig eine Intensivbehandlung erfolgt, während das in Spanien, wo die Gruppe ebenfalls aktiv ist, anders gehandhabt wird. Die Sterblichkeit sei aber in etwa gleich. De Meo will das ein wenig als Entspannungssignal hinsichtlich der Belastung der Kliniken gewertet wissen, es müsse demnach nicht so viel beatmet werden. Das kann man aber auch ganz anders werten: Die Therapiemöglichkeiten bei Covid-19 sind leider immer noch sehr begrenzt, weshalb es unverändert zynisch und operativ ohnehin unklug ist, die Auslastung der Intensivstationen als Strategieziel für die Pandemiebekämpfung zu definieren.

Die zweite Stelle des Interviews betrifft die Auslastung der Kliniken im Jahr 2020. Wenn man den jüngsten Geschäftsbericht des Mutterkonzerns Fresenius genauer studiert, so findet man die folgende kleine Statistik: Demnach wurden 2020 gegenüber 2019 neue Kliniken erworben und damit die Bettenkapazität um 4% erhöht, zugleich sank aber die Zahl der stationär behandelten Patienten um 13%.

De Meo geht auf diese Zahlen genauer ein, denn auch Helios hat in 2020 zahlreiche Covid-19-Patienten stationär behandelt, so dass der Rückgang der sonstigen Behandlungen sogar noch weit höher war: Tatsächlich wurden 180.000 weniger stationäre Behandlungen in 2020 durchgeführt, was einem Rückgang von fast 20% entspricht. Die 30.000 Covid-19 Fälle konnten das nur teilweise kompensieren.

Da Helios ein sehr großer Betreiber ist, darf man diese Daten als repräsentativ ansehen. Was aber bedeutet dieser Rückgang von ca. einem Fünftel an Behandlungen?

Dahinter verbergen sich sehr viele relevante Punkte. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass hier ein Grund für Kurzarbeit und Insolvenzen im Klinikbereich liegt. Ein von Corona-Leugnern gerne genutztes Argument ist bekanntlich, dass es wohl kaum eine gesundheitliche Krise geben könne, wenn Betten abgebaut, Kurzarbeit verhängt und Kliniken geschlossen würden. Dahinter verbirgt sich jedoch einerseits ein langjähriges Umbauprogramm im Gesundheitswesen, das die Schließung kleinerer Kliniken zugunsten größerer zum Ziel hat. Das erfolgt jedoch weitgehend kapazitätsneutral, ist aber sowohl operativ als auch ökonomisch sehr strittig – einer der vielen Aufarbeitungspunkte nach der Pandemie. Andererseits hat aber sowohl die sogenannte „weiche Triage“, nämlich die bewusste Absage von Operationen zur Fokussierung aller Kapazitäten auf Covid-19, als auch die freiwillige Absage von stationären Behandlungen aus Angst vor einer Infektion zu diesem erheblichen Rückgang geführt.

Insofern ist Covid-19 die Ursache für Kurzarbeit und Insolvenzen. Man kann nicht umgekehrt daraus ablesen, es gebe keine Belastung des Gesundheitssystems – es ist sogar im Gegenteil sowohl eine Überlastung der erforderlichen Kapazitäten und zugleich ein ökonomischer Schock für alle anderen.

Bei der Frage der Aufarbeitung von Kollateralschäden der Pandemie, wozu auch die Kollateralschäden der Gegenmaßnahmen zählen, wird es nun aber in der Tat diffus. Bekanntlich werden als Kollateralschäden im Gesundheitsbereich vor allem psychische Erkrankungen mit Depressionen und einem vermuteten Anstieg von Suiziden häufig genannt sowie diese unterbliebenen wichtigen Behandlungen.

Leider gibt es dazu aber noch keine zuverlässigen Zahlen. Denn andererseits haben wir auch Studien, die zum Ergebnis kommen, dass durch Lockdowns sehr viele Stress- und Risikofaktoren unserer sogenannten „Normalität“ wegfallen. Das lässt sich sicher nicht pauschal sagen, es dürfte vielmehr sehr auf die Lebensverhältnisse ankommen. Wer keine Existenzsorgen hat, einen guten Homeoffice-Arbeitsplatz und ausreichend Platz für die Familie, wird einen Lockdown vielleicht sogar als Verbesserung der Lebensverhältnisse und damit als gesündere Lebensweise bewerten. Wer ohnehin psychisch belastet ist und durch einen Lockdown noch mehr Sorgen, Stressfaktoren und Belastungen erfährt, wird das ganz anders sehen. Vermutlich sind auch die Dauer und der Umfang von Maßnahmen ausschlaggebend. All das wird erst noch zu untersuchen sein, bevor wir die Bilanz von Kollateralschäden versus Nutzen ziehen können.

Das gilt auch und ganz besonders für diese unterlassenen stationären Behandlungen. Seit Jahrzehnten wird in Deutschland diskutiert, weshalb wir eine international vergleichsweise hohe Quote an Operationen haben. Deren Indikation wird oft bezweifelt und deren Folgen werden unterschätzt. Die Datenlage aus 2020 dürfte nun hervorragendes Material sein, um ergebnisoffen nicht nur nach Kollateralschäden versus Nuten zu schauen, wir haben vermutlich wohl erstmals auch eine valide Statistik über die Notwendigkeit von Operationen.

Hoffentlich werden diese Informationen bei der Aufarbeitung der Krise genutzt. Es wäre von der Bewertung unserer Lebensverhältnisse bis zu vielen Detailfragen unseres Gesundheitssystems enorm wertvoll!

 

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