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Wie die Politik drei Viertel der Wählerinnen und Wähler verdrängt

Inzidenzen schneller oder langsamer senken?
Umfragen zeigen: Wissenschaft ist gefordert, aber wird ignoriert.

Liebe Leserin, lieber Leser – vermutlich wollen Sie ein schnelles Senken der Inzidenz. So wie 40 Millionen andere Wahlberechtigte auch. Trotzdem verlangsamt die Politik die Pandemiebekämpfung. Durch Warten, durch unzureichende Maßnahmen oder durch mangelnde Planung.

Das ist frustrierend. Die Politik verlängert seit dem Oktober ständig Lockdowns und nimmt uns unsere Vorfreude. Wann waren Sie das letzte Mal so frei und haben sich auf eine echte Geburtstagsfeier gefreut? Was haben Sie sich für den Sommer vorgenommen? Dies ist für uns alle nicht mehr länger akzeptabel.

Die Verlängerer nehmen uns das Leben.

Wir haben vor wenigen Tagen repräsentative Umfragen in Auftrag gegeben. Nun haben wir die Bestätigung, dass unsere Gedanken und Einschätzungen von einer Mehrheit der Bevölkerung geteilt werden.

GRÜNE ZONEN – REPRÄSENTATIVE UMFRAGE 09.04.2021: Wissenschaft als wahlentscheidend?

Was wir wollen, ist also klar. Aber die Politik will offenbar keine Verkürzung erreichen, sondern eine Verlängerung. Vielleicht empfinden sie weitere zähe Verlängerungen des seit 6 Monaten währenden Zustandes sogar gar nicht als schlimm – denn wenn sie etwas erreichen wollen würden, würden sie planen. Wo sind die Pläne für Öffnungen im Sommer? Im Herbst? Wie sehen sie aus? Was sind die konkreten Notfallpläne, falls es schlechter läuft als erwartet?

Auch hier zeigt die repräsentative Umfrage zur Langfrist-Planung der Bundesregierung: Die überwältigende Mehrheit will, dass sich die Regierung mit der Zukunft beschäftigt.

GRÜNE ZONEN – REPRÄSENTATIVE UMFRAGE 09.04.2021: Langfristplanung gewünscht?

Aber auch für kürzere Zeiträume steht keine konkrete Planung. Keine klare Strategie. Was sind die Pläne für den Mai? Was sind die Pläne für nächste Woche? Nein, es gibt nicht einmal einen Willen, die Pandemie schneller zu beenden. Ein Jahr meines Lebens hat mir die Unfähigkeit der CDU genommen, zuerst ans Land zu denken.

Das ist traurig und nicht weiter zu tolerieren. Und auch ich beklage das. Aber in mir regt sich auch ein Teil, der sagt:

Ich lasse mir nicht mein Leben nehmen. Von niemandem.

Deshalb höre ich auf mit dem Klagen. Denn wir können der Politik und unserer Gesellschaft auch helfen. Ich glaube, dass die Politikerinnen und Politiker auch Menschen sind. Sie hatten ein Kuscheltier als Kind, ein Lieblingsessen und mögen ihr Kissen kalt oder warm. Sie und auch die Beamtinnen und Beamten in den Behörden wollen eigentlich ein schnelles Senken, wie wir alle.

Oft erscheinen wir machtlos. Und das sind wir derzeit auch. Macht hat, wer Politik beeinflusst. Und allem Anschein nach werden unsere Politiker von allem möglichen beeinflusst, aber nicht durch uns.

Politiker können den eigenen Familien nicht helfen. Systematische Ursachen hindern sie daran.

Politiker reagieren nur auf Impulse, die relevant sind. Und relevant ist, was ihre Macht beschneidet oder vergrößert. Wenn die Basis keinen Wahlkampf mehr macht oder die Spender die Plakate nicht mehr finanzieren ist das ein Problem. Wenn die Beamtinnen und Beamte ihre Arbeit nicht mehr richtig machen, ist das ein Problem. Die Pandemiepolitik ist im Augenblick kein Problem für die Politiker.

Wenn wir das ändern, haben wir Macht. Und so sehr das schmerzt: Medienkampagnen, gute Argumente, Twitter-Aufrufe und offene Briefe sind nicht relevant genug gewesen. Was jetzt beginnen muss, ist der gerechtfertigte Kampf um die Relevanz. Ich glaube fest daran:

Sie wollen den Willen von 75% der Deutschen erfüllen, aber sie benötigen Hilfe.

Derzeit läuft wieder ein Versuch – aber schon die Entwürfe sind weit davon entfernt, schnell die Zahlen zu senken und uns unsere Leben zurückzugeben. Aber: Was tun? Relevant zu werden, ist nicht trivial. Ich glaube, es gibt zunächst vier Fragen und dann einige Handlungen, die wir alle beitragen können.

Frage 1: Wie hilft diese Maßnahme, die Inzidenzen schneller zu senken?

Das gilt insbesondere für Journalistinnen und Journalisten, die Experten oder Politiker interviewen. Wir müssen wissen: Wer ist im Team „Schnell senken“ und wer ist im Team „Langsam senken“, und passt die Maßnahme dazu?

Frage 2: Was sind die Folgen der Lockdown-Verlängerungen?

Viele Maßnahmen sorgen dafür, dass die Inzidenzen langsamer sinken. Das hat Folgen: Geschäfte können später öffnen, Kliniken sind länger überlastet und die Menschen sind gezwungen, ein eingeschränktes Leben zu leben. Es kann sein, dass diese Opfer gerechtfertigt sind – deshalb brauchen wir eine Erklärung.

Frage 3: Können Sie uns Details über die zu Grunde liegenden Modellierungen nennen?

In der Frage „Schneller Senken“ vs. „Langsamer Senken“ muss viel abgewogen werden. Häufig werden diese Abwägungen aber nur als Soundbite geliefert. Fragen Sie nach: Wie viele Infektionen werden konkret mehr oder weniger erfolgen? Wie viele Wochen müssen wir konkret an den Lockdown dranhängen?

Frage 4: Wie schützen wir die Kolleginnen und Kollegen am Arbeitsplatz am besten?

Klar, Büros müssen oft offenbleiben. Sie sind besonders gefährdet durch Eltern von schulpflichtigen Kindern, die in unsere Schulen geschickt werden. Viele Arbeitgeber sorgen sich darum, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit schulpflichtigen Kindern die Firma gefährden. Deshalb ist es eine Frage des betrieblichen Gesundheitsschutzes, dass die Schulen sicher sind. Wenn Sie nicht sicher sind, dürfen die Kinder nicht hin.

Denn wenn eine Schulpflicht besteht, dann auch die Pflicht der Schulen, sicher zu sein. Eltern sollten also ihre Kinder begleiten, um vor Schulbeginn sicher zu stellen, dass die Kinder tatsächlich in einer zu 100% getesteten Schulklasse sind. Das erfordert der betriebliche Gesundheitsschutz des Arbeitgebers.

Aber es sind die Handlungen, die uns relevant werden lassen.

Hier sind die Ergebnisse der Eingangsfrage nach Parteipräferenzen aufgeschlüsselt. Die wissenschaftliche Fundierung ist nicht allen gleich wichtig. Und das, obwohl die Frage eindeutig nicht vorgeschrieben hat, ob die wissenschaftliche Fundierung in die eine oder andere Richtung gehen soll.

Deshalb haben wir eine Unterschriftenliste begonnen. Wir wissen zwar, dass die meisten eine Fundierung wünschen – aber wie viele Leute sind bereit dazu, öffentlich zu erklären, dass dies der Prüfstein ihrer Stimme bei der Bundestagswahl im September sein wird? Da es auch ein gewisser Aufwand ist, auf einer Unterschriftenliste zu unterschreiben, sollten wir dadurch ein Gefühl bekommen, wer bereit ist, dafür einzustehen. 1.000 Leute wären schon viel.

Und wer für die Wissenschaft einstehen mag, der ist auch wieder als Basis, Wahlkämpfer, Spender oder schlicht Multiplikator interessant. Für die Partei zumindest, die sich endlich bewegt.

Falls Du helfen willst, schnell etwas zu bewirken: Unterzeichne mit.

https://www.openpetition.de/petition/online/appell-fuer-uns-wahlentscheidend-wissenschaftliche-pandemiepolitik

Als Krisenmanager muss ich immer auch in Szenarien denken. Und es kann sein, dass die Pandemie Ende des Sommers besiegt ist. Aber bis dahin vergeht noch viel Zeit, in der harte nationale Interessen berührt sind:

  1. Der anstehende Wahlkampf macht uns zu einem einfachen Opfer von Desinformationskampagnen feindlicher Staaten.
  2. Unsere Schwäche ist nicht die Regel. Andere Staaten können das besser. Wir riskieren auch nationale Sicherheitsinteressen.
  3. Diese Welle ist vielleicht nicht die letzte Welle. Vielleicht kommt auch eine neue Pandemie. Wir legen jetzt fest, wie wir als Gesellschaft auf Pandemien reagieren mögen. Wenn wir nun eine falsche Kultur prägen, kann das zehn oder mehr Jahre prägen.

Deshalb – gleich welcher politischen Richtung Sie angehören: Zeigen Sie, dass Sie relevant sind.

Marcus Ewald ist Krisenmanager und hilft mit Ewald & Rössing Kliniken, Landkreisen, Unternehmen, Kirchen oder NGOs, Krisen besser zu bewältigen. Er ist seit April 2020 aktiv dabei, auch die Politik in Corona-Fragen zu beraten.

Marcus Ewald

 

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