So nachvollziehbar diese Meldung des Spiegel ist: Aus epidemiologischer Sicht gilt es, entweder den Level der Infektionen deutlicher zu reduzieren oder die Strategie auf die noch nicht geimpften Bevölkerungsgruppen zu fokussieren. Die vermutlich sehr bald auch in Deutschland vorherrschende indische Mutation ist nochmals infektiöser als die britische Variante, sie überspringt auch die Erstimpfungen häufiger. Da wir mit der Impfquote immer noch Rückstand haben und gerade die jüngsten frühestens ab Herbst mit einer Zulassung rechnen können, ist die Frage „vulnerabler Gruppen“ inzwischen neu definiert. Diese Tatsache ist wohl noch nicht angekommen?
Erneut zeigt sich, dass die Strategie in Deutschland suboptimal ist. Weder haben die Gegenmaßnahme zu wirklichen Niedriginzidenzen geführt, noch wurden Erstimpfungen vorgezogen, um gegen die Pandemie eine möglichst breite Barriere zu ziehen, noch wurden die tatsächlich die Pandemie verbreitenden Bevölkerungsgruppen bei den Impfungen angemessen berücksichtigt. Es war zwar nachvollziehbar und zum Schutz gegen hohe Todesfallzahlen richtig, die Impfpriorisierung so vorzunehmen, wie das erfolgt ist. Aber man kann bekanntlich nicht alles haben und jede Maßnahme muss sich daran messen lassen, wie sie im Gesamtzusammenhang wirkt.
Man kann also nicht mit teilwirksamen Gegenmaßnahmen immer noch zu hohe Inzidenzen zulassen und mit zu geringen Impfstoffmengen zuerst mal die Doppelimpfung der Älteren anstreben. Das führt zu genau der Situation, die wir jetzt haben: Eine neue Mutation gefährdet nun genau die Gruppen, die noch keine Impfung haben. Stand heute sind das 60% der Bevölkerung und im Herbst werden es immer noch mindestens 30% sein. Die kann man dann leider nicht ohne Probleme in die Schule, an die Uni oder ins Freizeitleben schicken.
Wir schaffen gerade die Voraussetzungen für eine vierte Welle in einer Bevölkerungsgruppe, deren Schädigung bisher fälschlicherweise unter dem Radar geblieben ist. Daher muss man diese Gruppe entweder länger durch Maßnahmen schützen oder die Impfstrategie anpassen.
Wie bisher wird die Gesellschaft wohl alles haben wollen und dafür den Schaden ernten.