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Die Kalkulation entscheidet über unser Handeln

Das Studium meines bevorzugten Wirtschaftsteils macht sehr nachdenklich. Die reflektionsfreie Routine bei den Berichten ist an zwei parallel veröffentlichten Beispielen gut erkennbar.
Einerseits werden die Zahlen von Biontech kommentiert: https://www.faz.net/…/biontech-macht-2-8-milliarden…
Das Unternehmen hat nach jahrelangen – ganz überwiegend privat getragenen – Verlusten nun also einen Milliardengewinn durch den erfolgreichsten Impfstoff der Welt eingefahren. Vollkommen zurecht, aber einer Sondersituation geschuldet. Der Vorsprung wird geringer werden, der Wettbewerb intensiver, die Preise werden sinken. Das ist absehbar. Gleichwohl neigt die Börse dazu, so ein Umsatz- und Gewinnwachstum sehr hoch zu bewerten. Dabei sind selbst diese Umsätze und Gewinne für den Pharmasektor nur durchschnittlich. Blockbuster erzielen zweistellige Milliardenumsätze, Jahr für Jahr. Im Impfstoffmarkt ist das nicht möglich und diese einmalige Situation wird sich so schnell nicht wiederholen. Biontech hat trotzdem nun einen Schub erhalten und wird den nutzen, weitere Wirkstoffe zu entwickeln. Ob die Börsenbewertung, die nun sogar einige Big Pharama Werte überragt, nachhaltig ist, wird sich zeigen. Sie macht den Gründer Sahin nun zum zehntreichsten Deutschen, was der Beitrag leider auch erwähnt oder erwähnen muss – schließlich finden solche Rankings und Nachrichten immer Leser. Dass damit eine hässliche Debatte über die Gier von Impfstoffherstellern bedient wird, ist traurig. Biontech hat diesen Erfolg verdient, es hat großen gesellschaftlichen Nutzen gebracht und der Kopf dahinter darf dadurch reich werden.
Zugleich findet sich ein Bericht über Saudi Aramco, den größten Ölkonzern der Welt, der quasi die Situation der größten Ölnation der Welt, Saudi Arabien, abbildet: https://www.faz.net/…/oelpreise-steigen-oelkonzern…
Saudi Aramco ist der ertragreichste Konzern der Welt, an diese Gewinne kommen nicht mal Apple&Co heran. Wir lesen hier unfassbare Größenordnungen. Im ersten Halbjahr des Corona-Jahres 2020 war demnach durch die Implosion der Nachfrage der Gewinn auf 23 Milliarden „eingebrochen“. Im ersten Halbjahr 2021 lag er nun wieder bei 47,2 Milliarden – das Unternehmen steuert auf 100 Milliarden Gewinn pro Jahr zu. Leider ist nicht nur die Preiserholung an den Märkten dafür ursächlich. Wenn Öl einfach nur teurer würde, wäre das keine falsche Entwicklung, aber auch die Mengen steigen. Entsprechend hat das Unternehmen seine Investitionen wieder auf 35 Milliarden angehoben – und das heißt nichts anderes als die Erschließung neuer Vorkommen, um noch mehr Menge zu fördern. Dieses Unternehmen finanziert ein mittelalterliches Staatssystem und zeigt leider von Jahr zu Jahr, dass die Reduktion fossiler Energieträger schlicht nicht gelingt. Daher sind diese Ergebnisse gesellschaftlich und für die Situation des Planeten einfach nur traurig.
Im Wirtschaftsteil einer Zeitung finden sich diese Bewertungen nicht. Zahlen sind Zahlen. Das ist eine der Ursachen, weshalb es so ist, wie es ist und ein wie auch immer geartetes Umdenken wird uns nicht weiter helfen. Wir müssen anders rechnen, denn letztlich entscheidet die Kalkulation über unser Handeln. Wir sollten uns diesbezüglich nicht überschätzen.

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