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Delta: Nach berechtigter Emotionalisierung eine sachliche Zusammenfassung

Wer meinen letzten Berichten folgte, erkennt den Versuch, über verschiedene Stilmittel Denkanstöße zum Umgang mit der bei uns noch sehr jungen Delta-Welle zu initiieren. Die Reaktionen auf diese Beiträge sind sehr interessant.
Zunächst hatte ich den letzten CoroNews wie immer nüchtern verschiedene Delta-Wellen weltweit beobachtet und unverändert eine gute Wirksamkeit der Impfungen auch gegen Delta festgestellt. Zugleich ist erkennbar, dass unser Impfschutz noch nicht ausreicht, um die Entwicklung im Herbst entspannt zu sehen. Es ist im Gegenteil unverkennbar, dass wir sowohl bei den Ungeimpften – und hier insbesondere den Kindern – als auch bei den Drittimpfungen Nachholbedarf haben. Entsprechende Initiativen der Politik sind eher kaum erkennbar. Auf diese langen „Datenschlachten“ erfolgte wie so oft eine zurückhaltende Reaktion – vermutlich wollen viele sich damit nicht inhaltlich auseinandersetzen.
Wie schwierig die Einschätzung von Delta ist, habe ich danach zunächst anhand einer Diskussion der verheerenden Lage in Florida geschildert, wobei ich auf die begrenzte Übertragbarkeit der Entwicklung auf die Verhältnisse in Europa hingewiesen habe. Dazu gab es ebenfalls eher zurückhaltende Reaktionen. Florida interessiert wohl nicht? Dabei ist bereits diese Entwicklung aufgrund des Geschehens in klimatisierten Innenräumen trotz der vielen Unterschiede durchaus für unseren Herbst ein Signal, das wahrzunehmen ist.
Ein wenig „näher“ wurde es dann durch den rein faktischen Bericht der Verjüngung bei der Belegung unserer Intensivstationen. Hier kam nun der erste Widerstand in die immer gleiche Richtung: Die Daten stimmen nicht. Interessant festzustellen und natürlich wie immer falsch. Offensichtlich steigt die Wahrnehmungsverweigerung mit der Unbequemlichkeit der Nachricht.
Gestern hatte ich daher „nachgelegt“ und einen sowohl emotional als auch inhaltlich höchst provokanten Kommentar zur „Vorbereitung“ unserer Politik – und Gesellschaft – auf den Herbst formuliert. Dieser ist inhaltlich aus meiner Sicht vollkommen begründet – und prompt kamen die heftigen Reaktionen aus allen Richtungen. Von „alle Daten falsch“ bis zu „Panikmache“ das übliche.
Dabei ist im gestrigen Kommentar vor allem eine Provokation durchaus strittig, aber dazu gab es leider keine qualifizierte Diskussion. Offensichtlich sind die Meinungslager inzwischen immanent und ein Austausch dazwischen ist kaum mehr möglich.
Gleichwohl werde ich nicht müde, es zu versuchen. Der strittige Punkt gestern war meine Übertragung der jüngsten klinischen Delta-Daten in den US-Kinderkliniken auf unsere Verhältnisse. Dazu zitierte ich einen dramatischen Hilferuf der US-Klinikärzte, die vor einer Überlastung der Kinderkliniken und unter Delta erheblich steigenden Quoten an LongCovid sowie auch bei der Sterblichkeit warnen.
Übernimmt man diese Quoten auf unsere Verhältnisse, würden hier ebenfalls die Kinderkliniken sehr schnell Belastungsgrenzen erreichen, die Sterbezahlen könnten fünfstellig und die schweren Erkrankungen sechsstellig werden. Natürlich wird das niemals passieren, denn bereits im Ansatz solcher Entwicklungen würde unsere Gesellschaft eine Gegenreaktion erzwingen.
Die Frage, die ich damit provozieren wollte, ist nicht diskutiert worden. Für mein kleines Profil ist das egal, aber ich sehe das als Spiegel der gesamten öffentlichen Diskussion. Die ist wohl gespalten zwischen einer sehr vorsichtigen und einer erneut ignorierenden Haltung. Dabei sind aus meiner Sicht beide Extrempositionen nicht angezeigt, sehr wohl aber, wären diese weltweiten Entwicklungen intensiv zu diskutieren, um nicht wieder vollkommen untätig in den Herbst zu stolpern.
Dabei geht es explizit darum, den versprochenen Verzicht auf erneute Schließungen welcher Bereiche auch immer soweit möglich sicherzustellen. Die globalen Entwicklungen zeigen aber, dass wir uns keineswegs darauf verlassen können, mit dem bestehenden Impfschutz problemlos durch Herbst und Winter zu kommen. Dass es Handlungsbedarf gibt, ist insofern offensichtlich – es wird aber nicht sachgerecht diskutiert.
Wie schwer eine Einordnung der Delta-Wellen ist, möchte ich hier noch mal rein sachlich versuchen und damit die gestrige Provokation genauer einordnen. Ausgangspunkt ist eine kleine simple Tabelle, in der ich die Hospitalisierungsquoten der ersten Wellen des Wildtyps mit Delta vergleiche. Das Ergebnis zeigt die Spannbreite der unverzichtbaren Diskussion dieser Entwicklungen.
Wir sehen nämlich, dass unter ganz erheblicher Verjüngung der Krankenhauspatienten – wegen des Impfschutzes bei den Älteren – in den USA die Quote sogar um 22% gestiegen ist! In Israel ist sie um relativ geringe 28% gefallen, während sie in UK bisher um die erwarteten 75% gesunken ist. Bei uns nur nachrichtlich, weil unsere Delta-Welle noch gar nicht beurteilt werden kann, findet sich bisher ein Rückgang von 64%. Zur Bewertung der Tabelle noch der Hinweis, dass die Hospitalisierungsquoten selbst nicht vergleichbar sind. Diese Länder haben komplett unterschiedliche Teststrategien und daraus folgende Dunkelziffern. Tatsächlich ist die Hospitalisierungsquote in wissenschaftlichen Studien mit wesentlich geringeren Unterschieden festgestellt worden und sie ist auch viel niedriger, da es natürlich überall eine Dunkelziffer der Infektionen gibt. Was man aber vergleichen kann, sind diese Veränderungen der Quoten.
Hier erkennen wir, dass Delta in den USA trotz der Impfungen höhere Belastungen erzeugt – bei zugleich jüngeren Patienten. Das ist besonders beachtenswert, weil sich diese Entwicklung bis in die Kinderkrankenhäuser abzeichnet. Aber auch in Israel ist die Dämpfung der klinischen Belastung überraschend gering, weil das Land über eine deutlich bessere Impfquote verfügt, die zudem in ihrer Altersverteilung recht gut ist. In UK sehen wir hingegen die erwartet hohe Dämpfung, die ich auch bei uns vermute. Die ersten Tendenzen legen das nah.
Die ganz große Frage ist also: Wie gehen wir damit um? Verlassen wir uns darauf, dass es auch im Herbst weiter so eine Dämpfung sowohl der Inzidenzen, als auch noch stärker der Hospitalisierungen gibt? Können wir die Entwicklung in den USA und in Israel ignorieren? War meine Übertragung der noch sehr jungen US-Daten reine Panikmache?
Die Antwort lautet aus meiner Sicht: Das ist dringend zu beobachten und zwar im Detail, sonst – so meine bisherige Interpretation – werden wir in absoluten Zahlen scheinbar gut zurecht kommen, in Wahrheit aber Dinge erleben, die wir nicht akzeptieren sollten – jedenfalls nicht, wenn das weiter unter dem Radar bleibt.
Die ersten Versuche, diese so höchst unterschiedlichen Daten zu bewerten, können natürlich nicht valide sein. Dafür ist die Entwicklung zu früh. Was die USA betrifft, so hatte ich bei dem Florida-Bericht auf sehr viele Unterschiede hingewiesen. Das ist auf uns nicht übertragbar. Der Druck auf die Kinderkrankenhäuser ist aber bemerkenswert. Wissenschaftler hatten zwar oft auf die höhere Anzahl von Risikopatienten unter den US-Kids hingewiesen, aber diese dramatische Abweichung der Daten ist damit keineswegs zu erklären. Schaut man nun mal in Details der vermeintlich so entspannten Entwicklung in UK, so sieht man im beigefügten Chart zwar, dass die Belastung der Kinderkrankenhäuser analog zur laufenden Delta-Entwicklung gesunken ist und dass im Peak auch keine Überlastung drohte. Man erkennt aber, dass das Geschehen zuletzt fast nur noch bei den ganz jungen Kindern unter 12 Jahre stattfand.
Genau das ist die große Klammer über all diese Daten: Wir sehen überall aufgrund des Impfschutzes eine Eskalation der Inzidenzen bei Jüngeren. Wir sehen überall die Fortsetzung dieser Entwicklung in den Kliniken. Das betrifft zunehmend auch die Kinderkliniken und hier bis zu Kleinkindern und Säuglingen.
In absoluten Zahlen sind diese Entwicklungen höchst unterschiedlich. In den USA wird es bereits kritisch. Das hat auch Gründe im Flickenteppich des Impfschutzes dort und möglicherweise bei der Frage von Vorerkrankungen. ABER: Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass die besonders hohen Zahlen in den USA in Staaten zu erkennen sind, bei denen sich im Sommer das Leben überwiegend in klimatisierten Innenräumen abspielt. Das kann durchaus ein Vorbote für unseren Herbst sein. Wir können deren Entwicklung für uns also nicht einfach komplett ignorieren, das wäre fahrlässig. Ich räume aber gerne ein, dass meine gestrige Übernahme der allerschlimmsten Daten von dort nicht sachgerecht, sondern eine durchaus erlaubte Provokation war. Das ist ein für uns nicht zu erwartendes Szenario, aber es ist eines, mit dem wir uns befassen müssen – das zeigen auch die Daten aus den Kinderkliniken in UK.
In Israel wird die relativ schlechte Entwicklung insbesondere mit der nachlassenden Wirkung des Impfschutzes erklärt. Auch diese Daten können wir daher nicht ignorieren. Welche weiteren Faktoren dort eine Rolle spielen, sollte uns ebenfalls beschäftigen – alleine wegen der Tatsache, dass die Israelis bei der Qualität von Daten sowie Feldforschung exzellent sind. Mindestens erkennen wir hier die Notwendigkeit von Drittimpfungen, denn deren Situation wird uns ausgerechnet im Winter treffen. Auch hier sehe ich keine ausreichende Würdigung in unserer Politik sowie insbesondere der laufenden öffentlichen Debatte. Wir quälen uns in unserer Diskussion durch die Erst/Zweitimpfungen, durch die Fragen der Kinderimpfungen – haben aber zugleich real bereits ganz andere Themen. Erneut passt unsere Agenda nicht zum Erforderlichen.
UK ist, wie ich hier schon länger berichte, der große Hoffnungswert für uns. Auch daran können wir uns also orientieren. Die Situation ist mit unserer deshalb recht gut vergleichbar, weil Alter und Struktur des Impfschutzes ähnlich sind – wobei die Briten einen deutlich höheren Anteil an Genesenen haben. Wir sollten daher mit einem eher etwas schlechteren Verlauf rechnen.
Als Fazit und erneutes Angebot einer Beschäftigung über alle noch offenen Meinungslager ein wenig Spekulation zur Übertragung dieser Entwicklungen auf unsere Situation: Wir dürften näher an UK als an den USA liegen. Das gilt aber nur bis Oktober/November. Dann nähern wir uns eher Israel. Das können wir mit einer Vorbereitung der Drittimpfungen rechtzeitig vermeiden.
Ich bleibe bei meiner Prognose, dass unser bestehender Impfschutz eine dramatische Belastung der Kliniken verhindern sollte. Zugleich sehen wir eine Zunahme der tödlichen oder schweren Erkrankungen in immer jüngeren Teilen unserer Bevölkerung – bis zu Kindern unter 12 Jahre. Aus meiner Sicht ist es ethisch unvertretbar, das mit dem bisherigen – ebenfalls ethisch bereits unvertretbaren – Grenzwert der Auslastung unserer Krankenhäuser zu bewerten. Wenn wir das jetzt auch noch für die Kinderkrankenhäuser denken, haben wir ein noch viel größeres Grundsatzproblem in unserer Gesellschaft als bisher bereits erkennbar.
Diese – aus meiner Sicht optimistische – Einschätzung steht unter dem Vorbehalt, was ab Herbst in geschlossenen Räumen passieren wird. Eine Näherung an die Entwicklung in den USA ist dann keinesfalls ausgeschlossen. Es gibt insofern keinerlei Anlass, die Bemühungen, unsere Ressourcen zu nutzen, zurück zu fahren – wir müssen im Gegenteil nachlegen.
Im Sinne eines verantwortlichen präventiven Vorgehens, um Bilder und Daten, die ich gestern aus den USA mal für uns hochgerechnet hatte, nicht nur unwahrscheinlich zu machen, sondern schlicht auszuschließen, wäre ein viel kritischerer Umgang mit den Inzidenzen angesagt. Dass man die nun wegen der Dämpfung des klinischen Geschehens so in den Hintergrund rückt, ist sachlich falsch.
Wenn wir insbesondere unseren nicht oder kaum geimpften Nachwuchs sowie den Schulbetrieb schützen wollen, so kann das nicht in den Schulen selbst passieren. Wir müssen Kinder und Schulen so breit wie möglich verteidigen – und das beginnt bei den Inzidenzen selbst, alles andere kommt zu spät. Weder diese Akkumulation auf Inzidenzen bei Kindern, noch deren Gesamtheit sollte einfach zugelassen werden, bis es dann eben doch zu Tendenzen wie in den USA kommt.
Daher plädiere ich wie bisher für 2G in Innenräumen ohne Masken, für eine konsequente Impfkampagne der Kinder, möglichst bald auch U12, sowie für die Vorbereitung der Drittimpfungen. 2G würde dann hoffentlich auch der Gesamtquote auf die Sprünge helfen. Ich spekuliere, dass wir mit solchen Maßnahmen gut durch den Herbst und Winter kommen – also keine Schließungen und auch keine Beeinträchtigung des Schulbetriebs zu befürchten haben.
Das kann man alles auch anders sehen, Alternativen wären zu diskutieren, aber die erkennbare operative Untätigkeit oder die „alles vorbei“ Stimmung haben jedes Potenzial, uns wieder in – vermeidbare – Schwierigkeiten zu bringen.
Diese Denkanstöße gelten also ausdrücklich dem Ziel, Schließungen zu vermeiden. Das halte ich für möglich – wir sind aber leider wieder auf dem Weg dahin.

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