Ein Spiegel-Beitrag zur Corona-Situation in Afrika macht vor allem in der Szene der Leugner und Maßnahmengegner die Runde. Einfach laufen lassen und alles wird gut. Auf einmal ist der Spiegel eine ganz wichtige Quelle, wir sollten endlich mal nachdenken usw.
Für mich ein Beispiel, dass ein Dialog nicht mehr möglich ist und dass Wissenschaft keine Chance hat, daran etwas zu ändern. Der Spiegel-Beitrag ist zwar wie immer vom Titel reißerisch aufgemacht, aber er zitiert die fraglichen Studien insgesamt vollkommen richtig.
Ich habe mir sogar die Mühe gemacht, die Originale nachzulesen. Der Artikel leistet aber bereits alles, was man benötigt, um das richtig einzuordnen. Die zitierten Wissenschaftler fragen unzweifelhaft, weshalb ihre Ergebnisse zu den Sterblichkeiten niedriger sind, als im Rest der Welt – Brasilien und Indien inklusive. Das tun sie keineswegs mit der Intention, die Ergebnisse anderer Studien zu bezweifeln, sondern um die Unterschiede bei ihren Untersuchungen zu finden. Die Thesen lauten, dass i) die Bevölkerung Afrikas nochmals jünger ist, ii) möglicherweise eine Kreuzimmunität aufgrund dort oft vorkommender anderer Corona-Viren vorliegt und iii) ihre Sterbezahlen schlicht falsch, weil zu niedrig sind.
Alle Studien kommen im Original zum Schluss, dass vor allem die Validität der Ergebnisse zu verbessern ist, bevor man ggf. vorhandene Unterschiede genauer untersucht. Keine der Studien erhebt auch nur ansatzweise den Anspruch, die Ergebnisse aus anderen Regionen in Zweifel zu ziehen.
Genau das wird aber von den merkwürdigen Geistern, die diesen Artikel so „laut“ teilen, getan. Sie tun dies mit einer Intention, die nicht mal den Autoren der Studien oder des Spiegel-Artikels in den Sinn kommt. Wenn man zugleich den fraglichen Profilen folgt, so setzt bei diesen Menschen offensichtlich auch der emotionale Teil der Reflexe vollständig aus. Diese Profile sind nämlich nicht selten voller Fremdenfeindlichkeit und rassistischer Ansätze. Die würden vermutlich von einem Afrikaner nicht mal eine Scheibe Brot annehmen, aber ausgerechnet eine wissenschaftliche Studie von dort soll alles überschreiben, was im Rest der Welt seit 1-1/2 Jahren festgestellt wird und mehr noch, sofort zum Maßstab für unser Handeln in einer gefährlichen Gesundheitskrise erhoben werden.
Wenn das mit dem Hinweis auf erforderliches Nachdenken geteilt wird, fällt einem nach nur kurzem Nachdenken einfach gar nichts mehr ein, außer: Game over, da geht nichts mehr.
Es dürfte wohl bei irgendwo zwischen einem Fünftel und einem Drittel in unserer Gesellschaft dazu gekommen sein. Welche weiteren (nicht-) Denkmuster da irreversibel entstanden sind, werden wir in der politisch/gesellschaftlichen Entwicklung in den kommenden Jahren bei entsprechenden Herausforderungen von der Migrations- über die Europa- bis zur Klimapolitik festzustellen haben.
Als das 2015 begann, sichtbar zu werden, war ich sehr für einen Dialog, um die Gräben zu beseitigen. Inzwischen sehe ich das leider anders. Ich halte es für erforderlich, diesem Teil unserer Gesellschaft zu erklären, dass sie ein ernsthaftes Problem ist, das wir uns nicht mehr leisten können und ihm klar zu machen: Die Mehrheit entscheidet, die Minderheit hat zu folgen, das nennt sich Demokratie.
Wenn wir unsere Probleme, zu denen auch geopolitische gegenüber weitaus entschlosseneren Nationen zählen, lösen wollen, werden wir uns ein neues Maß an demokratisch legitimierter Autorität angewöhnen müssen. Die Zeit des Kuschelns auf dem Planeten ist vorbei, sowohl politisch als auch ökologisch. Wir segeln in sehr raue Zeiten, das geht nicht mit den Eiertänzen um die erforderlichen Lösungen, die wir uns in den letzten Dekaden angewöhnt haben. Eine Demokratie muss um Entscheidungen ringen, sie darf das auch im Streit tun, aber sie muss zu Entscheidungen kommen und diese dann durchsetzen.