Die Entwicklung unserer ökonomischen Lage wird aus meiner Sicht unterschätzt. Der Grund ist nicht primär die Pandemie, die für viele Ausreden bereit steht. Es mag sein, dass Covid-19 einige vorher bereits erkennbare Trends beschleunigt hat, aber das erfordert umso mehr einen Blick auf die tieferen Ursachen.
Das Erfolgsmodell Deutschlands ist in den letzten Dekaden durch einen gigantischen „China-Deal“ geprägt. Hinzu kommen die großen Vorteile der deutschen Exportindustrie in der Euro-Zone. Möglich war das aber vor allem durch den technologischen Vorsprung in einigen Schlüsselindustrien.
Dieser Vorsprung ist Geschichte.
Die Gegenwart ist geprägt durch viel technologischen Wettbewerb auf Augenhöhe – auch aus China selbst – und leider sehr viel Rückstand in aktuellen technologischen Umfeldern wie vor allem der Digitalisierung, die immer mehr Branchen dominiert.
Ganz aktuell kommen die Störungen in den globalen Lieferketten sowie die gestiegenen Preise für Importe von Energie und Rohstoffen für die deutsche Ökonomie als weitere besondere Belastung hinzu, die andere Länder nicht so stark trifft.
Es ist aber offen, wie lange es dauert, bis an der Stelle Entspannung kommt. Bei Energie und Rohstoffen kommt die vielleicht gar nicht mehr. Für den Planeten wäre das sogar hilfreich.
Das bedeutet für unsere Ökonomie die giftige Kombination aus Stagnation, ggf. kurzfristig sogar Rezession, gepaart mit Inflationsdruck – also Stagflation. In einem Umfeld, in dem andere Ökonomien stärker wachsen, primär mit Inflation zu tun bekommen und die Sache mit der Verknappung von Energie, Rohstoffen sowie vielen Vorprodukten wie Halbleiter eher sogar verschärfen.
Das führt zu Wettbewerbsnachteilen, die keine einfache oder schnelle Lösung des Problems versprechen. Stagflation ist eine große gesellschaftliche Herausforderung. Auf dem Boden einer zunehmend vergifteten Debatte über die Pandemie, die vor allem durch die Erwartung auf „Normalität“ geprägt ist, wird das eine zusätzliche Herausforderung.
Deutschland hat aber das Gegenteil von Normalitätsbedarf, wir haben enormen Modernisierungsbedarf. Das betrifft ohnehin den strukturell eklatant ineffizienten Staat, zunehmend aber auch unsere Wirtschaft. Modernisierung ist leider nicht zum Nulltarif zu haben. Sie bedeutet Veränderung und viel Arbeit, deren Ertrag sich erst später einstellt.
Die Erwartungshaltung der Gesellschaft dürfte dem kaum entsprechen. Wir erwarten wohl eher eine wohlverdiente Belohnung für den Verzicht in der Pandemie. Das tatsächlich erforderliche Programm dürfte so manche Enttäuschung bergen. Je später wir mit der Enttäuschung beginnen, desto länger dürfte es dauern.
Aber auch dieses Prinzip kennen wir aus der Pandemie leider bestens. Noch haben wir genug Ressourcen, um die Modernisierung weiter zu verschleppen. Genau das werden wir tun.
