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Unser Verwaltungswahnsinn sprengt die Grenzen der Darstellbarkeit

Spätestens das für ein modernes Land vollkommen inakzeptable Datenchaos im Rahmen der Corona-Pandemie hat einer breiteren Öffentlichkeit deutlich gemacht, welchen Rückstand Deutschland in der Digitalisierung hat. Das betrifft keineswegs nur die von der Politik gerne bemühten „Datenautobahnen“, also die bereits von Helmut Kohl nicht so ganz richtig verstandene technische Infrastruktur der Netze. Es betrifft auch keineswegs nur unseren Staat, denn immer mehr Branchen werden durch neue digitale Technologien und Geschäftsmodelle überrollt und leider nie – man kann diesen Allquantor hier definitiv nutzen – sehen wir deutsche oder europäische Unternehmen dabei auf dem Fahrersitz. Aber gerade der deutsche Staat „glänzt“ doch bereits im europäischen, geschweige denn im globalen Vergleich durch besondere Rückständigkeit.

Wer nun denkt, das mit der Pandemie sei bald ausgestanden und die Anmeldung eines Autos müsse nicht zwingend online erfolgen, weil das ja nicht so oft notwendig ist, übersieht, welche vielfältigen Auswirkungen wir aufgrund des Rückstands unserer Verwaltungen haben. Die Defizite beim Pandemiemanagement sind zwar besonders „teuer“ gewesen – von den ökonomischen bis zu den gesundheitlichen und gesellschaftlichen Schäden. Wir sehen aber letztlich jederzeit hohe Schäden aufgrund dieses Mangels. Elend lange Genehmigungsprozesse, die halt auch an vollkommen veralteten Verwaltungsabläufen liegen, kosten Unternehmer, Bauherren, Steuerzahler und Empfänger staatlicher Leistungen Tag für Tag Zeit und damit auch Geld. Nicht bezifferbar sind gar Projekte, die dadurch nicht nur verzögert, sondern komplett verhindert werden. Wir sehen aber auch viele Ineffizienzen im staatlichen Management, das reicht momentan von der Unterstützung der Flüchtlinge bis zur Frage, wer welche Hilfen wegen der Energiepreise erhält. Nicht selten muss auch dafür der Steuerzahler bluten, weil das Missmanagement nur durch Maßnahmen mit der Geld-Gießkanne kompensiert werden kann. Das bedeutet immer einen Aufwand von zu viel Geld, das in den falschen Taschen landet.

Eine moderne digitale Verwaltung kann zweifellos nicht alle Probleme insbesondere in Krisensituationen lösen, aber sie kann entscheidend dabei helfen, diese so effizient wie möglich zu managen. Digitalisierung geht also uns alle an, als Unternehmer, Arbeitnehmer, Steuerzahler, Bürger. Sie ist ein Zukunftsthema, ökonomisch schon lange, aber zunehmend auch bezüglich der staatlichen Leistungsfähigkeit und damit politisch/gesellschaftlich.

Leider ist Digitalisierung ein sehr komplexes Thema. Immer mehr Unternehmen erkennen, dass an dieser Option der Modernisierung kein Weg vorbei führt. Leider muss man genau das oft als Anlass für Digitalisierungsprojekte feststellen, während chancenorientiertes Denken eher selten ist. Typischerweise werden dabei die existierenden Arbeits- und Geschäftsprozesse von Unternehmen bezüglich der Möglichkeiten einer Digitalisierung analysiert. Was dabei resultiert ist eher so etwas wie eine „digitale Transformation“ und die bleibt oft hinter den Möglichkeiten einer wahren Digitalisierung zurück. Ein mehreren Autoren zugesprochenes Statement beschreibt das wunderbar: „Wenn man einen scheiß Prozess digitalisiert, hat man einen scheiß digitalen Prozess“.

Tatsächlich sollte bei der Digitalisierung zunächst ein maximaler Abstand zum Status quo eingenommen werden und man sollte zu den Grundsatzfragen zurück kehren: Welchen Nutzen sollen unsere Prozesse für wen umsetzen? Dabei sollte zudem klar werden, dass der Nutzen des Status quo nicht relevant ist, sondern der mögliche Nutzen jenseits dessen Ziel sein sollte. Wenn so identifiziert ist, was das Ziel der Prozesse ist, kann man die unter Berücksichtigung digitaler Technologien designen. Die Transformation sollte dann darauf abzielen, bestehende Strukturen in dieses neue Design zu überführen. Wenn das nicht sinnvoll oder gar nicht möglich ist, sollte ein Erneuerungsprozess nicht gescheut werden. Die eigene Disruption ist immer der durch Dritte zu bevorzugen.

Es fehlt in Deutschland nicht an Wissen und auch nicht an Technologien, Digitalisierung in diesem Sinne umzusetzen. Es fehlt schlicht der Wille. Der kommt leider nicht selten erst durch äußeren Druck zustande, aber das heißt nichts anderes als: Andere sind dann schon weiter und man muss leider aus einer Position des Rückstands anfangen. Auch auf Ebene unseres Staates ist das Wissen vorhanden. So gibt es hier beispielsweise die Expertenkommission für Forschung und Innovation (EFI). Das sind wie beim Corona-Expertenrat exzellente Köpfe, an deren Kompetenz es nicht mangelt. Aber dieses Wissen führt nicht zu politischem Handeln, es versandet im Nichts.

Bestes Beispiel für den eklatanten Stillstand in der Digitalisierung unseres Staates ist der „Nationale Normenkontrollrat“. Schon die ganzen Begrifflichkeiten in diesem Dickicht machen im Kontext der Modernisierung sprachlos. Dieser Rat wurde 2006 auf Ebene der Bundesregierung mit dem Programm „Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung“ beauftragt. Dahinter verbirgt sich so etwas wie digitale Transformation „ganz weit unten“: Die Idee lautet, dass der Bürger Verwaltungsvorgänge zukünftig online erledigen können soll und zwar möglichst ohne bereits erfasste Daten neu eingeben zu müssen. Wenn man die oben kurz beschriebenen Ziele von Digitalisierung und die elend vielen redundanten Verwaltungsstrukturen in Deutschland betrachtet, wird klar, dass bereits diese Zielsetzung in der Wertschöpfungskette möglicher Digitalisierungsvorteile in der Tat ganz unten anzusiedeln ist.

Nun hat der Rat mit Datum März 2022 die Ergebnisse seiner bisherigen Arbeit aktualisiert. Diese besteht darin, die bestehenden Verwaltungsvorgänge aus Sicht des Bürgers überhaupt erst mal zu erfassen und zu beschreiben. Wir sind also bei der Erhebung des Status quo, digital transformiert ist da null Komma nix, damit wurde noch nicht mal begonnen. Das Chart anbei wird auf der Website unter dem Dateinamen „Wimmelbild“ geführt, ein kleines Bonmot der Ehrlichkeit. Es zeigt im Kern nicht weniger als 575 Verwaltungsleistungen, die im Onlinezugangsgesetz als Ziel dieser Initiative genannt sind. Daneben steht die Frage „Funktioniert das?“, die man wohl als Suggestivfrage bezeichnen darf.

Es geht also keineswegs darum, zu prüfen, ob diese 575 Verwaltungsvorgänge irgendeinen Nutzen haben, ob man die gar teilweise einfach ersatzlos streichen oder zumindest massiv zusammenfassen könnte, es geht daher auch niemals darum, ob man die Prozesse dahinter mit digitaler Technologie effizienter gestalten könnte. Das Projekt steht nach nun 16 Jahren vor der fassungslosen und seitens der Experten auch so kommunizierten Feststellung, dass bereits der Status quo gar nicht mehr systematisch darstellbar ist. Unser Verwaltungswahnsinn sprengt die Grenzen der Darstellbarkeit. Damit entzieht er sich sogar einer digitalen Transformation minimalster Ausprägung.

Das. Geht. Gar. Nicht.

 

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