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Die NYT über Schröder und die Ostpolitik

Ich empfehle die Lektüre eines aktuellen NYT-Artikels über Gerhard Schröder und die Russland-Poltik insbesondere der jüngeren Vergangenheit. Wer keinen Zugriff auf das Original hat oder des Englischen nicht mächtig genug ist, findet unten die Übersetzung.

Ich mache mir den Artikel nicht zu eigen, das wird bei meinen Empfehlungen oft übersehen. Es finden sich einige monokausale Bewertungen sowohl seitens der NYT als auch Schröders, die ich so nicht teile.

Die frühere Ostpolitik von Brandt und Schmidt, die Kohl erbte und fortsetzte, hat sicher die Wiedervereinigung unterstützt, aber kaum kausal ermöglicht, wie Schröder es deutet. Dass die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und Russland auf diese Zeit zurück gehen, dass Energielieferungen auch in den Zeiten des Kalten Kriegs zuverlässig liefen, dass bereits damals viele Alliierte die Verbindungen kritisch bewerteten, ist alles richtig, unterschlägt aber zwei wesentliche Unterschiede zur Politik, die Schröder begonnen hatte: Die frühere Ostpolitik war hinterlegt mit einer Beteiligung Deutschlands an der Aufrüstung der Nato und dem Ausbau des militärischen Verteidigungspotenzials. Ferner ist zu keiner Zeit eine vollkommen asymmetsische Abhängigkeit zu den Energielieferungen akzeptiert worden. Schade, dass Schmidt sich dazu nicht mehr äußern kann.

Wie Schröder sich hier als Vertreter der Ostpolitik seiner großen Vorgänger inszeniert, ist kaum sachgerecht. Leider führt das bei vielen SPD-Anhängern noch heute zu einem Abwehrreflex, wenn man die jüngere Ostpolitik von Schröder und seinen Nachfolgern kritisiert. Das sollte wirklich jeder von Brandt, Schmidt und ja, auch Kohl, trennen. Die Unterschiede sind in der kompletten Architektur Schröders Ostpolitik signifikant und sie unterscheiden sich anders als Scholz es ausdrückte, zwar sicher auch in der Person Putin, aber nicht nur in dieser. Die jüngere Ostpolitik baute ausschließlich auf Handelsbeziehungen mit gegenseitigen Abhängigkeiten, hat dabei übersehen, dass diese namentlich beim Gas in eine eklatante Schieflage geraten sind, weil das Gas bei uns industrielle und versorgungstechnische „Grundnahrung“ wurde und vor allem, dass keinerlei machtpolitisches Instrument hinterlegt war, denn parallel wurde die Militärstrategie insbesondere in Deutschland so umgedeutet, als könne Russland niemals mehr Feind sein.

Umgekehrt deutet die NYT an einigen Stellen an, insbesondere die Energiepolitik Deutschlands habe Putins Krieg ermöglicht. Das ist genauso monokausal. Die Einnahmen mögen Putins Militärhaushalt begünstigt haben und die Abhängigkeit von Deutschland mag für ihn ein kleiner strategischer Vorteil bei seinen Entscheidungen gewesen sein, aber mehr kann man daraus kaum ableiten.

Ich kann auch dem Anspruch des Artikels nicht folgen, die Hintergründe und Wirkung dieser Politik bewerten zu wollen. Dazu sind die recherchierten Informationen zu dünn. Ich gehe ohnehin davon aus, dass es erst Historikern gelingen kann, diese zeitgenössische Entwicklung aufzuschlüsseln. Wir müssen damit umgehen, aber verstehen können wir das nur mit viel mehr Informationen und sicher auch mit Abstand zum aktuellen Geschehen.

Interessant ist der Artikel aber alleine deshalb, weil er in einer maßgeblichen ausländischen Publikation erscheint, die das Bild von Deutschland sicher mit prägen kann. Geschrieben ist der Beitrag aber von einer in Berlin ansässigen, deutschstämmigen Journalistin. Was auch wahrzunehmen ist, sind die Reaktionen der weiteren genannten Personen: Merkel lehnte jede Stellungnahme ab, Steinmeier ließ ausrichten, er habe keine Zeit und Gabriel drohte vorsorglich mit rechtlichen Schritten.
Insofern ist das ein Puzzlestück in einer Sache, deren Aufklärung gerade erst beginnt. Als solches kann man es auch heute bereits zur Kenntnis nehmen.

Leider macht Schröder einen Punkt mit seiner Feststellung, ein Land wie Russland sei nicht dauerhaft isolierbar und früher oder später müsse man wieder mit ihm verhandeln. Dieser Hinweis ist leider richtig und er macht es so schwierig, aus dieser gescheiterten Ostpolitik eine neue zu machen.

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Hier das Original mit sehenswertem jüngeren Bildmaterial von Schröder, das jeder für sich bewerten mag: https://www.nytimes.com/…/schroder-germany-russia-gas…

Hier die Übersetzung:

Der ehemalige Bundeskanzler, der in Deutschland zu Putins Mann wurde
Gerhard Schröder, der von russisch kontrollierten Energieunternehmen fast 1 Million Dollar pro Jahr erhält, ist zu einem Paria geworden. Aber er ist auch ein Symbol für die deutsche Russlandpolitik.

HANNOVER, Deutschland – Am Abend des 9. Dezember 2005, 17 Tage nach dem Ausscheiden von Gerhard Schröder aus dem Amt des Bundeskanzlers, erhielt er einen Anruf auf seinem Mobiltelefon. Es war sein Freund, der russische Präsident Wladimir W. Putin.
Putin drängte Schröder, das Angebot anzunehmen, den Aktionärsausschuss von Nord Stream zu leiten, dem von Russland kontrollierten Unternehmen, das mit dem Bau der ersten Untersee-Gaspipeline beauftragt ist, die Russland und Deutschland direkt verbindet.
„Haben Sie Angst, für uns zu arbeiten?“ hatte Herr Putin gescherzt. Angesichts des Anscheins einer möglichen Unangemessenheit hätte Schröder durchaus Angst haben können – die Pipeline, deren Leitung er nun übernehmen sollte, war in den letzten Wochen seiner Kanzlerschaft mit seiner starken Unterstützung beschlossen worden.
Er nahm den Job trotzdem an.
Siebzehn Jahre später ist der ehemalige Bundeskanzler, der sich in zwei seltenen Interviews selbst zu den Ereignissen äußerte, so trotzig wie eh und je.
„Ich mache keine mea culpa“, sagte Herr Schröder, als er in seinem weitläufigen, von Licht und Kunst erfüllten Büro im Zentrum seiner Heimatstadt Hannover im Nordwesten Deutschlands saß. „Das ist nicht mein Ding.“
Angesichts des brutalen Krieges, den Putin jetzt in der Ukraine führt, überdenkt ganz Deutschland die Beziehungen zu Russland, die Deutschland – trotz jahrelanger Warnungen der Vereinigten Staaten und der osteuropäischen Verbündeten – in eine tiefe Abhängigkeit von russischem Gas gebracht haben, die Putin ein Druckmittel gegen Europa in die Hand gibt und gleichzeitig die Kriegskasse des Kremls füllt.
Diese Abhängigkeit entstand aus der deutschen Überzeugung – die von einer langen Reihe von Bundeskanzlern, Wirtschaftsführern, Journalisten und der Öffentlichkeit vertreten wurde -, dass ein handelsgebundenes Russland in einem Konflikt mit Europa zu viel riskieren würde, was Deutschland sicherer machen und gleichzeitig seiner Wirtschaft zugute kommen würde.
Mit dieser Überzeugung war Herr Schröder bei weitem nicht allein. Aber heute ist er das prominenteste Gesicht dieser langen Ära der Fehlkalkulation, nicht nur, weil er kein Bedauern ausdrückt, sondern auch, weil er davon profitiert hat, indem er Millionen mit der Förderung russischer Energieinteressen verdiente.
Seine engen Beziehungen zu Herrn Putin haben ihn in seinem eigenen Land zu einem Paria gemacht, wo viele ihn jetzt dafür kritisieren, dass er seinen Einfluss und seine Verbindungen in den letzten zwei Jahrzehnten dazu genutzt hat, sich auf Kosten Deutschlands zu bereichern.
„Er hat das Ansehen und den Einfluss des Kanzleramtes ausgenutzt und sich als Agent für russische Interessen angeboten, um sich zu bereichern“, sagte Norbert Röttgen, ein konservativer Abgeordneter, ehemaliger Minister und langjähriger Russland-Falke.
In den Interviews sprach Schröder, der heute 78 Jahre alt ist, mit unvermindertem Elan, machte Witze, argumentierte aber im Wesentlichen, dass, wenn er reich geworden sei, es sein Land auch sei. Als es um russisches Gas ging, waren alle an Bord, betonte er und verspottete seine Kritiker bei reichlich Weißwein.
„In den letzten 30 Jahren haben sie alle mitgemacht“, sagte er. „Aber plötzlich wissen es alle besser.“
Schröder machte sich über die Vorstellung lustig, sich nun persönlich von dem 69-jährigen Putin zu distanzieren, den er als Freund betrachtet und regelmäßig trifft, zuletzt im vergangenen Monat bei einem informellen Versuch, den Ukraine-Krieg zu beenden.
Schröder weigert sich, von seinen Aufsichtsratsmandaten in russischen Energieunternehmen zurückzutreten, obwohl er dazu aus dem gesamten politischen Spektrum aufgefordert wurde, nicht zuletzt von Bundeskanzler Olaf Scholz, einem Sozialdemokraten, der eng mit Schröder zusammenarbeitete, als dieser Bundeskanzler war.
Wenn er sich jetzt distanzieren würde, so Schröder, würde er das Vertrauen des einzigen Mannes verlieren, der den Krieg beenden kann: Putin. Doch nach all den Jahren enger Beziehungen zu Putin hat er bei seinem kurzen Versuch, im Ukraine-Konflikt zu vermitteln, nichts erreicht.
Inzwischen – mehr als zwei Monate nach Beginn des Ukraine-Kriegs – kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Schröder dem russischen Staatschef als Handlanger dient, um dessen eigenes Interesse zu befriedigen, Deutschland an billiges russisches Gas zu ketten.
Deutschlands Abhängigkeit von russischem Gas stieg von 39 Prozent im Jahr 2011 auf 55 Prozent, bevor Russlands Angriff auf die Ukraine im Februar begann, was täglich 200 Millionen Euro oder etwa 220 Millionen Dollar an Energiezahlungen an Russland ausmacht.
Dies hat dazu beigetragen, Putin zu einem der reichsten Männer der Welt zu machen, seine ansonsten schwache Wirtschaft anzukurbeln und ihn in die Lage versetzt und ermutigt, seine Aggression in der Ukraine fortzusetzen.
Selbst als Putin im letzten Herbst Truppen an der ukrainischen Grenze aufmarschieren ließ, besuchte Schröder den russischen Staatschef in Sotschi, einem von Putins bevorzugten Rückzugsorten, gegenüber der Schwarzmeerküste, die die russischen Streitkräfte der Ukraine zu entreißen versuchen.
Ein Handyfoto, das mir Schröder von diesem Besuch zeigte, zeigt die beiden Männer, die sich anlächeln, Putin in roter Eishockeyausrüstung und Schröder in einem hellblauen Hemd und Blazer. Auf die Frage, worüber sie sich unterhielten, antwortete er mir: „Fußball“.
Schröder distanzierte sich vom Krieg, aber nicht von Putin. Ich fragte ihn nach den inzwischen berüchtigten Gräueltaten in Bucha, einem Vorort von Kiew. „Das muss untersucht werden“, sagte Schröder, fügte aber hinzu, dass er nicht glaube, dass diese Befehle von Putin, sondern von einer niedrigeren Instanz gekommen seien.
„Ich glaube, dass dieser Krieg ein Fehler war, und das habe ich auch immer gesagt“, sagte Schröder. „Was wir jetzt tun müssen, ist, so schnell wie möglich Frieden zu schaffen.“
„Ich habe immer den deutschen Interessen gedient“, fügte er hinzu. „Ich tue, was ich tun kann. Wenigstens eine Seite vertraut mir.“
Diese Seite ist nicht die deutsche Seite.
Seit dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine hat der gesamte Mitarbeiterstab von Schröders Parlamentsbüro aus Protest gekündigt, einschließlich seines Stabschefs und seines Redenschreibers, der ihn über 20 Jahre seit seiner Zeit als Bundeskanzler begleitet hatte.
Er gab seine Ehrenbürgerschaft in Hannover auf, bevor seine Heimatstadt sie ihm entziehen konnte – was sie zuletzt posthum bei Adolf Hitler getan hatte. Als sogar der Fußballverein Borussia Dortmund, den Schröder seit seinem sechsten Lebensjahr unterstützt, von ihm eine klare Stellungnahme zu Putin verlangte, kündigte Herr Schröder seine Mitgliedschaft.
Auch unter den Sozialdemokraten werden die Rufe nach seinem Ausschluss lauter.
Aber Schröder lässt sich nicht beirren. Er ist nach wie vor Vorsitzender des Aktionärsausschusses von Nord Stream und verdient Berichten zufolge etwa 270.000 Dollar im Jahr. Außerdem war er Vorsitzender des Aufsichtsrats von Nord Stream 2, einer zweiten Pipeline, die Russland mit Deutschland unter der Ostsee verbinden sollte, bis sie vor dem Krieg stillgelegt wurde.
Drei Wochen bevor Russland seinen Angriff auf die Ukraine startete, kündigte Gazprom – das sowjetische Energieministerium, das sich in ein staatlich kontrolliertes russisches Gasunternehmen verwandelt hat und 51 Prozent von Nord Stream und Nord Stream 2 besitzt – an, dass Schröder auch dem Aufsichtsrat beitreten würde. (Herr Schröder wollte nicht sagen, ob er die Nominierung annehmen würde.)
Seit 2017 ist er auch Vorstandsvorsitzender des russischen Ölkonzerns Rosneft und verdient laut öffentlichen Aufzeichnungen zusätzlich zu seinem monatlichen 9. 000-Dollar-Regierungsgehalt als ehemaliger Bundeskanzler weitere 600.000 Dollar pro Jahr.
Schröders Verstrickungen mit dem russischen Präsidenten und den vom Kreml kontrollierten Energiekonzernen überschatten alles, was er in den sieben Jahren als Bundeskanzler von 1998 bis 2005 erreicht hat. In dieser entscheidenden Zeit wurde er dafür gelobt, dass er sich weigerte, sich den Vereinigten Staaten im Irakkrieg anzuschließen, dass er Einwanderern einen regulären Weg zur Staatsbürgerschaft eröffnete und dass er weitreichende Arbeitsmarktreformen einführte, die den Weg für ein Jahrzehnt des Wachstums unter seiner Nachfolgerin Angela Merkel ebneten.
Dieses Erbe ist für immer beschmutzt worden.
Doch selbst seine schärfsten Kritiker räumen ein, dass Schröders enge und lukrative Geschäfte mit Russland auch für die jahrzehntelange Annäherung seines Landes an Russland symbolisch sind. Mit aggressiver Lobbyarbeit der deutschen Exportindustrie und unter dem Beifall der Gewerkschaften haben die aufeinanderfolgenden Bundeskanzler, darunter auch Frau Merkel, gemeinsam Deutschlands Abhängigkeit von der russischen Energieversorgung geschaffen.
„Schröder ist die Spitze des Eisbergs“, sagte Wolfgang Ischinger, ein ehemaliger Botschafter in den Vereinigten Staaten und erfahrener Diplomat. „Aber es gibt einen ganzen Eisberg unter ihm.“
Der lange Schatten der Ostpolitik
Schröder wurde 1944 geboren, ein Jahr vor Ende des Zweiten Weltkriegs, und lernte seinen Vater nie kennen, der für die Nazis kämpfte und an der Ostfront getötet wurde, als der künftige Bundeskanzler erst sechs Monate alt war. Die Schrecken, die die Nazis in der Sowjetunion anrichteten, wo etwa 27 Millionen Menschen starben, haben seine Jugend schwer belastet, sagte er.
Schröder trat den Sozialdemokraten bei, als er 19 Jahre alt war, und studierte Jura während der Studentenrevolte von 1968, die das Schweigen der Elterngeneration über die deutsche Nazi-Vergangenheit herausforderte.
Ein Jahr später, als Schröder 25 Jahre alt war, wurde Willy Brandt der erste sozialdemokratische Bundeskanzler der Nachkriegszeit und leitete eine neue Politik des Engagements mit der Sowjetunion ein, die als Ostpolitik bekannt wurde.
Das Leitmotiv der Ostpolitik lautete „Wandel durch Handel“ und wurde zu einer tragenden Säule aufeinander folgender sozialdemokratisch geführter Regierungen, einschließlich der von Herrn Schröder zwei Jahrzehnte später.
Bis heute steht in einer Ecke von Herrn Schröders Büro eine Statue von Brandt. Die beiden Kinder von Herrn Schröder wurden beide aus Russland adoptiert.
„All diese Dinge haben meine Beziehung zu Russland schon sehr früh beeinflusst, und als Kanzler habe ich versucht, sie auf diese Weise fortzusetzen“, sagte er.
Was Pipelines angeht, war Schröder nicht der erste. Schon während des Kalten Krieges wurden sie zwischen Deutschland und Russland gebaut. Unter Brandt unterzeichnete Deutschland 1970 ein großes Pipelineprojekt mit Moskau.
Sein Nachfolger Helmut Schmidt, Bundeskanzler für den Rest der 1970er und die frühen 1980er Jahre, sorgte für eine Ausweitung der Pipelines, einschließlich eines weiteren großen Projekts, der Westsibirien-Pipeline.
Während diese Pipeline in Deutschland unumstritten war, gab es im Ausland – insbesondere in den Vereinigten Staaten – viele Kritiker. Die Sowjets waren bereits in Afghanistan einmarschiert und zwangen die polnische Regierung bald dazu, antikommunistische Proteste niederzuschlagen und das Kriegsrecht zu verhängen.
„Im Grunde war die Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und später mit Russland seit den 1960er Jahren eine Konstante“, sagte Schröder.
„Sie bekamen das Geld und sie lieferten das Gas“, sagte Schröder über die Russen. „Selbst in den härtesten Zeiten des Kalten Krieges gab es nie Probleme“.
Nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 und dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde billige russische Energie mehr denn je als verdiente Friedensdividende angesehen.
Sie war auch der geostrategische Nordstern Deutschlands. Für ein Land, das nach dem Zweiten Weltkrieg auf eine militärische Dimension seiner Außenpolitik verzichtet hatte, bedeuteten wirtschaftliche Interessen seine Sicherheitsinteressen.
Deutschland ist energiearm, und als seine Kohleressourcen in den späten 1990er Jahren zur Neige gingen, brauchte es erschwingliche Brennstoffe, um seine exportorientierte Wirtschaft, die zu den fünf größten der Welt gehört, anzutreiben. Nachdem die russischen Pipelines eingerichtet waren, versorgten sie die deutsche Industrie über langfristige Verträge mit einer stetigen Gasversorgung, die Deutschland dazu veranlasste, sich nicht mehr nach anderen Anbietern umzusehen.
„Diese Geschichte – das frühe Gaspipelinegeschäft mit der Sowjetunion, der Versuch, einen Kompromiss mit der Sowjetunion zu finden – war unter anderem die Grundlage dafür, dass die Russen sagen konnten: ‚OK, mit diesem Deutschland können wir die Wiedervereinigung riskieren'“, sagte Schröder.
Während seiner eigenen Amtszeit von 1998 bis 2005 brachte Schröder das nächste deutsche Pipelineprojekt, Nord Stream 1, auf den Weg.
Seine Pipeline unterschied sich jedoch in wichtigen Punkten von denen seiner Vorgänger. Sie umging die Ukraine und Polen und verband Russland und Deutschland zum ersten Mal direkt unter der Ostsee.
Und der russische Präsident, mit dem er es zu tun hatte, war Wladimir W. Putin.
Der Bundeskanzler
Bei einem der ersten Besuche von Schröder bei Putin in Moskau lud der russische Präsident den Kanzler in die Sauna seiner Privatresidenz außerhalb von Moskau ein und bot ihm ein Bier an.
Schröder sagte, als die Sauna plötzlich Feuer fing, habe Putin versucht, ihn schnell herauszuholen, aber er habe darauf bestanden, zuerst sein Bier auszutrinken.
Die beiden Staatschefs verstehen sich gut, und das nicht nur wegen ihres legendären Macho-Gehabes. Putin, ein ehemaliger KGB-Agent, der in Dresden stationiert war, sprach fließend Deutsch und wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf, wie Schröder, dessen Mutter eine Putzfrau war und fünf Kinder allein großzog.
„Das hat eine gewisse Nähe geschaffen“, sagte Schröder. „Man hatte das Gefühl, dass man sich aufeinander verlassen kann.“
„Das Bild, das die Menschen von Putin haben, ist nur die halbe Wahrheit“, sagte er.
Im Jahr 2001 sprach Putin als erster russischer Präsident vor deutschen Gesetzgebern. In seiner Rede auf Deutsch bezeichnete er Russland als eine „befreundete europäische Nation“, deren Ziel ein „stabiler Frieden auf dem Kontinent“ sei, und erhielt stehende Ovationen. Zu den Applaudierenden gehörte an diesem Tag auch Angela Merkel, die Nachfolgerin von Schröder.
Schröder erinnerte sich an die Stimmung in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts. Jahrhunderts. „Es fühlte sich wie eine neue Ära an: das Europäische Haus von Wladiwostok bis Lissabon“, sagte er.
Nord Stream 1 war ein gemeinsames Projekt, das von Gazprom und einem finnischen Energieunternehmen initiiert wurde, bevor Schröder und Putin ins Amt kamen, und an dem schließlich deutsche, französische und niederländische Unternehmen beteiligt waren.
Die Idee war, die deutsche und europäische Gasversorgung zu einer Zeit zu sichern, in der Streitigkeiten zwischen Russland und der Ukraine über Transitgebühren und Kiews Abzapfen von Gas die Sorge vor Versorgungsunterbrechungen schürten.
„Irgendwann kam die Industrie und sagte, wir brauchen mehr, möglicherweise viel mehr Gas“, erinnerte sich Schröder. „Wir brauchen die Pipeline nicht nur, weil wir mehr Gas brauchen. Wir brauchen die Pipeline auch wegen der Schwierigkeiten mit der Pipeline in der Ukraine.“
„Warum hätten wir als Regierung Einspruch erheben sollen?“, fügte er hinzu. „Es ist niemandem in den Sinn gekommen, dass dies zu einem Problem werden könnte. Es war einfach eine Möglichkeit, Gas für die Deutschen, für die deutsche Schwerindustrie und auch für die chemische Industrie, mit weniger Problemen und Störungen zu beschaffen.“
Schröder und Putin unterstützten das Projekt von Anfang an und richteten Arbeitsgruppen ein, um über Industrie und Sicherheit zu diskutieren.
Eine davon war die strategische Arbeitsgruppe, die von Klaus Mangold geleitet wurde, einem ehemaligen leitenden Angestellten von Daimler und damaligen Chef des Ost-Ausschusses, einer pro-russischen Lobbygruppe. Vertreter der Industrie und wichtiger Ministerien aus beiden Ländern trafen sich mehrmals im Jahr in Deutschland und Russland. Schröder und Putin nahmen regelmäßig daran teil.
Am 8. September 2005, zehn Tage vor der Wahl, bei der die Sozialdemokraten von Schröder gegen die Konservativen von Frau Merkel verloren, wurde der Nord Stream 1-Vertrag von Vertretern von Gazprom, E.On und BASF unterzeichnet. Er wurde von Industrie und Politikern aller Couleur gefeiert. Putin war zu diesem Anlass angereist und wohnte der Zeremonie gemeinsam mit Schröder bei. „Unabhängig davon, ob er sein Amt behält oder nicht“, sagte Putin auf einer gemeinsamen Pressekonferenz nach der Unterzeichnung, „werden wir weiterhin sehr gute Beziehungen zueinander haben.
Der Lobbyist
Im November 2005, zwei Monate nach Schröders Wahlniederlage, bat ein Gazprom-Manager um ein Treffen. Im Flughafenhotel in Hannover bot ihm der Manager den Posten des Aufsichtsratsvorsitzenden des neu gegründeten Unternehmens an, das für den Bau von Nord Stream 1 zuständig war.
„Das kam mir ein bisschen früh vor“, erinnert sich Schröder an das Treffen.
Er war fasziniert. Ein Jahr zuvor, an seinem 60. Geburtstag, hatte ihn sein Biograf Reinhard Urschel gefragt, was er nach seinem Ausscheiden aus dem Amt tun wolle. „Geld verdienen“, hatte Herr Schröder geantwortet.
Aber es war mehr als das, sagte Schröder. „Ich war Kanzler gewesen. Ich konnte nicht zurückgehen, um mich als Anwalt mit Mietverträgen zu beschäftigen. Ich brauchte ein Projekt“, sagte er. „Etwas, von dem ich wusste, wie man es macht und wo ich deutschen Interessen dienen konnte. Als Putin Schröder in der Nacht des 9. Dezember 2005 auf seinem Mobiltelefon anrief, nahm er das Angebot an.
Viele in Deutschland waren entsetzt. Kein Bundeskanzler vor ihm hatte einen Job in einem Unternehmen angenommen, das von einem fremden Land kontrolliert wurde, geschweige denn in einem, das von seiner Unterstützung im Amt profitiert hatte.
Doch das Pipeline-Projekt selbst blieb unumstritten.
„Die nächste Regierung setzte es nahtlos fort“, erinnerte sich Schröder. „Niemand in der ersten Merkel-Regierung hat ein Wort dagegen gesagt. Keiner!“
Herr Ischinger, der Schröders Botschafter in den Vereinigten Staaten war und später die Münchner Sicherheitskonferenz leitete, stimmte zu.
„Man kann Schröder nicht die Schuld für Nord Stream 1 geben“, sagte Ischinger. „Die meisten deutschen Politiker, ob in der Regierung oder in der Opposition, haben das nicht kritisch hinterfragt. Keiner hat gefragt, ob wir nicht den Grundstein dafür legen, dass wir uns in eine ungesunde Abhängigkeit begeben.“
Angela Merkel lehnte es über einen Sprecher ab, für diesen Artikel Stellung zu nehmen.
Die Planung und der Bau von Nord Stream 1 dauerten sechs Jahre. Im Jahr 2011 nahm Schröder an beiden Eröffnungsfeiern teil – an einer auf russischer Seite, in Wyborg, zusammen mit dem damaligen russischen Premierminister Putin, und an der anderen auf deutscher Seite, in Lubmin an der Ostsee, zusammen mit Merkel und Putins vertrauenswürdigem Verbündeten, dem damaligen russischen Präsidenten Dmitri A. Medwedew.
„Diese Gaspipeline wird die Energieversorgung Europas erheblich sicherer machen“, sagte Schröder damals. Nachdem Nord Stream 1 in Betrieb genommen worden war, machte sich Schröder daran, für eine zweite Pipeline zu werben: Nord Stream 2. Das war der Zeitpunkt, an dem die eigentliche Kontroverse“ begann, sagte Ischinger.
Anfang 2011 hatte Merkel die Welt und auch ihr eigenes Land mit der Ankündigung verblüfft, dass Deutschland nach der Katastrophe im japanischen Atomkraftwerk Fukushima aus der Atomenergie aussteigen werde. Unter dem Druck der deutschen Industrie, alternative Energiequellen zu finden, zeigte sie sich offen für Nord Stream 2.
„Sie sagten, wir brauchen eine Übergangstechnologie – mit erneuerbaren Energien allein werden wir es nicht schaffen, zumindest nicht zu einem Preis, der uns nicht in finanzielle Schwierigkeiten bringt“, sagte Schröder. „Die Übergangstechnologie war Gas.“
Doch Putins Einmarsch in die Ukraine im Februar 2014 und die Annexion der Krim im darauffolgenden Monat warfen Fragen über die Durchführbarkeit von Nord Stream 2 auf, als der Westen die ersten Sanktionen gegen Russland verhängte. Als der Widerstand gegen Nord Stream 2 zunahm, verstärkte sich auch die Lobbyarbeit von Schröder.
Seine wichtigsten Verbündeten bei Nord Stream 2 in der Regierung Merkel waren laut Christoph Heusgen, Merkels oberster außenpolitischer Berater bis 2017, der Wirtschaftsminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel und der Außenminister Frank-Walter Steinmeier, beide Sozialdemokraten wie der ehemalige Kanzler und beide aus seinem Heimatland Niedersachsen.
Steinmeier, der jetzt Bundespräsident ist, hatte in den 1990er Jahren für Schröder gearbeitet, als dieser niedersächsischer Ministerpräsident war, und wechselte später mit ihm ins Kanzleramt. Gabriel war Schröders Nachfolger als niedersächsischer Ministerpräsident. Die wechselnden Kontakte beunruhigten einige Abgeordnete so sehr, dass sie die Regierung aufforderten, eine Liste der Treffen zwischen Politikern und Vertretern von Nord Stream 2 offenzulegen.
Dem Bericht zufolge gab es zwischen Januar 2015 und Oktober 2017 62 solcher Treffen, davon 20 mit Gabriel und 10 mit Steinmeier oder seinen Botschaftern in Brüssel und Moskau.
Matthias Warnig, der Geschäftsführer von Nord Stream 2, der an 19 der in dem Bericht genannten Treffen teilgenommen hat, hat zugegeben, ein ehemaliger Stasi-Spitzel gewesen zu sein, die ehemalige Geheimpolizei der kommunistischen DDR. Aus Stasi-Unterlagen geht hervor, dass sowohl er als auch Putin im Februar 1988, als er als KGB-Offizier in Dresden stationiert war, mit Medaillen für ihre Dienste ausgezeichnet wurden. Warnig hat jedoch Berichte dementiert, wonach er auf ihre alten Tage Spione für Putin rekrutiert habe.
Im Februar 2015 brachte Schröder Warnig zu Gabriel, um die Zusammenarbeit mit Russland zu besprechen, wie aus der im Bericht enthaltenen Liste der Treffen hervorgeht. Außerdem begleitete er die Verantwortlichen von Nord Stream 2 zu den damaligen Botschaftern Steinmeiers in Moskau und Brüssel.
Steinmeier lehnte es ab, für diesen Artikel interviewt zu werden. In einer SMS sagte Gabriel, er habe sich nur mit „Vertretern Russlands und Gazproms zwischen 2014 und 2016“ getroffen, um „einen drohenden Lieferstopp Russlands an die Ukraine abzuwenden.“ Er fügte hinzu: „Sollten Sie meine Besuche und Treffen in Russland in einen anderen Zusammenhang stellen, möchte ich Sie schon jetzt darüber informieren, dass ich rechtliche Schritte einleiten werde.“
Ein großes Ereignis war die 70. Geburtstagsfeier für Schröder, die von Nord Stream im majestätischen Jussupow-Palast in St. Petersburg, Russland, ausgerichtet wurde. Putin nahm daran teil, ebenso wie der Vorstandsvorsitzende von Gazprom, Alexey B. Miller, und Warnig.
Nord Stream 2 wurde im Juni 2015 genehmigt, im selben Jahr, in dem Gazprom unter der Regierung Merkel die Erlaubnis erhielt, Deutschlands größten strategischen Gasspeicher zu kaufen, in dem das Unternehmen die Gasmengen im vergangenen Jahr auffallend niedrig gehalten hat, was eine Vorbereitung darauf gewesen sein könnte, Putin in seinem Krieg ein Druckmittel zu liefern.
Schröder sagte jedoch, dass ihn weder die wachsende Abhängigkeit noch die Warnungen der Amerikaner und Osteuropäer vor einer möglichen Nutzung der Energielieferungen durch Putin beunruhigen würden.
Die Russen seien immer zuverlässig gewesen, wenn es um die Lieferung von Öl und Gas ging.
„Warum hätten wir misstrauisch sein sollen? Es hat immer funktioniert“, sagte Schröder. „Für uns bedeutete die Abhängigkeit eine doppelte Abhängigkeit. Die so genannte Energiewaffe ist zweideutig. Sie brauchen Öl und Gas, um ihren Haushalt zu finanzieren. Und wir brauchen Öl und Gas zum Heizen und um die Wirtschaft am Laufen zu halten.
Diese Argumentation erklärt, warum Schröder sagt, dass er im letzten Jahr – sogar inmitten der russischen Truppenaufstockung – für das Geschäft mit dem russischen Ölkonzern Rosneft warb, um die Mehrheit an der kritischen Ölraffinerie in Schwedt, im Nordosten Deutschlands, aufzukaufen.
Obwohl die strategische Raffinerie an ein russisches Unternehmen ging, argumentierte Schröder, dass das Geschäft letztlich im Interesse Deutschlands war.
„Wir haben dafür gesorgt, dass Shell nicht an ein unbekanntes Private-Equity-Unternehmen verkaufen konnte“, sagte er. „Sie hätten es sofort verkauft.“
„Wenn das Öl nicht mehr fließt, ist Schwedt am Ende“, sagte er, „mit allen Konsequenzen, die das für Nordostdeutschland, auch für Berlin, hat.“
Der Vermittler
Anfang März, etwas mehr als eine Woche nach Beginn des Krieges, wurde Schröder nach eigenen Angaben über ein Schweizer Medienunternehmen, Ringier, von ukrainischen Beamten kontaktiert und gefragt, ob er als Vermittler zwischen Moskau und Kiew zur Verfügung stehen würde.
Schröder sagte, er habe sich von den ukrainischen Beamten versichern lassen, dass die Regierung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Zelenskij die Initiative unterstütze.
Die Antwort aus Kiew war schnell, aber zurückhaltend. Ein Abgeordneter der Opposition, Rustem Umerov, wurde zu Schröder nach Istanbul geschickt, um ihm die ukrainischen Forderungen darzulegen. Die beiden Männer trafen sich am 7. März zwei Stunden lang.
Danach, im Taxi zum Flughafen, rief Schröder einen vertrauenswürdigen Kontakt in der russischen Botschaft in Berlin an, um zu fragen, ob Putin ihn empfangen würde. Zehn Minuten später hatte er grünes Licht, und am 9. März wurde ein russischer Jet geschickt, um ihn in Istanbul abzuholen. In Moskau wurde Schröder wie ein Staatsoberhaupt behandelt: Im Gegenzug zu einem russischen PCR-Test wurde er von der Coronavirus-Quarantäne befreit und durfte an Putins berühmt gewordenen 20 Fuß langen Tisch Platz nehmen. Nach dem Treffen mit Putin traf er sich einen Tag später auch mit dem Hauptunterhändler des Präsidenten, Wladimir Medinskij, und Roman Abramowitsch, einem Oligarchen, der als Vermittler zwischen dem Kreml und Zelenskij fungiert.
„Was ich Ihnen sagen kann, ist, dass Putin an einer Beendigung des Krieges interessiert ist“, sagte Schröder. „Aber das ist nicht so einfach. Es gibt noch einige Punkte, die geklärt werden müssen.“
Am 13. März erstattete er Herrn Umerow in Istanbul Bericht. Seitdem hat es keinen weiteren Kontakt gegeben. Andriy Melnyk, Botschafter der Ukraine in Berlin, erklärte die Initiative für „gescheitert“.
Schröder sagte, er sei bereit, sich mit beiden Seiten wieder zu treffen.
Selbst jetzt, zwei Monate nach Beginn des Krieges, glaubt Schröder, dass russisches Gas und Öl in jedem Fall weiter fließen werden. Die Regierung sollte kein Energieembargo verhängen, sagte er. „Mein Rat ist, darüber nachzudenken, was eine exportabhängige Wirtschaft noch verkraften kann und was nicht mehr“, sagte er.
Und wenn Russland den Hahn zudreht?
„Das wird nicht passieren“, sagte Schröder. Aber wenn doch, „dann würde ich zurücktreten“.
Der Paria
Da die Kritik an ihm in diesem Jahr zunahm, ist es für Schröder zu Hause einsam geworden. Vor kurzem hat er mit dem Klavierspielen begonnen. Vor seinem Haus wacht Tag und Nacht ein Polizeiauto. Viele seiner alten sozialdemokratischen Parteifreunde haben ihn verleugnet. Aber wenn es einen Ort gibt, an dem Herr Schröder noch geschätzt zu werden scheint, dann ist es Russland.
Putin sprach im Februar während einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem derzeitigen deutschen Bundeskanzler Scholz, der den Kreml in einem letzten Versuch, einen Krieg abzuwenden, besuchte, voller Hochachtung über Schröder. “ Schröder ist ein ehrlicher Mann, den wir respektieren und dessen Ziel es ist, in erster Linie die Interessen seines eigenen Landes, der Bundesrepublik Deutschland, zu fördern“, sagte der russische Staatschef.
„Die deutschen Bürger sollen ihre Geldbörsen öffnen, einen Blick hineinwerfen und sich fragen, ob sie bereit sind, das Drei- bis Fünffache für Strom, Gas und Heizung zu zahlen“, fügte Putin hinzu. „Wenn nicht, sollten sie Schröder danken, denn das ist sein Verdienst, ein Ergebnis seiner Arbeit.“ Im russischen Staatsfernsehen wird Schröder häufig als westliche Stimme der Vernunft zitiert, ein Beweis für die Behauptung des Kremls, dass die derzeitigen europäischen Staats- und Regierungschefs die Interessen ihrer Länder an die „russophoben“ Vereinigten Staaten verkauft haben.
Im Januar lobte Dmitri Kisseljow, der Moderator der wichtigsten wöchentlichen Nachrichtensendung des russischen Staatsfernsehens, „Vesti Nedeli“, Schröder als den letzten deutschen Bundeskanzler, bevor Europa „seine eigene Stimme“ in der Außenpolitik verlor. „Von da an ging es nur noch bergab“, so Kisseljow.
Für Putins Kritiker ist Schröder jedoch der Inbegriff einer feigen Klasse westlicher Politiker, die Putin durch die Finanzierung und Legitimierung des Kremls unterstützen. Nachdem Putins wichtigster innenpolitischer Rivale, Aleksei A. Navalny, im Jahr 2020 vergiftet wurde, was unter anderem von der deutschen Regierung als staatlich gefördertes Attentat bezeichnet wurde, spielte Schröder die Angelegenheit in den deutschen Medien öffentlich herunter.
In den Interviews darauf angesprochen, wies er darauf hin, dass Nawalny in Russland verurteilt worden war. Letzten Monat wurde Nawalny zu neun Jahren Haft in einer Strafkolonie verurteilt, nachdem er von einem russischen Gericht des Betrugs im großen Stil und der Missachtung der Menschenrechte für schuldig befunden worden war. Ich wies darauf hin, dass er vergiftet worden war. „Ja, aber von wem?“ erwiderte Schröder.
Nachdem er nach der Vergiftung aus dem Koma erwacht war, sagte Nawalny gegenüber der deutschen Boulevardzeitung Bild, Schröder sei „Putins Laufbursche, der Mörder schützt“.
Dennoch hält Schröder an seiner festen Überzeugung fest, dass Frieden und Wohlstand in Deutschland und Europa immer vom Dialog mit Russland abhängen werden. „Man kann ein Land wie Russland nicht auf Dauer isolieren, weder politisch noch wirtschaftlich“, sagte er. „Die deutsche Industrie braucht die Rohstoffe, die Russland hat. Es geht nicht nur um Öl und Gas, sondern auch um seltene Erden. Und das sind Rohstoffe, die man nicht einfach ersetzen kann.“
„Wenn dieser Krieg vorbei ist“, sagte Schröder, „werden wir wieder mit Russland verhandeln müssen. Das tun wir immer.“

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