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Krieg erfordert den Umgang mit Nichtwissen

Die einen sagen, die Ukraine könne militärisch gewinnen. Die anderen sagen, sie werde dabei nur zerstört. Die einen sagen, die Russen begehen Kriegsverbrechen, dagegen ist vorzugehen. Die anderen sagen, das könne nur durch schnelle Verhandlungen eingedämmt werden. Die einen sagen, Putin muss weg, es kann kein anderes Ziel geben, um Frieden zu erreichen. Die anderen sagen, das kann nicht funktionieren, sondern nur das Leid verlängern. Die einen sagen, Putin habe den dritten Weltkrieg bereits begonnen, dem müsse man sich stellen, um ihn zu begrenzen. Die anderen sagen, der dritte Weltkrieg drohe, man dürfe ihn nicht durch Eskalation riskieren.
Vielleicht müssen wir uns darauf einigen, dass wir es nicht wissen?
Was wir aber wissen und worauf wir uns einigen sollten: Die bisherigen Konzepte sind gescheitert. Es ist ein europäischer Krieg, der die europäische Sicherheit insgesamt betrifft. Er geht uns alle an, einen Status quo ante kann es nicht geben. Die Frage kann also nur lauten, wie wir uns wehren, nicht, ob wir das tun.
Wir brauchen diese Einigkeit, um diejenigen kritisch zu begleiten und zu unterstützen, die für uns in den genannten und noch viel mehr Fragen die Entscheidungen zu treffen haben. Die können es nämlich auch nicht wissen, sie können nur das ihnen zur Verfügung stehende Wissen, das es in dem Fall öffentlich niemals geben kann, einsetzen, um die bestmögliche Näherung an diese Fragen zu erreichen.
In der Corona-Krise ist die Kommunikation in der Öffentlichkeit und auch zwischen Politik und Öffentlichkeit fatal gescheitert. Im Ergebnis ist eine öffentliche Debatte mit Pseudowissen geführt worden, die nur zu einer unüberwindbaren Lagerbildung geführt hat. Dabei hatten wir sogar noch den Vorteil, dass sehr viel Wissen öffentlich verfügbar war. Das ist nun anders, was es noch schwieriger macht. Diese Lagerbildung sollte sich trotzdem nicht wiederholen.
Wir werden weiter öffentlich über solche Fragen diskutieren, weil sie nun mal offensichtlich sind, aber wir sollten gegenseitig akzeptieren, dass keiner von uns es wirklich weiß. Es ist für uns alle ein Näherungsprozess. Den kann man mit verschiedenen Meinungen gemeinsam gehen, das muss nicht zu Lagern führen.
Es ist schon problematisch genug, dass es Randgruppen gibt, die der jeweiligen Propaganda blind folgen. Ziel von Propaganda ist es, diese Ränder so breit wie möglich zu machen. Das muss nicht passieren, wenn wir kritisches Denken dafür einsetzen, unser eigenes Wissen in Frage zu stellen. Das ist nämlich der Ausgangspunkt kritischen Denkens, es ist nicht der Zweifel an dem Wissen anderer, sondern an dem eigenen!

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