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Wir sollten uns auf schlechte Nachrichten einstellen

Die Nachrichten und die Bilder der kommenden Wochen sind bereits geschrieben. Eine kurze Meldung der NYT fasst es zusammen: „The general, Aleksandr V. Dvornikov, oversaw forces accused of bombing residential neighborhoods to break support for groups opposed to Syria’s leader, Bashar al-Assad. Similar assaults have been reported in Ukraine in recent days, including a rocket attack on a train station in Kramatorsk on Friday that killed more than 50 people who were attempting to flee. Britain’s defense intelligence service said Saturday that Russia’s pullback from Ukraine’s capital, Kyiv, revealed “evidence of the disproportionate targeting of non-combatants.” And there are no signs Russian forces will change tactics.“
 
Der neue General ist also ein alter Bekannter aus dem Syrien-Krieg und offensichtlich erprobt in dem Vernichtungskrieg, auf den Putin sich nun wohl endgültig festgelegt hat. Das betrifft vor allem den Osten und den Süden der Ukraine, deren Regierung die Bevölkerung in einigen Regionen inzwischen dazu aufruft, zu fliehen, so lange das noch möglich ist.
 
Die Verteidigung der Ukrainer ist in den Bereichen Berichten zufolge nicht mit der um Kiew zu vergleichen. Das Terror-Programm wird also weiter laufen und es dürfte als beabsichtigte Folge eine deutlich zweistellige Millionenzahl an Flüchtlingen geben.
 
Wir sollten aufhören, ein schnelles Ende des Mordens zu erwarten und auch keine militärischen Fehlschläge Russlands überbewerten. Putin hat genug Ressourcen, um zu reagieren und wie er die einsetzt, ist leider bereits jetzt klar.
 
Es ist in der Tat eine Zeitenwende. Die hat erst begonnen.
 
In der Wirtschaft ist das Signal der Zeitenwende überwiegend angekommen. Geschäftsbeziehungen mit Russland werden eingestellt, Ausnahmen bestätigen die Regel. Russische Energielieferungen werden soweit möglich ausgelistet. Unternehmen, die am russischen Gas hängen, bemühen sich teilweise verzweifelt um Alternativpläne, ggf. auch kontrollierte Stilllegungen. Bei Habeck stehen sie Schlange, um im Falle von Rationierungen, die ganz offensichtlich vorbereitet werden, als systemrelevant eingestuft zu werden. Perspektivisch ist russisches Gas tot. Diese über normale Geschäftsbeziehungen hinaus gehende Abhängigkeit will jeder nur noch los werden.
 
Es gibt sicher wie immer Profiteure und Krisengewinner, aber Unternehmer und Manager mit etwas Restverstand versuchen, so schnell wie möglich die Beziehungen zu Russland zu kappen. Keiner will diese Risiken noch länger „in den Büchern“ haben. Wir sollten nicht den Fehler machen, „der Wirtschaft“ zu unterstellen, sie wolle das unterlaufen, wie es Paul Krugman in der NYT mehr als deutlich vermutete. An der Stelle teile ich seine Meinung ausnahmsweise gar nicht: Selbst die mit Russland besonders eng verbundenen Energieriesen schreiben konsequent Milliarden ab und schließen die Tür hinter sich zu. Sicher braucht dieser Prozess Zeit, es gibt gewiss Entscheider, die noch hoffen und zögern, aber das ist irreversibel und täglich mehren sich die entsprechenden Nachrichten aus den Unternehmen.
 
Sorgen bereiten eher die Netzwerke Putins, die uns in den Medien beschallen und die sicher bis in die Politik reichen. Ein mächtiger Arm dieses Netzwerks steht gerade in Frankreich zur Wahl um das Präsidentenamt. Aber auch bei uns existieren diese Verbindungen und sicher nicht nur zur AfD, die sich nicht ziert, als offensichtlicher Kreml-Sprecher zu fungieren. Das dürfte Absicht sein, für jede Zielgruppe der entsprechende Kanal.
 
Intransparent sind die Verbindungen in andere Teile der Politik. Diese Schieflage insbesondere in der Energiepolitik ist ohne Einflussnahme kaum denkbar. Darüber hinaus haben wir aber größere Kreise einer düpierten Russlandpolitik letztlich in allen Parteien. Die muss sich teilweise erst noch neu sortieren. Hinzu kommt der leider chronische Opportunismus in der Politik, der sich weigert, unangenehme, gar schmerzhafte Dinge zu tun.
 
Möglicherweise setzen so manche in der Politik daher auf eine baldige Beruhigung der Lage und mögliche Anknüpfungspunkte, denn: Die Folgen sind in unserem Leben bisher kaum spürbar. Die beginnenden Diskussionen über die ersten Flüchtlinge und vor allem über die Spritpreise lassen Zweifel zu, ob wir bereit sind, spürbare Veränderungen unseres Lebens – vor allem die mit der Bezeichnung „Wohlstand“ – tatsächlich hinzunehmen.
 
Es ist eher die öffentliche Reaktion in den europäischen Ländern, deren Nagelprobe erst noch bevorsteht und die deshalb auch von der Politik wohl teilweise noch gemieden wird. In Frankreich werden wir bald sehen, welche Richtung Mehrheiten findet, in Ungarn wissen wir das, bei uns steht es, wenn wir ehrlich sind, aus, so lange hier noch nichts wesentliches passiert ist.
 
Daher hat Habeck Recht, wenn er sagt: Was wir tun, müssen wir dauerhaft tun und deshalb müssen wir es so tun, dass es uns nicht umwirft. Zugleich besteht natürlich das Risiko eines Embargos von russischer Seite. Putin wird kaum abwarten, bis sich die letzten Verbraucher seiner Energie „sanft“ gelöst haben. Niemand kann voraussagen, ob, wann und wie er diese Karte spielt. Man darf vermuten, dass er sie in Europa asymmetrisch spielen wird, um seine Spaltungspolitik zu betreiben.
 
Wenn die Berichte und Einschätzungen zu seinen Plänen stimmen, hat er die Reaktion des Westens so nicht erwartet. Wie er auch den Widerstand und die Verteidigungsbereitschaft der Ukraine nicht erwartet hat. Aber er wird nicht aufgeben, sondern reagieren. Er reagiert in der Ukraine mit Eskalation und damit müssen wir auch bei den Sanktionen rechnen. Auch er dürfte wissen wollen, wie standhaft unsere Öffentlichkeit bleibt, wenn es wirklich weh tut. Auch hier ist die Frage vollkommen offen, für wen die Zeit zunächst spielt.
 
Die Zeitenwende hat gerade erst begonnen. Es wird leider zuerst mal alles schlechter werden. Diese Nachrichten sind bereits geschrieben. Je bewusster wir damit umgehen, desto besser können wir uns aufstellen. Dieses Signal vermisse ich aus der Politik. Sie sollte nicht auf Zeit spielen, sonst arbeitet die gegen uns. Erneut muss man Habeck erwähnen, der das vermutlich ähnlich sieht und entsprechend auch bereits kommuniziert. Es bedarf aber einer geschlossenen Reaktion der gesamten Regierung, um uns auf die kommenden Nachrichten vorzubereiten – und zwar bevor die eintreffen!

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