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Der „Draghi-Plan“ zum Gas findet Röttgens Begeistung

Die Begeisterung von Röttgen für den sogenannten „Draghi-Plan“ ist eine erstaunliche Kehrtwende, denn bisher hatte er sich für einen sofortigen Gas-Boykott ausgesprochen. Ob ihm klar geworden ist, dass der unabsehbare Folgen hätte?
Draghi jedenfalls ist das klar, weshalb er, genauer sein Energieminister Cingolani diesen „Plan“ in die Runde geworfen hat. Das klingt alles ganz toll: Die EU „deckelt“ den Gaspreis, „darf“ dann weiter russisches Gas beziehen, zahlt aber nur so viel dafür, dass Russland keine Gewinne mehr damit erzielt und für das schlechte Gewissen wird ein Fonds aufgebaut, in den die Preisersparnisse der Europäer eingezahlt werden, um die Ukraine damit wieder aufzubauen. Die Verbraucher oder zumindest die Steuerzahler hätten also nichts davon, darüber spricht aber keiner. Ob das bereits eine nachhaltige Idee oder wirklich so gemeint ist, sei dahingestellt.
Das sieht eher wie ein durchschaubares Konstrukt aus, um den Status quo irgendwie weiter führen zu können. Das Argument lautet, Russland müsse seine Anlagen auslasten, damit die nicht ruiniert werden. Das sei wegen der Pipeline-Abhängigkeit nur mit der EU möglich. Deshalb könne man davon ausgehen, dass die EU, wenn sie ihre Einkaufsmacht bündelt, die Konditionen durchzusetzen vermag. Man ruiniere damit das Geschäftsmodell der Russen und schaffe Mittel für die Ukraine. Na denn.
Röttgen saugt das auf und verbindet es zugleich mit seiner Oppositionsarbeit, also einer ordentlichen Portion Regierungsschelte. Natürlich funktioniert das alles nur, wenn die Russen sich diese Preise diktieren lassen. Selbst, wenn man das kurz annimmt, sollte man aber dazu sagen, dass damit die russische Infrastruktur stabilisiert wird und Putin Zeit gewinnt, neue Lieferwege an Abnehmer aufzubauen, die ihm nicht die Preise bis auf die Förderkosten herunter diktieren. Irgendwann würde also auch der „Draghi-Plan“ kippen und Russland ließe sich eben keine Preise mehr diktieren. Ob die Verbraucher oder Steuerzahler so lange einen Ukraine-Fonds füttern würden, sei ebenfalls mal in Frage gestellt.
Was aber ohnehin verschwiegen wird, ist die Tatsache, dass die Europäer beim Gas ausgesprochen asymmetrisch aufgestellt sind. Die Mehrheit hätte kein größeres Problem, ganz auf russische Lieferungen zu verzichten und besitzt daher wenig Interesse, mit Putin irgendeinen Deal zu machen, den man sich schön rechnen muss.
Aber nehmen wir an, man erreicht Solidarität mit denen, die sich trotz Warnungen in diese Abhängigkeit begeben haben, Italien und Deutschland ganz vorne. Warum sollte Putin sich dann die Preise diktieren lassen? Wer an der Stelle mit der Abhängigkeit Russlands argumentiert, das könne nur nach Europa liefern, sollte dazu sagen, dass in Italien und Deutschland die Abhängigkeit umgekehrt noch größer ist. Während für Russland die Förder- und Lieferinfrastruktur im Feuer stehen, sind es bei uns ganze industrielle Lieferketten. Der Flurschaden für die betroffenen Länder in Europa wäre also weit höher.
Das führt derzeit bereits zu exakt anderen, als den hier politisch versprochenen Effekten: Die Europäer kaufen derzeit auf den Weltmärkten Kapazitäten an LNG und dazu passender Infrastruktur zu jedem Preis. Das ist der Grund für die enormen Preissteigerungen, die an den europäischen Märkten nochmals höher sind als in den USA und in Asien. Letztlich löst das aber überall Knappheiten und Preisexzesse aus. Ob es, wie Draghi vorschlägt, besser wäre, die Einkaufsaktivitäten in Europa zu bündeln, damit die EU-Staaten sich nicht auch noch gegenseitig auf den Weltmärkten überbieten, kann man diskutieren. Das Problem ist aber der Faktor Zeit und dann eben auch der sehr asymmetrische Bedarf. Mit Blick auf die Zentralisierung der Corona-Impfstoffbeschaffung kaum ein Szenario für eine Wiederholung.
Es ist kaum denkbar, dass sich zugleich diese preistreibenden Effekte bremsen und auch noch ein Preisdiktat an die Russen durchsetzen lassen, zumal es ohnehin keine Alternative zum Ausstieg gibt. Niemand, kein Verbraucher, kein Unternehmer und auch kein verantwortlicher Politiker wird sich dauerhaft auf russisches Gas einlassen. Das wissen die Russen inzwischen auch und es würde bedeuten, denen die Zustimmung für einen moderaten Ausstiegsprozess zum Mindestpreis abzuringen. Ganz klar: Jeder, der schon mal ernsthafte Geschäfte gemacht hat, würde an der Stelle lieber für die russische Seite den Deal verhandeln.
Die Europäer müssen sich schlicht entscheiden. Entweder man plant und bietet den Russen eben doch eine dauerhafte Geschäftsbeziehung oder man muss die Reißleine ziehen und dabei damit rechnen, dass die Lieferungen wie es bereits begonnen hat, als politisches Druckmittel schrittweise eingestellt werden. Die deutsche Regierung scheint letzteren Weg zu gehen. Das wird sehr hart, aber es ist der einzige Weg, der endlich in eine moderne Energiepolitik führt. Klar wäre es besser gewesen, das in Friedenszeiten als moderate Transformation ohne große Schäden zu machen, aber diese Option existiert nicht mehr.
Der „Draghi-Plan“ kann nur funktionieren, wenn er eine Mogelpackung zur Perpetuierung des Status quo wird. Das wäre ein Versäumnis mehr. Habecks Weg ist besser. Er versucht alles, russisches Gas zu substituieren. Das wird teuer und es drohen Ausfälle, die noch teurer werden. So entsteht aber endlich der Druck, aus den fossilen Brennstoffen auszusteigen. Das ist letztlich der billigere Weg, auch wenn sich der „Draghi-Plan“ mal wieder so schön rechnen lässt. Das haben wir nun 20 Jahre beim Gas gemacht, bitte keine Fortsetzung!

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