Die Diskussion über die deutsche Position im Ukraine-Krieg wird immer bedauerlicher – und das obwohl sie höchst notwendig ist. Nimmt man nur die Frage der Waffenlieferungen, die in den letzten Tagen von verschiedenen Seiten „bereichert“ wurde, so mag man sich nicht vorstellen, wie es bei schwierigeren Entscheidungen, die aber sehr wahrscheinlich kommen werden, weiter gehen mag.
Bedauerlich sind pazifistische Positionen, die für sich gerne beanspruchen, alleine den Frieden zu wollen und erreichen zu können, ohne sich jedoch überhaupt der Frage zu stellen, welche Ergebnisse denn aus einer konsequent pazifistischen Haltung zu erwarten sind. Das ist gewiss nicht „intellektuell“ und ob es friedensstiftend ist, wäre zumindest zu diskutieren. Auch die atomare Drohung kann nicht einfach als logische Notwendigkeit für eine pazifistischen Reaktion interpretiert werden. Und nein, wer sich der pazifistischen Haltung nicht anschließt, ist damit nicht dem Vorwurf auszusetzen, ein Atomkrieg sei ihm egal oder er nehme ihn billigend in Kauf.
Es sind dieser Anspruch auf das vermeintlich einzige logische Lösungsangebot und die bei vielen vollständig ausbleibende Auseinandersetzung mit den möglichen Folgen, die diese Position einerseits so entsetzlich leer und zugleich gegenüber anderen schnell so übergriffig macht. In einer geopolitischen Lage, die durch eine Partei laufend weiter eskaliert wird, wozu die atomare Drohung zählt, gibt es keinen Automatismus zur Deeskalation, keinen Mechanismus zur Reduzierung der Dynamik, da lässt sich nichts anhalten. Auch nichts zu tun, ist eine Entscheidung, die dynamische Folgen hat.
Wie man angesichts dieses Angriffskriegs, seiner Kriegsverbrechen und nicht zuletzt den damit verbundenen imperialen Forderungen eines faschistischen Regimes, das seine eigene Bevölkerung fast schon in eine Endsieg-Stimmung aufhetzt, eine Position Deutschlands fordern kann, ohne sich mit der Position Russlands auseinanderzusetzen, ist nicht nachvollziehbar und es ist auch nicht zu akzeptieren.
Die einzige Logik, die sich hier unstrittig aufzwingt, ist die Frage, wie diese Entwicklung zu stoppen ist. Die Antwort muss sich aber zentral mit der Verhaltensweise Russlands auseinandersetzen. Das ist gewiss eine beliebig schwierige Frage, die sich in dieser Krise nicht nur stetig stellt, sondern auch stetig verändern wird. Es ist aber nicht alles schwer zu bewerten, denn namentlich zur nun so bedauerlich diskutierten Waffenfrage ist vollkommen klar, was passiert, wenn die Lieferungen nicht erfolgen: Dann wird die Ukraine verlieren, Punkt.
Ob ein russischer Erfolg dieser militärischen Eskalation dann aber so etwas wie Frieden bedeutet und so etwas wie Stabilität bringt, darf bezweifelt werden. Hier kommt nun der andere Pol der Diskussion ins Spiel, den man teilweise wirklich nur noch bellizistisch nennen kann. Maximalforderungen nach einer vernichtenden Niederlage Russlands mit einem Regimewechsel in Moskau mögen aus emotionaler Empörung begründbar sein, ob sie aber Frieden und Stabilität bedeuten, muss diese Seite sich genauso fragen.
Bezüglich der Waffenlieferungen ist es daher – da wiederhole ich mich – den meisten und ich schließe dabei die Briefeschreiber ausdrücklich ein, gar nicht möglich, das zu bewerten. Was aber gesagt und in einer Demokratie debattiert werden muss, ist das Ziel, welches verfolgt wird. Das derzeit seitens der Nato-Regierungen formulierte Ziel lautet, die Ukraine im Rahmen des möglichen zu unterstützen, ohne selbst Kriegspartei zu werden. Stimmen aus den USA und UK legen nahe, dass es militärisch um einen vollständigen Rückzug der Russen aus der Ukraine geht.
Über diese Ziele, die doch Kern der Debatte sein sollten, wird viel zu wenig geredet. Wer nun Waffenlieferungen ablehnt, gibt diese Ziele auf und sollte doch wenigstens erklären, warum er das tut. Verlängern die Waffen nur Krieg und Opferzahlen, ohne das Ziel erreichen zu können? Das wird teilweise behauptet und selbstverständlich wäre das ein Grund, die Waffen nicht zu liefern. Das zu bewerten, ist aber Aufgabe derjenigen, die es können und zu entscheiden haben. Es ist insofern richtig, die Frage, ob die Waffenlieferungen einem zu verfolgenden Ziel dienen, zu stellen und wenn man schon Briefe an die Regierung schreibt, zu mahnen, dies sorgfältig zu prüfen. Die Frage zu beantworten, ohne die militärische Lage zu kennen oder sich damit tiefer auszukennen, verbietet sich.
Ebenso ist die Frage, ob die Waffenlieferungen zu einer Eskalation führen, die dem Ziel widerspricht, die Nato nicht zur Kriegspartei zu machen, vollkommen berechtigt. Hier gilt genauso, dass wir dieses Ziel sehr wohl öffentlich debattieren müssen, gewiss auch, um eine militärisch vielleicht irgendwann opportune Erweiterung der Kriegsziele demokratisch zu kontrollieren, aber die Bewertung konkreter Handlungen können wir auch hier öffentlich nicht vornehmen.
Die Frage, ob wir Kriegspartei werden, entscheidet – eben weil wir es demokratisch kontrollieren – letztlich die andere Seite. An der Stelle muss man aber erkennen, dass die gesamte Sicherheitsarchitektur Europas aufgekündigt wurde und wir insofern ohnehin bereits Kriegsziel sind. Es ist keine Option, Russland die angestrebten Gebietserweiterungen zu geben, um danach wieder Frieden und Sicherheit zu haben. So schwierig es für viele immer noch zu akzeptieren ist: Russland hat sich für diesen Krieg entschieden und damit eine Auseinandersetzung mit Europa begonnen, die nicht auf Osteuropa begrenzt ist. Das lässt sich nicht einfach beenden, es erfordert eine Antwort.
Dieser Krieg ist gegen uns gerichtet. Nicht Kriegspartei zu werden, ist also ein zwar richtiges, aber zweifellos nicht trivial erreichbares Ziel. Weder Pazifismus, noch Bellizismus können darauf die Antwort sein. Welche konkreten Maßnahmen richtig sind, können wir kaum bewerten. Wir können nur diejenigen überwachen, die das zu entscheiden haben. Das heißt, sie in die Pflicht zu nehmen, diese und keine anderen Ziele zu verfolgen und die Ergebnisse der Maßnahmen zu überprüfen.
So funktioniert eine repräsentative Demokratie, auch in Kriegszeiten.