Mein Beitrag zur Desinformation in Sachen „Weizenlieferungen“ wurde sowohl in meinem Profil als auch in anderen Foren in einer Weise diskutiert, die zeigt, wie gut die Verästelungen der Kreml-Kampagne funktionieren. Es wurden und werden einige – korrekte – Informationen falsch verwendet und eine ganze Reihe von Halbwahrheiten hinzu gefügt, die letztlich die Sicht auf die Rolle Russlands doch wieder schwächen. Daher greife ich das Thema noch mal auf.
Zur Erinnerung: Der Kreml hat vor wenigen Wochen das Narrativ aufgebaut, die ukrainischen Seeminen behinderten den Transportweg über das schwarze Meer und die eigenen Nahrungsmittelexporte würden durch die Sanktionen behindert. Bereits die stark limitierten ukrainischen Lieferungen führen zu einer kritischen Nahrungsmittelversorgung in davon besonders abhängigen Gebieten. Zudem muss man die russische Darstellung so interpretieren, dass man Kürzungen der eigenen Exporte verbal vorbereitet. Beides begründet die Kommunikation insbesondere seitens der EU von einer absichtlichen und damit kriegsverbrecherischen Nutzung der „Weizenwaffe“ zu sprechen.
Es ist nun sehr erstaunlich, welche Details dieser Desinformation des Kreml sich doch sehr hartnäckig halten. Vollkommen haltlos sind die Hinweise auf die Sanktionen. Trotzdem wird von nicht wenigen das Argument vorgetragen, es gebe doch Sanktionen gegen russische Schiffe , ferner seien die Zahlungswege durch die Finanzsanktionen blockiert.
Das ist schlicht vollumfänglich falsch. Es gibt nicht mal für die Häfen in der EU oder Nordamerika Sanktionen gegen Nahrungsmittellieferungen, egal welcher Logistik. Nahrungsmittel sind nämlich ausdrücklich ausgenommen. Russland kann über jede Logistikkette in jedes Land der Erde Nahrungsmittel liefern. Zudem geht es hier natürlich nicht um die Versorgung Europas oder Nordamerikas, selbst ohne diese Ausnahmen für Nahrungsmittel wäre diese Halbwahrheit der Schiffssanktionen irrelevant. Die Ukraine kann hingegen nicht ausreichend liefern, weil die russische Marine den Seeweg blockiert. Die Lieferungen über die Eisenbahnwege in Osteuropa werden nun versucht, aber die haben keine ausreichenden Kapazitäten.
Es gibt auch keine Finanzsanktionen, die den Zahlungsweg blockieren würden. Diese sind ausdrücklich so gestaltet, dass russische Rohstoffexporte grundsätzlich und die Transaktionen expliziter Personen sehr umfassend erschwert werden. Beides aber durchaus mit Ausnahmen, denn bekanntlich bezieht Europa immer noch russisches Öl sowie insbesondere Gas und es wird dafür euch bezahlt.
Fazit: Es gibt schlicht weder logistisch, noch finanztechnisch ein Hindernis für russische Nahrungsmittelexporte. Behindert wird hingegen die Ukraine – durch die russische Marine. Teilwahrheiten wie Sanktionen gegen russische Schiffe oder bestimmte Transaktionen sowie Banken im Finanzwesen sind an der Stelle entweder irrelevant oder in wesentlichen Details schlicht falsch.
Neben der Frage, wessen Lieferungen hier aus welchen Ursachen behindert oder eben nicht behindert werden, wird leider auch sehr oft die Bedeutung insbesondere der Ukraine für die Nahrungsmittelversorgung in Zweifel gezogen. Dabei wird bereits übersehen, dass das Kreml-Narrativ ja auch die eigenen Exporte betrifft, weshalb die Kapazitäten beider Länder zu betrachten sind.
Aber bereits die Ukraine wird gerne mit Statistiken über den Weltmarktanteil an „Weizen und Weizenprodukten“ bagatellisiert. Je nach Art der Auswertung resultieren hier Anteile zwischen sechs und neun Prozent. Diese Statistiken gehören zu der besonders schwierigen Kategorie wahrer Informationen, die in Desinformationskampagnen so besonders hartnäckig funktionieren.
Zunächst ist dazu festzustellen, dass es sich um Exportwerte in US$ handelt und dass wir hier nicht nur den Weizen als Rohstoff für die Nahrungsmittelversorgung sehen, sondern auch aus Weizen verarbeitete Endprodukte. Gerade letztere sind aber hochpreisiger. Schaut man hingegen auf die Exportmengen und nicht die Werte in US$, so erkennt man bereits ein ganz anderes Bild (Tabelle 1): Hier liegt Russland mit mehr als 32 Millionen Tonnen mit Abstand an der Spitze. Gefolgt von Nordamerika (USA 28 Millionen und Kanada 24 Millionen) sowie dann gleichauf in Europa Frankreich sowie eben die Ukraine mit ca. 20 Millionen Tonnen. Leider sind aber auch diese Mengen bezogen auf Weizen und Weizenprodukte.
Die Quelle all dieser Daten ist die „UN Food and Agriculture Organization (FAO)“. Ein Fundus an Informationen, aus denen man jede Desinformation generieren kann. Es geht nämlich weder um die Weltmärkte – niemand behauptet drohende Hungersnöte in Nordamerika oder Europa – und es geht auch nicht um Weizenprodukte. Diese Darstellungen sind also inhaltlich richtig, aber zumindest von denen, die sie in diesem Kontext ursprünglich so verbreiten, absichtlich falsch genutzt.
Our World in Data hat sich die Mühe gemacht, aus diesen Daten spezielle Versorgungswege herauszurechnen. Auch das sind leider noch Weizen und Weizenprodukte. Die UN selbst weist in ihren textlichen Reports bereits darauf hin, dass insbesondere die hochwertigeren Weizenprodukte vor allem in Nordamerika, Asien und Europa gehandelt werden, weshalb die für die Frage drohender Hungersnöte aufgrund von ausbleibenden Lieferungen an Weizen selbst keine Rolle spielen. Es gibt dazu aber bisher keine abgegrenzten Daten.
Man darf aber davon ausgehen, dass die Karten von Our World in Data bereits genug aussagen. Wir sehen hier die Anteile von Importen aus der Ukraine (Chart 2) und Russland (Chart 3) an der nationalen Versorgung mit Weizen und Weizenprodukten in einer Weltkarte. Wenn man zugleich zur Kenntnis nimmt, dass die Nahrungsmittelversorgung in Afrika und auch in ärmeren Teilen Asiens auf Kante genäht ist, darf man ablesen, dass in diesen Regionen alle gelb markierten und erst recht die dunkler gefärbten Länder durch existentielle Hungersnöte bedroht sind. Das gilt demnach bereits für die Störungen der ukrainischen Lieferungen, aber in gewaltigem Umfang erst recht, falls Russland die Exporte – aus rein eigener Entscheidung – drosseln sollte.
Wer das mit wertebasierten Weltmarktanteilen der Ukraine negiert, sollte sich sehr genau selbst prüfen, warum er das tut. Es ist nämlich sehr wahrscheinlich, dass solche – teilweise ja korrekten – Informationen unmittelbar aus den diesbezüglich sehr gut organisierten russischen Desinformationsfabriken stammen. Niemand sollte sich diese Narrative zu eigen machen, auch nicht in kleineren einzelnen Details. Jede weitere Verbreitung in entsprechenden Kontexten – sei es auch mit Begriffen „man muss aber auch sehen, dass“ – sind letztlich nur Fortsetzung der gewollten Desinformation.
Tatsache ist, dass insbesondere Afrika, Schwerpunkt Nordafrika, bereits durch die Störungen der ukrainischen Lieferungen durch massive Hungersnöte bedroht ist. Wenn russische Lieferungen zusätzlich gekürzt werden, sehen wir eine Katastrophe. Dazu sollte man auch erkennen, dass dieselbe Desinformation Russlands sehr systematisch in Afrika selbst eingesetzt wird. Auch dort wird das Narrativ der ukrainischen Nazis verbreitet, die Afrika die Nahrung weg nehmen. Das funktioniert dort nicht schlechter als bei uns und es ist ein sehr gut aufgestelltes System.
Niemand sollte es bedienen, egal, ob die jeweils genutzte Information stimmt oder nicht. Eine Information hat immer einen Kontext und sie wirkt in diesem. Daher gehört es zu jeder Verwendung, das insgesamt zu beachten. Auch und gerade wenn sie wahr ist.