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Ohne Führung gelingt keine Krisenpolitik

Weder die Kommunikation, noch die tatsächlichen Entscheidungen der Ampel-Koalition sind der Situation auch nur näherungsweise angemessen. Parteipolitische Positionierungs- und leider sogar Abgrenzungsspielchen dominieren, während das Land eigentlich knallharte Krisenpolitik benötigt. Es gibt in unserer Staatsordnung genau eine Position, die dafür zuständig ist, so etwas zu verhindern oder wenigstens abzustellen: Der Kanzler! Wenn der nicht rasch so etwas wie Führung etabliert, wird das ein ganz bitterer Winter für Deutschland, mit allen Folgen für Europa, in dem wir nun mal eine zentrale Rolle spielen.
Die momentan von vielen empfundene Sommerpause, in der wir uns möglicherweise sogar an die Bilder aus der Ukraine zunehmend gewöhnen, ist eine große Täuschung. Tatsächlich stehen wir mitten in einer multidimensionalen Krise, die sich in den letzten Dekaden aufgebaut hat und die eine fundamental anders operierende Regierung erfordern würde.
Wir sehen nichts geringeres als eine giftige und komplexe Mischung aus einer geopolitischen Konfrontation gepaart mit ungelösten ökonomischen und finanziellen Problemen, auf die sich als Brandbeschleuniger auch noch eine Pandemie gelegt hat. Über all dem steht die nun wirklich nicht mehr zu verdrängende Tatsache, dass der Planet Homo sapiens nun zunehmend signalisiert: Es geht auch ohne dich und deine wie so oft selbstzerstörerischen Konflikte stehen, auch wenn du das gerne anders siehst, nicht im Vordergrund.
Die Dividenden aus dem Ende des Kalten Kriegs sind lange verbraucht, der Aufstieg Chinas mit seiner Dynamik für die Globalisierung ist in eine Konfliktsituation gekippt, in der Russland mit seiner offenen Kriegspolitik seinen Platz sucht. Der Westen verdrängt spätestens seit 2007 eine Finanzkrise, die niemals beendet war. Vielmehr hat er seine ökonomischen und finanzpolitischen Defizite an seine Notenbanken delegiert, obwohl klar war, dass damit allenfalls Zeit, aber keine Lösung zu gewinnen ist. Nun ist diese Zeit verronnen und die Globalisierung zeigt, dass sie auch Nachteile hat und nicht ewiges Wachstum ohne Inflation bedeutet. Der geopolitische Konflikt eskaliert zu einem offenen militärischen und einem schwelenden Wirtschaftskrieg, die beide deplatzierter und sinnloser nicht sein könnten. Eine Pandemie macht das offensichtlich und fordert in dem Kontext daher Organisationstalent und Ressourcen, die nicht da sind.
Keiner dieser Treiber einer komplexen Gesamtkrise ist vorbei oder wird bald vorbei sein. Die Kombination aus geopolitischen Spannungen, Pandemie und chronischer Überschuldung erzeugt ökonomisch eine Stagflation, gegen die Notenbanken wenig ausrichten können. Gefangen zwischen Inflationsbekämpfung, Überschuldung und Konjunktursorgen können sie wenig richtig machen. Keine Frage, dass die ungelöste Finanzkrise mit deren spezifischen Ausprägungen wie die Eurokrise nun wieder sichtbar werden – verschwunden waren sie nie.
Der zunehmende Konflikt zwischen den USA und China, in dem Europa ähnlich orientierungslos ist, wie in seiner eigenen, tatsächlich nicht existierenden Sicherheitspolitik, erhält durch den Krieg Russlands eine zusätzliche Bühne. Dieser Krieg gilt der politischen Ordnung Europas, es ist ein europäischer Krieg, keiner zwischen zwei Nachbarn, die weit weg sind. Auch dieser Krieg wird nicht schnell enden. Es ist vollkommen absehbar, wie Putin sowohl den Krieg in der Ukraine als auch seine Strategie gegen Europa konsequent durchführt. Statt Spekulationen über seinen Geistes- oder Gesundheitszustand anzustellen, sollten wir ganz dringend wahrnehmen, wie er von der Kriegsführung in der Ukraine bis zur Energiepolitik eine Abnutzungsstrategie fährt, die den Faktor Zeit zunehmend zu seinem Verbündeten macht.
Leider werden die russischen Ressourcen von vielen falsch eingeschätzt. Die Sanktionen wirken langfristig für Russland verheerend. Ebenso kann das Land technologisch sowie quantitativ ein neues Wettrüsten nicht bestehen. Kurz- und vielleicht auch mittelfristig sieht das aber genau umgekehrt aus. Die Mengen insbesondere an konventionellem Kriegsmaterial sind enorm. Das können auch westliche Arsenale, jenseits der Frage der logistischen und politischen Verfügbarkeit, nicht beliebig liefern. Ökonomisch ist es zwar richtig, dass es gelungen ist, die Absatzmengen russischer Exporte zu reduzieren. Das wird aber durch die Preissteigerungen momentan überkompensiert. Die Einnahmen Russlands steigen!
In der Situation spielt vorerst die Zeit für Russland und das nutzen sie sehr klug. Namentlich bei den Gaslieferungen wurde keine rasche Konfrontation gewählt, die nur den Einigungswillen in Europa gestärkt hätte. Natürlich schaltet Putin das Gas nicht einfach abrupt ab. Wir erleben hier auf allen Ebenen eine Zermürbungsstrategie. Während Russland von den hohen Preisen profitiert und das daher noch sehr lange nutzen kann, werden für uns die Kosten hoch getrieben, was vor allem über die Zeit ein Spaltpilz für unsere Gesellschaften wird. Putin hat gar kein Interesse, dass es schnell eskaliert, es ist ganz offensichtlich, dass er bewusst langsam den Gashahn zudreht – dass er ihn aber sehr wahrscheinlich letztlich komplett abdrehen wird. Vermutlich so, dass der Versorgungsengpass im nächsten Winter kommt.
Ökonomisch haben wir also eine globale Finanzkrise, speziell in Europa eine Eurokrise, überforderte Notenbanken, an die zuletzt diese Krisen delegiert wurden, eine Energiekrise gepaart mit einer Deglobalisierung durch eine Pandemie und einen Wirtschaftskrieg zwischen den größten Volkswirtschaften. Das führt zu einer Stagflation, gegen die es kein erkennbares Rezept gibt. Geopolitisch haben wir einen europäischen Krieg, gegen den die Europäer selbst sicherheitspolitisch hilflos sind und dessen weitere Entwicklung maßgeblich davon abhängt, ob der Konflikt zwischen den USA und China ihn weiter eskaliert oder hoffentlich eindämmt.
Ich kann fast verstehen, wenn man mir wieder „Panikmache“ unterstellt, aber ich sehe das leider sehr nüchtern: Spätestens ab Herbst wird das inklusive der Pandemie zu einer Verschärfung auf allen Ebenen führen. Das liegt auch an der verheerenden Verdrängungspolitik in Europa, die uns in diese multidimensionale Lage gebracht hat. Keine dieser Teilkrisen musste so lange schwelen, ohne dass Europa etwas dagegen hätte tun können. Nun haben wir das alles zugleich vor uns.
Das führt aber immer noch nicht zu einem Ende der Verdrängungspolitik, es lässt immer noch nicht kurzsichtige Parteipolitik verstummen. Vielmehr könnte die Widersprüchlichkeit nicht größer sein. Wir machen auf der einen Seite eine Subventionspolitik für Energiepreise, um den Verbraucher mit der Gießkanne zu schonen, statt diesen mit der Situation zu konfrontieren und das ohnehin unausweichliche Sparen endlich zu forcieren. Wir sitzen auf einer Gasbombe, deren Wirkungsweise die Implosion ist und stützen scheinbare Festpreisverträge bis zu den Verbrauchern, obwohl die Beschaffung längst und auf absehbare Zeit viel teurer ist. Niemand traut sich, die Doktrin des Schutzes der Privathaushalte gegenüber der Industrie auf den Tisch zu legen, obwohl wir doch dringend diskutieren müssten, ob in unser aller Interesse nicht eine Reduktion des privaten Verbrauchs zum Erhalt unserer ökonomischen Wertschöpfungsketten besser wäre.
Wir lassen unverändert schnell fahren und verblasen kinetische Energie, was in diesem Szenario keinerlei Sinn ergibt. Wir nutzen staatliche Mittel, um dem Verbraucher zu suggerieren, dass es so weiter gehen kann, dabei kommen diese Mittel letztlich von eben diesem Verbraucher selbst, der heute Subventionen für sich selbst finanziert, um die Tatsachen später umso klarer zu spüren. Das alles wird dann auch noch als gerechte und notwendige Hilfe bezeichnet, als sei es irgendeine dritte Ressource, die uns da helfe, um es nicht so hart spüren zu müssen. Ein Trugschluss mehr.
Jede, leider wirklich jede Partei betreibt, als wäre noch immer Zeit der Wohlstandsverteilung, hemmungslos Klientelpolitik, obwohl wir bereits seit Jahren in der Mangelverteilung sind, was wir nur durch Verdrängung zulasten ungelöster Dauerprobleme verzögert haben. Wer auch immer mal etwas richtiges sagt, sei es zu sparen, langsamer zu fahren, sich zu mäßigen, bekommt garantiert sofort heftigen Widerspruch. Keine Verbote, keine unsozialen Lasten, nicht gerade hier oder dort.
Wir alle, die Gesellschaft und die Politik, müssen ganz schnell erkennen, dass wir nach Dekaden der Wohlstandsmehrung in eine Mangelwirtschaft geraten sind. Da geht es ganz anders zu, als bisher. Je länger wir das verweigern, desto größer wird der Mangel. Das ist eine Führungsaufgabe. Die Ampel muss die Lasten benennen und verteilen. Beim Kanzler fängt das an, das ist Kernaufgabe des Amts. Wenn das nicht gelingt, werden diejenigen Gesellschaften vorne liegen, deren Führer mit der Verteilung von Mangel weniger Probleme haben.

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