Die Liberalisierung der Energiemärkte hatte unter Anderem die Einführung von Energiebörsen zur Folge. Das war der reinen Lehre folgend zwingend, weil es anders nicht möglich gewesen wäre, Angebot und Nachfrage über die engen Kartelle von wenigen Großversorgern hinaus zusammen zu bringen. Was aber entstanden ist, war zu keiner Zeit befriedigend. Grund: Hier kommen eben nicht Angebot und Nachfrage zusammen, sondern nur der Handel von Überschüssen oder Defiziten in der Produktion sowie leider eben auch reine Finanzinvestoren. Tatsächlich werden über die Strombörse nur ca. 25% der Gesamtmenge abgewickelt, das meiste erfolgt über direkte Kontrakte zwischen Produzenten, Händlern und Abnehmern. Der Endverbraucher steht ohnehin außen vor, dessen Handelsmöglichkeiten sind trotz Liberalisierung und gewissem Wettbewerb am lokalen Stromverteiler sehr begrenzt. Genau das ist ein Defizit dieser ganzen Systematik, die letztlich nur eine Scheinliberalisierung ist, da die wesentlichen Akteure, die Verbraucher hier gar nicht teilnehmen können.
Konsequenz dieses Marktes ist, dass hier Preise nicht mehr nach Durchschnittskosten der Stromerzeugung entstehen, sondern zu deren Grenzkosten. Tatsächliche Produzenten nehmen hier nur teil, wenn über feste Kontrakte bei Überproduktion nicht mehr abgenommen wird oder im Falle von offenen Erfüllungspflichten aus solchen Kontrakten bei Produktionsdefiziten. Damit leisten die Börsen in der Tat einen Spitzenausgleich, was ihre wesentliche Funktion für den Markt ist. Rein finanziell leisten sie aber seit Jahren einen Bärendienst, denn das große Problem ist die Asymmetrie zwischen Produzenten und Händlern sowie Finanzinvestoren. Erstere sind stets aus äußeren Gründen gezwungen, zu verkaufen oder einzukaufen, letztere können frei entscheiden, ob sie handeln und zu welchem Preis.
Tatsächlich hat das bereits in der Vergangenheit dazu geführt, dass mit der Stromproduktion weitaus weniger verdient wurde als mit dem Stromhandel sowie mit der Finanzspekulation dazwischen. Diese Margen bzw. Gewinne aber wurden letztlich vom Verbraucher bezahlt und die Dienstleistung des Spitzenausgleichs dafür ist viel zu teuer gewesen. So etwas sollte gerade bei Energie nicht passieren, zumal dann, wenn die Mittel für eine notwendige Energiewende ohnehin knapp sind.
Nun aber ist dieser Markt massiv gestört. So etwas passiert an Börsen immer dann, wenn externe Effekte die Meinung und den Bedarf der Marktteilnehmer einseitig bestimmen. Börsen leben rein theoretisch nach Lehrbuch von der Asymmetrie der Bedürfnisse und Meinungen der Marktteilnehmer. Dadurch finden sie eine Balance um einen „fairen“ Preis. In der reinen Theorie von gleichverteilten Interessen und (sehr wichtig!) ebenso einer identischen Informationslage wäre das so. Lassen wir mal außen vor, ob das in der Praxis stabil erfolgt oder nicht, denn solche Marktstörungen führen auch rein theoretisch zu einem Marktversagen.
Wenn nämlich wie hier, alle Akteure am Markt von Knappheit und steigenden Preisen ausgehen, kann keine Balance mehr entstehen. Das geht insbesondere sehr schnell, wenn Finanzinvestoren beteiligt sind, denn die können halt sofort agieren, sie wissen, dass die Preise steigen und sie wissen zudem, dass alle weiteren Finanzinvestoren dasselbe tun – was dann sogar ohne dass die externen Effekte tatsächlich greifen, sofort zu eskalierenden Preisen führt. Es gibt in so einem Szenario leider auch keine Gegenmeinung und keinen „physischen“ Akteur, der etwas anderes als Preissteigerungen erwartet oder begünstigen könnte.
Es gibt über Marktversagen an Börsen viel Literatur und wenige Lösungen. Nun geht es hier nicht um Aktien oder Schweinebäuche, sondern um eine existenzielle Versorgungsleistung einer modernen Gesellschaft, deren Sicherheit und finanzielle Tragfähigkeit eine Bedeutung haben, die viele noch gar nicht überblicken.
Das Ministerium Habeck ist enorm gefordert und nicht nur dieses. Das geht auch in Zuständigkeitsbereiche des Finanzministeriums sowie aufgrund der Bedeutung des ganzen natürlich bis zum Kanzleramt. Ich wage die These, dass die bisher geplanten, systemkonformen Eingriffe möglicherweise nicht ausreichen. Es könnte sinnvoller und vielleicht sogar erforderlich werden, das eine oder andere Moratorium auszusprechen.
Sonst produziert dieses unglaublich schlecht liberalisierte Energiesystem eine Kombination aus Preisexzessen, enormen Krisengewinnen bei wenigen und sorgt dabei nicht mal für mehr Versorgungssicherheit.
Nur, um das klar zu stellen: Breit aufgestellte Märkte mit freiem Wettbewerb und stark aufgestellten Verbrauchern sind Kern unseres Systems und haben in vielen Bereichen ihre Leistungsfähigkeit bewiesen. Aber nicht alles, wo Markt drauf steht, ist auch Markt drin. Hier ist ein liberaler Markt zwischen physischem Angebot und Nachfrage nie entstanden. Falls es zu einem Moratorium kommt, wäre das vor einem Neustart eine Überlegung wert.