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Das Management der Gaskrise ist vermutlich die komplexeste ordnungspolitische Aufgabe seit Jahrzehnten

Einerseits muss alles getan werden, sowohl Beschaffung als auch Ersparnisse in Gang zu bringen, um die Versorgungssicherheit soweit überhaupt möglich aufrecht zu erhalten. Ob das gelingt bzw. gelingen kann, ist bereits eine Herausforderung für sich. Daran hängen zudem soziale, gesundheitliche und nicht zuletzt ökonomische Folgeschäden, die kaum beziffert werden können. Das wiederum macht es so schwierig, zu entscheiden, welcher Preis an welcher Stelle zu zahlen ist, um das Thema mit der Knappheit zu vermeiden.
Bekanntlich sind bereits hohe zweistellige Milliardenbeträge des Staats eingesetzt worden, um Unternehmen in der Versorgungskette zu stützen. Nun fordert mit Uniper der größte Gashändler unmittelbar staatliche Unterstützung, um die Insolvenz zu vermeiden. Uniper ist mit Sicherheit kein Einzelfall, aber ein besonders großer. Hier hatte die finnische Muttergesellschaft bereits 8 Milliarden bereit gestellt, aber das reicht nicht. Die finanzielle Lücke im Gasmarkt dürfte sogar insgesamt bis zu einem dreistelligen Milliardenbetrag pro Jahr reichen – und die will nun zunächst geschlossen, aber natürlich auch verteilt sein.
Das ist der Hintergrund der von Habeck ausgerufenen nächsten Stufe beim Gasnotstand. Nun steht unmittelbar bevor, Unternehmen wie Uniper zu gestatten, die gestiegenen Beschaffungskosten an die Kunden weiter zu geben. Das ist letztlich der leider erforderliche Schritt, sowohl die Spareffekte anzuregen als auch die Insolvenzen in der Versorgungskette zu vermeiden.
Aber im Detail ist diese ordnungspolitische Unvermeidbarkeit keineswegs trivial. Wenn es nämlich den Akteuren im Gasmarkt nun allzu leicht gemacht wird, Preise zu setzen, wird es viele Trittbrettfahrer geben, die das allzu gerne ausnutzen. Das kann sowohl bei der Beschaffung, aber auch bei den Margen in den Zwischenhandelsstufen zur Preiseffekten führen, die insgesamt die angespannte Lage noch verschärfen.
Habeck bleibt daher gar nichts anderes übrig, als auf allen Ebenen dieses vollendet vermurksten „Markts“ einzugreifen: Er verhandelt auf oberster Ebene mit neuen Lieferanten, er stützt die größten Akteure in der Versorgungskette direkt und hält die damit so gerade über Wasser und er wird bald einen Mechanismus vorlegen, wie die Preise durch gereicht werden können.
Man darf annehmen, dass es vollkommen unmöglich ist, in dieser unübersichtlichen Lage und unter dem Zeitdruck alles „richtig“ zu machen. Niemand wird Habeck daher um die Aufgabe beneiden, was in unserer politischen Landschaft und zu Hässlichkeiten in der Debatte zunehmend neigenden Öffentlichkeit leider nicht verhindern wird, ihn für die Fehler oder auch nur Folgen ans Kreuz zu nageln. Das ist bereits im Gange und für diejenigen, die das initiieren oder sehr gerne lautstark unterstützen, wird es sehr wahrscheinlich noch reichlich Futter geben.
Man muss befürchten, dass der politische Sprengstoff in der Sache dazu führt, die Transparenz über alle Maßnahmen und deren Kosten zu vermeiden. Auch das fängt bereits an, es ist ebenso nachvollziehbar, wie bedauerlich. Wenn beispielsweise als Stützungsmaßnahme KfW-Darlehen vergeben werden, so werden damit nur die Kosten verschleiert, denn natürlich werden Unternehmen wie Gazprom Germania oder falls es dazu kommt Uniper diese Darlehen entweder gar nicht (Gazprom) oder über zukünftige Preismargen zurück zahlen. Letztlich werden also auch diese Darlehen entweder vom Steuerzahler oder über zukünftige Preise vom Verbraucher bezahlt – und ursächlich sind sie nun mal erforderlich, um die aktuellen Preisdifferenzen zu finanzieren.
Diese Gaskrise wird noch viele Studien und Kapitel in zukünftigen Lehrbüchern füllen. Sie mag uns tatsächlich 100 Milliarden pro Jahr kosten, bis sich Beschaffungswege, Angebot und Nachfrage wieder normalisieren. Bezahlt wird das von Verbrauchern und dem Steuerzahler. Leider wird es in der komplexen Situation nicht möglich sein, die bisherigen Profiteure in diesem „Gasmarkt“ ausreichend an der Finanzierung zu beteiligen. Dazu ist es zu wichtig, zu verhindern, dass dieser „Markt“ komplett kollabiert.
Eines ist übrigens entgegen vieler Bekundungen nicht möglich: Daraus einfache Rückschlüsse auf das bessere System zu ziehen. Die Idee eines „freie Markts“ scheitert an der Stelle daran, dass es jetzt leider nicht möglich ist, die vielen Akteure, die in Schieflage geraten sind, einfach in die Insolvenz zu schicken. So ist das bei systemrelevanten Anbietern nun mal, denn ein kompletter Kollaps hätte so viele gesellschaftliche und ökonomische Folgeschäden, dass er leider keine Option ist.
Andererseits ist es natürlich vermessen, hier überhaupt von einem „freien Markt“ zu sprechen, denn die staatliche und politische Einflussnahme war natürlich ganz erheblich. Sie war leider auch ganz erheblich dämlich. Hier wurde hübsch dereguliert, wo man das besser mal anders gemacht hätte und unmittelbar politisch gesteuert, wo das für die – haarsträubenden – energie- und außenpolitischen Ziele dienlich war.
Vermutlich wird der deutsche Gasmarkt Anfang 2022 in zukünftigen Lehrbüchern daher eher als Beispiel stehen, wie sowohl freie Märkte als auch staatlich gesteuerte komplett versagen können. Das Fazit dürfte daher lauten, dass weder die Abwesenheit von Regulierung gute Ergebnisse garantiert, noch, dass Regulierung per se gut ist.
Unser Modell regulierter Märkte wird vielmehr durch dieses eklatante Marktversagen sogar ausdrücklich bestätigt. Wir lernen daraus aber, dass vor allem Fehler seitens der Regulierung sehr teuer werden können. Wir brauchen daher viel mehr Kompetenz bei unseren politischen Entscheidungen. Das ist offensichtlich ein Personalproblem, welches wir als Wähler aber zu verantworten haben. So lange wir uns mit Sprechblasen abfinden und uns die in vollkommen hohlen Debatten auch noch gegenseitig um die Ohren hauen, wird sich das kaum ändern.
Es ist zu befürchten, dass wir genau dieses erbärmliche Spiel bei der öffentlichen Reaktion auf die Gaskrise wieder studieren können. Schuld ist natürlich der Habeck, weil er die Atomkraftwerke abgeschaltet hat. Grüne Politik halt. Ach nein, es sind die dummen Sanktionen, die uns selbst schaden. Auch falsch, es sind die raffgierigen Energiekonzerne, vor allem die aus den USA, die unsere Politiker bezahlen.
Ich bin gespannt, welche gesamtsystemischen Analysen in Sprechblasenformat sich sonst noch finden.

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