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Europa braucht ein neues Geschäftsmodell und keine Rückkehr zum alten

Die sinnfreie Agitation von AfD&Co (aka Lafontaine) zu Nord Stream II ist nur Teil einer sehr viel breiteren Stimmung, die sich gegen die Sanktionen ausbreitet. Wie breit das politische Potenzial dieses Narrativs ist, kann niemand absehen. Es dürfte jedenfalls mit jeder spürbaren weiteren Belastung in unserer Gesellschaft größer werden. Das ist deshalb so bedauerlich, weil es sich hier um ein Thema handelt, das letztlich nichts geringeres bedeutet, als Europa endlich für die Zukunft neu aufzustellen.
Es ist nämlich keineswegs der Ukraine-Krieg alleine, der die Frage der geopolitischen Strategie Europas aufwirft. Vielmehr zeigt dieser Krieg sich wie ein Brandbeschleuniger für eine bereits sehr lange erkannte, aber niemals korrigierte strategische Schieflage Europas.
Das „Geschäftsmodell“ Europas lautet, billige Vorprodukte aus aller Welt zu beziehen, um daraus hochwertige Endprodukte zu fertigen und in alle Welt zu exportieren. Dazu ist zudem der Import von billigen Rohstoffen und Energie notwendig, um die Schornsteine zu betreiben.
Erfunden haben die Engländer dieses Modell zu Beginn der industriellen Revolution. Seit Jahrzehnten warnen Experten davor, dass es unter Druck geraten wird. Weder wird die Welt Europa ohne Widerstände mit billigen Vorprodukten, Rohstoffen und Energien dauerhaft versorgen, noch wird sie ohne Wettbewerb die Endprodukte abnehmen.
Spätestens seit dem strategischen Wechsel in den USA, nicht mehr den bedingungslosen offenen Welthandel, sondern eine protektionistische Wirtschaftspolitik zu betreiben, ist das europäische Modell endgültig gekippt. Seitdem betreiben die beiden größten Volkswirtschaften des Planeten, die USA und China, eine Politik zunehmender ökonomischer Autarkie.
Der größte Fehler ist dabei beim Bezug von Energie und Rohstoffen gemacht worden. Die USA haben sich energiepolitisch bereits unter Obama autark aufgestellt, China unternimmt alles, sich weltweit Energie- und Rohstoffvorkommen direkt zu sichern und parallel die Produktion im Inland massiv zu beschleunigen. Nirgendwo läuft der Ausbau Erneuerbarer Energien so schnell wie dort, nirgendwo wird die Elektrifizierung so konsequent vorangetrieben. Wir schauen bei China immer auf die Gesamtbilanzen und übersehen dabei den Unterschied zwischen Altlasten einer Ökonomie, die sich erst wenige Jahrzehnte in dieser Dynamik entwickelt und den sehr schnellen Modernisierungstrends.
Es ist vollkommen klar, dass die strategischen Defizite Europas durch eine Pandemie, die globale Lieferketten irritiert und nun durch einen Krieg, der den Ausfall des wichtigsten Energie- und Rohstofflieferanten bedeutet, eklatant sichtbar werden. Dabei sind diese Ereignisse aber eben nicht Ursache für die Probleme, die wir damit haben, sondern nur deren Verstärker. Dass wir dadurch nun eine Kombination aus Inflation und Rezession erfahren müssen, ist leider nur logisch.
Das hält aber Experten wie den Volkswirt Folker Hellmeyer nicht davon ab, die vielen Folgen der aktuellen Krisen analytisch vollkommen richtig zu beschreiben, um dann aber allen ernstes vorzuschlagen, genau so weiter zu machen, wie bisher – also irgendwie die billigen Importe wieder zu ermöglichen.
Wenn wir unsere politische Stabilität in dieser Situation nicht auch noch verlieren wollen, ist es wichtig, den Menschen zu vermitteln, dass wir neue Wege gehen müssen und die alten nicht mehr sehen werden.
Die Treiber unseres Geschäftsmodells und unseres Wohlstands, also billige Importe von Vorprodukten, Rohstoffen und Energien, sind Vergangenheit. Da Europa arm an Rohstoffen ist, gibt es nur eine logische Konsequenz: Produkte und Technologien für mehr Kreislaufwirtschaft entwickeln, nicht nur, aber anfänglich vor allem in der Energieerzeugung.
Nur das lässt sich in Europa zukünftig wettbewerbsfähig produzieren und es könnten auch wieder Exportschlager werden. Wir Europäer müssen zeigen, dass eine moderne Ökonomie auch ohne exponentielles Wachstum von Ressourcenverbrauch und Emissionen möglich ist.

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