black and white gas stove

Der „Gasmarkt“ wird das schon regeln – oder?

Die Situation am Gasmarkt ist durch sehr unterschiedliche Probleme gekennzeichnet, die gerne vermengt werden: Grundsätzlich sind die russischen Lieferungen zu substituieren, was aus logistischen und technischen Gründen bis zu zwei Jahre dauern wird. Das führt zu einer Knappheit in weiten Teilen Europas und einer Verzehnfachung des Gaspreises am Spotmarkt.
Diese Preiseskalation wird begünstigt durch den Einkaufswettbewerb der Europäer und auch durch die Funktionsweise einer Energiebörse, die sich von langfristig verhandelnden Akteuren bei der Preisfindung nun mal systemisch unterscheidet. Leider wird aber nicht mehr langfristig direkt miteinander verhandelt, denn diese Börse bestimmt die Preiserwartungen der Lieferanten, teilweise ist das sogar gesetzlich genau so festgelegt!
Dadurch ist Gas in der kurzfristigen Beschaffung nun noch nicht mal knapp, aber viel teurer geworden. Die Knappheit kann erst noch dazu kommen, denn die Ersatzlieferungen werden vor allem den im Winter hohen Verbrauch nicht decken können. Sofern also Einsparungen nicht gelingen, für ganz Europa werden 20% genannt, wird es zu Rationierungen kommen. Dieses Szenario mag in den Börsenpreisen enthalten sein, vielleicht auch nicht, niemand kann das prognostizieren, so ist das bei Börsen – und wenn man die in so einem Markt als zentrales Instrument platziert, wird man schnell zum Zuschauer.
Nur zur Verhinderung von weiteren Beschimpfungen über persönliche Nachrichten: Nein, ich bin kein linker Ökonom, ich liebe Börsenmechanismen, ich habe sie studiert und deshalb „darf“ ich kritisch darauf hinweisen, dass man sie zur Preisfindung von langfristigen Lieferverpflichtungen nicht einsetzen sollte. Und nein, die Bedeutung von Terminmärkten zu deren Absicherung macht sie nicht notwendig, dadurch wird im Gegenteil alles nur noch schlimmer.
Die Situation der Akteure im Gasmarkt ist durch diese Preisverwerfungen nun aber sehr unterschiedlich. Es gibt Lieferketten, die auf längerfristigen Verträgen beruhen und mit russischem Gas wenig zu tun haben. Bei anderen muss bereits jetzt die Gasbeschaffung neu und zu horrenden Aufschlägen organisiert werden. Entsprechend gibt es Einkäufer und Zwischenhandelsstufen, die gar nicht oder kaum betroffen sind. Was die an ihre Endkunden nun weiter geben, hängt vor allem von den Vertragsverhältnissen bis zum Gasanschluss ab. Andere Lieferketten sind faktisch pleite. Der Neueinkauf lässt sich nicht mehr durch bestehende Lieferverpflichtungen und die dabei geltenden Preise finanzieren. Wenn in solchen Ketten nur einer seinen Einkauf nicht mehr bezahlen kann, nutzen danach alle geltenden Verträge mit günstigen Preisen gar nichts – sobald ein Glied insolvent wird, sind diese weiteren Verträge wertlos und die ganze Kette reißt.
Der Stress in dem System fängt gerade erst an und das wird noch lange dauern. An den genannten Ursachen oder Verstärkungseffekten wird bisher nicht erkennbar gearbeitet. Die Politik in ganz Europa fokussiert sich darauf, diese neuen Beschaffungspreise irgendwie zu organisieren, damit der Einkauf aus neuen Quellen bezahlt werden kann und zugleich keine Insolvenzwelle durch den Markt rollt bzw. Lieferketten brechen. Es wird zwar von „Preisbremsen“ gesprochen, aber es gibt davon genau keine. Ganz im Gegenteil wird überall genug Treibstoff organisiert, um die Eskalation dieser Preise zu finanzieren.
Das passiert überall durch direkte staatliche Unterstützung von größeren Akteuren wie Uniper, die nun in welcher Form auch immer unterstützt werden, damit sie einerseits das erforderliche Gas zu den „neuen“ Preisen einkaufen können und andererseits ihre Lieferverpflichtungen erfüllen können. Welche Preise nun in welchen Lieferketten zustande kommen und was dabei bei welchen Verbrauchern ankommt, ist weitgehend intransparent. Klar ist nur, dass eine Welle an Preiserhöhungen auf die Endkunden zukommt, je nachdem, auf welcher Lieferkette die zufällig sitzen und wie diese mit den Preisen umgeht. Es dürfte in den Zwischenhandelsstufen sowohl Akteure geben, die sich derzeit munter die Taschen füllen als auch solche, bei denen es nur ums Überleben geht. Die externen Lieferanten von Gas sind ohnehin die ganz großen Gewinner: Jeder auslaufende Vertrag oder jede kurzfristig zusätzlich angefragte Menge verheißt den zehnfachen Ertrags.
Es ist eine richtig gute Idee, möglichst viel Geld in dieses System zu pumpen, das wird jeder natürlich sofort verstehen – oder?
Nun, das führt im Ergebnis nicht nur zu einem besonders unkontrollierten Einkaufswettbewerb, es hat auch asymmetrische Folgen bis zu den Verbrauchern. Bereits in der Vergangenheit waren die Preise sehr unterschiedlich und gerade beim Gas ist es vielleicht bis zu staatsanwaltlich relevanten Fragen erforderlich, zu klären, wer in welchem Umfang an wie auch immer gestalteten Einkaufspreisen profitierte.
Wenn der Staat nun – was unstrittig erforderlich ist – in diesen versagenden Markt eingreifen muss, so wäre es wichtig, den unkontrollierten Einkaufswettbewerb zu beenden, soweit möglich Druck auf die Beschaffungspreise auszuüben, die bereits skandalösen Preisasymmetrien zu beheben und Sparanreize zu setzen, um die drohende Knappheit für bis zu zwei Jahre zu beheben.
Wäre!
Dazu ist bisher aber sehr wenig bis nichts passiert. Welcher Einfluss durch den staatlichen Einstieg bei Uniper ausgeübt wird, ist nicht bekannt. Eine Koordination auf europäischer Ebene ist kaum erkennbar. Es wird über ein paar Pipelines zu LNG-Häfen gestritten, alle Europäer fliegen separat in alle Länder der Erde, um die Beschaffung zu verhandeln, alle haben Einsparziele vereinbart, deren Umsetzung nicht sichtbar ist.
In Deutschland war die Gasumlage noch die konzeptuell intelligenteste Lösung, um wenigstens die Asymmetrien in den Preisen anzugleichen und die Belastung der Verbraucher anzugleichen. Das Konzept wurde nicht verstanden, schlecht vermittelt, politisch zerredet und es war in den ersten Umsetzungsideen fehlerhaft. Letztlich fand die Öffentlichkeit es falsch und damit war es tot. Statt dessen wurde eine „Gaspreisbremse“ auf´s Schild gehoben, die nun – Überraschung – kompletter Murks ist. Das kann man nicht mal der Kommission vorwerfen, die sie nun vorlegt, denn die hatte gar keine Chance, etwas besseres zu entwickeln.
Zwischen administrativer Nichtmachbarkeit in einem digitalen Entwicklungsland und dringender Notwendigkeit zum Insolvenzschutz für Haushalte und Unternehmen wird nun mit der Gießkanne eine der größten Summen in der Geschichte dieses Landes ausgekippt, die für ein kleines Maß an Verteilungsgerechtigkeit über das Steuersystem teilweise wieder zurück geholt wird. Einmal groß raus und ein klein wenig wieder rein. Großartig, eine Gießkanne mit Teilrückgewinnung, ordnungspolitisches Kunstwerk. Zugleich ist der Entwurf nun voller Fehlanreize, sogar kurzfristig den Verbrauch zu steigern, damit die Förderung später umso höher ausfällt, Details werden in Social Media bereits ausgetauscht und demnächst wohl als Verbrauchertipps kommen.
Ein kleines Schmankerl darf nicht fehlen: Anzumerken ist nämlich, dass mit dem Gasmarkt bereits ein sehr großer Energiemarkt betroffen ist, die Europäer es aber geschafft haben, durch ein kapitales Fehldesign dafür zu sorgen, dass diese Preiskrise unmittelbar und zwar mit Faktor zwei auf den noch größeren Strommarkt übergreift. Da werden nun auch noch Preisbremsen oder ähnliches diskutiert, ein Eingriff in die tieferen Ursachen ist bisher ebenfalls nicht erkennbar. Wer über den Gasmarkt und die allgemeine Lösungskompetenz in dem Bereich klagt, darf sich also darauf freuen, was beim weit größeren Strommarkt noch so kommen wird.
Derweil hören wir von Ökonomen was über Märkte, marktgerechte Preise und deren Funktionsfähigkeit, für uns auch wieder angemessene Lösungen herzustellen. Na, dann ist ja bald alles wieder gut – oder?

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