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Die europäische Autoindustrie ist die nächste disruptiv veränderte Branche

Die EU hat heute das sogenannte „Verbrenner-Aus“ beschlossen. Unser hochdynamischer Kontinent will demnach ab 2035 keine neuen Verbrenner mehr zulassen. Es ist jedoch eine Klausel enthalten, diese Regelung bis 2026 für Fahrzeuge mit E-Fuels ggf. noch mal zu prüfen. Ein Kompromiss u.A. für die deutsche Ampel, genauer für die FDP.
In den Medien folgen die typischen Kommentare. FDP-Chef Lindner feiert die Öffnungsklausel als Erfolg für „Technologieoffenheit“, der FDP-Europaabgeordnete Oetjen spricht gar von einem „klaren Auftrag“, den Weg für Verbrenner mit alternativen Kraftstoffen zu ebnen. Die CDU spricht von einem „Verbot“ und hätte sich eine freiwillige Regelung gewünscht, wozu auch immer es einer solchen dann bedürfte? Der Autoverband VDA kritisiert eine unverantwortliche Regelung, es sei „fahrlässig“ so eine langfristige Festlegung ohne Anpassungen an zukünftige Entwicklungen vorzusehen – die EU wird demnach ihre Tätigkeit in der Sache bis 2035 also einstellen? Die Grünen sprechen hingegen von einer „Zeitenwende“, schön, dass sie nicht „Wumms“ gesagt haben. Greenpeace geht das alles zu langsam.
In Social Media wird das Thema noch emotionaler als in den vielen Expertenrunden über Kernphysik geführt. Auffällig oft werden dabei die verstaubten und längst wiederlegten „Argumente“ einer vortrefflich misslungenen „Studie“ der Herren Sinn et al. einfach nur weiter geplappert. Wir lesen da also was von CO2 in Batterien oder im Strom, von teuren Produktionen, knappem Lithium, hohen Kosten und der wunderbaren Effizienz des deutschen Diesels, der im Denken vieler immer noch mehr Sprit spart, als er verbraucht.
Das wäre ein lustiger intellektueller Zoobesuch, wenn man nicht gerade in Deutschland wohnte, das Land liebte und sich daher Sorgen um seine Strukturen und die irgendwie verlorene Innovationsfähigkeit, einst Motor des Landes, machen müsste. Angesichts dieser Sorgen kann man schon verzweifeln, wenn ausgerechnet eine selbsternannt liberal/bürgerliche Partei ein rückständiges und insbesondere ökonomisch suizidales Energievernichtungspogramm in der größten Energiekrise und – das sei mal so benannt – größten Krise der Automobilindustrie Europas mit dem Begriff der „Technologieoffenheit“ verknüpfen würde.
Diese Reaktionsmuster erinnern sehr an die ersten Testberichte über das von Apple neu vorgelegt iPhone, dem man schlechte Handhabbarkeit, vollkommen überflüssige Features und technisch mangelhafte Qualität bei Sprachleistung, Ton und Übertragungsgeschwindigkeit vorwarf. Immerhin war das bei der damaligen Nummer eins in Finnland, Nokia, genauso, aber die Hersteller in Deutschland spielten bei der damals Handy-Markt genannten Industrie immerhin noch eine Rolle. Ein paar Jahre vorher wurde das Internet von unseren Medienmanagern als vorübergehende Erscheinung für jüngere Nutzer erkannt und gut 20 Jahre davor hatte man kein Verständnis für die Idee, aus Großrechnern etwas zu machen, das man auf einen Tisch stellen kann und die dafür notwendige Grundlagentechnologie, nämlich Chips immer kleiner und zugleich leistungsfähiger zu bauen, interessierte in Europa ebenfalls niemanden.
Nur zum Mitschreiben: Die Technologie für Mobilität bis in den Schwerlastverkehr hinein ist elektrisch. Die in diesem Segment nach derzeitigem Stand der Technik maßgebliche Speichertechnologie ist die Batterie. Die notwendigen Kernkompetenzen für einen Automobilhersteller lauten Software und Batterie. Der relevante Wettbewerb in dieser Industrie dreht sich um das führende Betriebssystem oder besser gesagt digitale Ökosystem sowie um die Batterietechnologie. Spaltmaße von Karosserien oder hoch optimierte Puffpuff-Technologien sind schon jetzt museumsreif.
Nur zum Verstehen: Das hat genau gar nichts mit der aktuellen Wertschöpfung, Unternehmensergebnissen oder dem auf den Straßen herumlungernden Blech zu tun. Die Relevanz von Technologien in solchen Märkten entwickelt sich in Dekaden, aber die diese dominierenden Player sind die Gestalter und nicht die Verhinderer, die dann aufspringen, wenn sie nicht mehr einholbaren Rückstand haben.
Wir erleben seit einigen Jahren die hoffnungslose Unfähigkeit etablierter Automobilhersteller bei der Software, reihenweise wurden von den gewiss nicht dummen strategischen Abteilungen in diesen Unternehmen wichtige Technologieprojekte angeschoben, die nun ebenso reihenweise erfolglos eingestellt werden. Eigene Betriebssysteme, autonomes Fahren, Ökosysteme für Navigation, Planung, Ladevorgänge, moderne Geschäftsmodelle wie Sharing Economy – alles versucht worden, alles eingestellt.
Viele Hersteller scheitern operativ bereits an einem funktionierenden Entertainment-System in ihren Produkten, mp3 ist bereits eine Herausforderung, der man kaum nachkommt. Software ist immer noch so etwas wie weiche Hardware, die man nur sehr vorsichtig und natürlich bei einem Werkstattbesuch aktualisiert. Eigene Batterieprojekte, sei es selbst oder in Partnerschaften, sind bisher von allen Nachahmern ausnahmslos gescheitert.
So dominieren die Hersteller der ersten Stunde, wie in jedem Innovationsprozess. Es ist einfach immer das gleiche und diese Verharrungschöre enden erst, wenn es wirklich jeder technologieoffene Puffpuff/Töfftöff-Fan erkannt hat. Dabei kann man solche Prozesse anhand der maßgeblichen Trends meist sehr gut und sehr klar erkennen, das ist ein Grundmuster der Digitalisierung, das einen, wenn man nur zuhört, geradezu anschreit.
Einige Trends habe ich zusammengestellt. Das Wachstum der Elektroautos weltweit, die weit stärkeren Raten in China, die Preisentwicklung von Batterien. Das sind Trends, die sich beschleunigen. Es sieht sogar so aus, dass die weltweite Inflation nicht mal die rückläufige Preisentwicklung merklich bremst. Die mit Abstand dominierende Nation in dem Trend ist China. Trotz der ökonomischen Probleme des Landes geht das auch 2022 unvermindert weiter. Zum Jahresende wird in China bereits jedes vierte Auto elektrisch sein, die Ablösung kommt viel schneller als für so einen trägen Markt erwartet. Die chinesischen Hersteller erzeugen Zahlen, die niemand mehr übersehen kann und die sind überwiegend bisher nur in China aktiv. Sie werden ihre weit überlegenen Produkte aber bald ausrollen. Diese Fahrzeuge sind vor allem praktisch, vielseitig und sehr günstig. Eine komplett andere Strategie als bei Tesla, sehr wahrscheinlich die erfolgreichere. Die FT hat dazu zwei geniale Charts erzeugt, die das visuell hervorragend darstellen.
Die USA haben das übrigens längst erkannt. Dort wird nicht mit „Verboten“ von einem Vorlauf über mehr als ein Jahrzehnt gearbeitet. Der Rückstand in der Batterietechnologie soll durch eine Mischung aus Förderung und Protektion in wenigen Jahren aufgeholt werden. Bei der Software müssen die Amerikaner sich weniger Sorgen machen, da ist die eigene Industrie gut aufgestellt – sofern wir nicht von deren Autoherstellern reden. Die USA haben das richtig erkannt, es geht um einige Schlüsseltechnologien und deren Besitz in der eigenen Ökonomie.
Was in Europa passiert, ist von der öffentlichen Diskussion bis zu den konkreten Maßnahmen in Politik und Industrie rückständig, ineffizient, langsam und an keiner Stelle zielorientiert. Der in westlichen Märkten dominierende Anbieter Tesla schiebt die gesamte europäische Automobilindustrie bereits vor sich her und was da an chinesischen Produkten erst noch kommt, ist nochmals viel weiter. Das sieht nach der nächsten Wiederholung so vieler Geschichten der Digitalisierung aus und es droht, eine weitere und dieses Mal gewiss nicht kleine Industrie disruptiv zu verändern.
 

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