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Die Energiepreiskrise ist nicht vorbei

Es ist eine menschliche Stärke, sich an Probleme zu gewöhnen. Leider kann das zur Achtlosigkeit führen. Eine weitere Eigenschaft ist die relative Bewertung von Ereignissen gegenüber einem Erwartungswert, wodurch die absolute Wahrnehmung getrübt werden kann. Passiert beides gerade bei der Gaskrise?
Viele hatten für den Winter 22/23 erhebliche Probleme und eine Vervielfachung der eigenen Gasrechnung, ggf. sogar Versorgungsengpässe befürchtet. Dagegen sind – nicht zuletzt aber durch massive stattliche Subventionen – viele Abschlagsrechnungen von Versorgern vergleichsweise moderat ausgefallen und die Füllstände der Speicher sind hoch. Alles also halb so schlimm und halb schlimm ist irgendwie gar nicht mehr schlimm?
Vor den Gießkannen-Eingriffen hatten viele gewarnt, sie könnten die Wahrnehmung auf die Größenordnung der Herausforderung trüben. Tatsächlich erleben wir nun, dass das Einsparziel von 20% beim Gas deutlich verfehlt wird – zuletzt lagen wir bei 13%. Parallel wummst der Staat, um das Problem mit Geld zu verdecken, während der Chef der Netzagentur Einsparungen anmahnt. So funktioniert das nicht, es bedarf keiner großen Weisheit, das zu erkennen.
Hinzu kommt, dass es zu viele „Experten“ und diesen folgende Medien gibt, die sich an den Spotmärkten orientieren. Dort sind die Preise zuletzt wieder um 9% gefallen. Leider sagt das sehr wenig aus. Da inzwischen die LNG-Lieferungen den Preis setzen, bilden die Spotmärkte die tägliche Balance von gerade mal ankommenden Tankern gegenüber der gerade mal möglichen Abnahme in der für eine Vollversorgung Europas viel zu schwachen Infrastruktur ab. Daraus mehr abzuleiten, ist schlicht gefährlicher Unfug!
Die internationale Energieagentur hat vielmehr die vollkommen simple Rechnung aufgemacht: Wir hatten in 2022 trotz aller Kürzungen insgesamt 60 Milliarden Kubikmeter Gaslieferung durch Russland. Nur so konnten die Speicher überhaupt gefüllt werden. Die Kapazitätsausweitung von LNG wird rein technisch in 2023 seitens der IEA auf weltweit 20 Milliarden Kubikmeter geschätzt und darauf haben – Achtung, strategisch klug aufgestellte Leute – die Chinesen ein Vorkaufsrecht über mehr als die Hälfte. Die IEA hat verschiedene Szenarien gerechnet und sieht trotz der bereits erzielten Substitutionen und Einsparungen beim Gas eine verbleibende Lücke von 30 Milliarden Kubikmeter, die für den Winter 23/24 zu schließen ist.
Vorschläge dazu gibt es viele, es reicht von der Reduktion der Raumtemperatur bei der Heizung bis zur weiteren Substitution von Gas beispielsweise durch mehr Wärmepumpen. Die IEA empfiehlt daher ein Maßnahmenpaket vom rascheren Ausbau Erneuerbarer zur Kapazitätsausweitung im Stromsektor über Elektrifizierung bis zur Intensivierung von Energiesparmaßnahmen. Ferner empfiehlt sie den Europäern nun nachhaltig, das hatte ich sehr oft thematisiert, die gemeinsame Organisation der Gasbeschaffung.
Die Märkte wissen das alles längst und sie schätzen die Erfolgsaussichten der Europäer nicht besonders hoch ein. Das Chart anbei ist exemplarisch der langfristige Preis eines TTF-Kontrakts für 02/24. Der hatte sich nach der Eskalation mit einer möglichen Versorgungskrise, die nur wegen der trotzdem fortgesetzten russischen Lieferungen ausgeblieben ist, von seinem langjährigen Band um 15 EUR fast um Faktor 20 erhöht. Als das schlimmste Szenario ausgeblieben ist, „sank“ der Preis auf eine Versechsfachung, das war diese übertrieben dargestellte „Entspannung“ im Oktober. Seitdem ist der Preis kontinuierlich um 30% gestiegen und er liegt nun ca. beim Achtfachen des langjährigen Niveaus.
Von diesen Beschaffungspreisen ist erst der kleinste Teil bei den Verbrauchern angekommen. Das liegt auch an den teilweise langfristigen Lieferverträgen mit bisherigen Preisen. Erst wenn diese auslaufen, werden neue abgeschlossen, die sich dann aber an den Börsenpreisen orientieren. Hinzu kommt, dass diese Preise erst eine Andeutung sind, was passiert, wenn wir mehr als einen Engpass, sondern eine echte Versorgungslücke bekommen. Die wurde zuletzt wie erwähnt mit fast Faktor 20 bepreist.
Die Nachrichtenlage ist vollkommen klar, wir müssen beim Gas gewaltig den Rückwärtsgang finden. Durch Beschaffung aus anderen Quellen lässt sich das Problem nicht rechtzeitig lösen. Alleine die Verarbeitung von LNG (Abfüllung, Transport, Regasifizierung) kostet so viel, wie unsere früheren Preise ausmachten, also die 15 EUR pro MWh. Selbst, wenn die Weltmärkte irgendwann mal das Gas wieder zu alten Preisen anbieten, werden wir eine Verdopplung haben, aber von Erschließung der Felder bis zur Logistik dauert das ohnehin alles viel zu lange. Ohne Versorgungskrise kommen wir da nicht durch, wir müssen diese 20% Einsparung erreichen – sofort.
Zudem muss die Gasbeschaffung anders organisiert werden. Das kann man in so einer Dysbalance nicht den „Märkten“ überlassen und als Preissetzer dabei auch noch Börsen einzusetzen, ist Irrsinn. Die Börsenpreise werden diese Vervielfachungen schlicht fortsetzen, bis es zu einem Überangebot kommt. Das kann Europa so nicht laufen lassen, das kostet über die Zeit Billionen, die in Gasförderländer abfließen, ohne dass wir bei uns dafür irgendeinen Gegenwert geschaffen haben. Dieses Geld wird schlicht verbrannt!

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