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Ein Vorschlag für eine Weihnachtsvorlesung

Interessanter Dialog am Rande zur „Vorlesung“ von Hans-Werner Sinn, genauer zu dessen Titelwahl: Der „Schwarze Schwan“. Was Sinn dazu und zu dem den Begriff prägenden Nassim Nicholas Taleb sagt, ist primär Unsinn, der sich im Laufe dieser „Vorlesung“ auch noch dadurch manifestiert, dass Sinn weder auf diesen Begriff, noch auf die von ihm so klassifizierten „Schwarzen Schwäne“ tatsächlich eingeht. Dabei könnte der „Schwarze Schwan“ wieder erhebliche Bedeutung erhalten, es ist also richtig, das Thema aufzugreifen, aber bitte dann auch darüber sprechen.
Hier meine paar Cents dazu.
Das Buch von Taleb ist sehr wertvoll, aber es muss ganz anders eingeordnet werden. Taleb selbst, er ist studierter Finanzmathematiker, hat lange an der Wall Street mit der Bewertung von Optionen zu tun gehabt, würde anders als Sinn beim „Schwarzen Schwan“ kaum von einem „mathematischen Modell“ sprechen. Taleb beschreibt vielmehr die gängige Methodik in der Finanzmathematik: Hier werden – vereinfacht ausgedrückt – Modelle eingesetzt, um die Schwankungsbreite von Wertpapieren oder weiteren Assets zu bewerten. Wenn diese Modelle zu eng gefasst sind, können sie starke Ausreißer übersehen und das Problem vieler Finanzstrategien, ja ganzer Banken und – oft übersehen – insbesondere auch Versicherungen besteht leider darin, dass ihre Architektur solche Ausreißer oft nicht überlebt. Insofern sprechen wir hier nicht von „auch mal daneben liegen“, sondern vom Exitus – was so ab 2007 bekanntlich real stattfand.
Taleb nannte die Finanzkrise einen „Schwarzen Schwan“, was wir gerne als „unvorhersehbares“ oder „sehr seltenes“ Ereignis übersetzen, so auch die Interpretation von Sinn. Das ist also kein „mathematisches Modell“, sondern Talebs Hinweis, dass die gängigen Modelle versagen können, wenn sie zu kurzfristige Zeiträume und zu enge Ereignismuster nutzen.
Nach den Krisen der letzten Dekade, also der Finanzkrise, der Pandemie sowie jetzt dieser multiplen Effekte wie Lieferkettenstörungen, Tendenzen der De-Globalisierung, der Krise bei der Versorgung fossiler Energieträger, dem Ukraine-Krieg und dem geostrategischen Konflikt USA/China ist es aus meiner Sicht richtig, sich diese Ereignisse mal anzuschauen, aber man sollte das dann auch tun und nicht wie Sinn nur aufzählen, um veraltetem Käse ein aktuelles Intro zu geben.
Tatsächlich ist bei allen Verdiensten von Taleb festzustellen, dass die Finanzkrise rein gar nichts mit „Unvorhersehbarkeit“ zu tun hatte. Dasselbe gilt auch für Kriege, für diesen russischen Krieg in der Ukraine sogar ganz sicher. Ebenso ist der Konflikt USA/China nicht „unvorhersehbar“, die Versorgungskrise mit fossilen Energien ist es auch nicht und die speziell beim russischen Gas gewiss ebenfalls nicht. Kurz: Das sind alles ganz im Gegenteil Ereignisse bzw. Strukturen, deren Risiken sogar schon lange bekannt sind und auch diskutiert werden – aus sehr vielen Gründen führte dieses Wissen über Risiken aber nicht zum Handeln.
Insofern haben Wissenschaftler wie Daniel Kahneman oder auch der Verhaltensökonom Ernst Fehr viel besser beschrieben, was uns in diese multiplen Krisen geführt hat – und es hat mit der Vorstellung vom „Schwarzen Schwan“ definitiv gar nichts zu tun. Das Gegenteil ist sogar richtig, denn es geht eben nicht darum, dass Ereignisse bzw. Risiken so einmalig und so selten sind, dass sie quasi über uns herab vom Himmel gefallen sind, sondern es sind ganz überwiegend Risiken, die wir kannten und in unserem Handeln im Wesentlichen ignorierten. Das ist unser Thema, genau das!!
Ausnahme mag nebenbei bemerkt die Pandemie sein, aber auch das kann man anders sehen, denn die meisten Experten aus dem Bereich hatten sich eher gewundert, warum es nach der Spanischen Grippe so lange gedauert hatte – und auf die Pandemie haben wir, das ist das spannende, bei aller berechtigen und notwendigen Kritik letztlich relativ gut reagiert. Denn: Wir konnten sie nicht ignorieren.
Die Finanzkrise ist keineswegs überraschend gekommen, vielmehr ist in diversen juristischen Untersuchungen inzwischen festgestellt worden, dass es viele Akteure gab, die ganz genau wussten, was da passiert und die damit hervorragende Geschäfte machten. Tatsächlich waren – erneut vereinfacht ausgedrückt – im US-Immobilienmarkt mehrere Billionen einseitig auf die Strategie investiert, dass die Häuserpreise ewig weiter steigen. Als das nicht mehr passierte – und das ist ganz sicher kein „Schwarzer Schwan“ – brach alles zusammen. Es war auch nicht schwer vorhersagbar, im Gegenteil, es gab genug, die sich darauf sogar explizit vorbereiteten. Die Mehrheit der Akteure war aber denkfaul, vertrauensselig – und gierig. Die Vorteile, also einfache, simple und sehr gute Geschäfte waren in der Wahrnehmung stärker als die Risiken.
Kahneman, Fehr et al. haben ganze Bücher darüber geschrieben. Der Umgang mit Risiken, wann und warum wir dazu neigen, Chancen irrational überzubewerten, wann genau im Gegenteil Risiken (aka Ängste) die Chancen verdecken – das sind die Themen, die wir hier sehen. Die Parallelen zu den guten Deals mit China, zum russischen Gas etc. – muss man das überhaupt erwähnen?
Wir sollten uns von der „konnte keiner wissen“ Politik dringend verabschieden, aber nein, Herr Sinn, wir sollten sie nicht ersetzen durch das Bild von „Schwarzen Schwänen“, die vollkommen unvorhersehbar über uns kommen und dann auch noch so viele in so kurzer Zeit.
Tatsächlich ist diese geopolitische Mixtur einer fahrlässigen europäischen Politik in Verbindung mit Konflikten der Ex-Supermacht Russland und der aktuellen Supermächte USA/China keinerlei Überraschung. Die Wiederholung einer fossilen Rohstoffkrise, die Erpressbarkeit insbesondere Europas (Obama hat das kommen sehen, er hat die USA darauf vorbereitet, vor einem Jahrzehnt schon!), keinerlei Überraschung. Dass diese Prozesse sich zuspitzen, dass sie eng miteinander verwoben sind, dass sie „gleichzeitig“ auftreten, dass sie auch militärisch ablaufen, keinerlei Überraschung!
Was nun passiert, ist ebenfalls von Kahneman et al. gut beschrieben: Plötzlich erleben wir unsere Welt als ganz besonders unsicher. Das ist eine weitgehend falsche Wahrnehmung, denn tatsächlich erkennen wir nur Risiken, die sich in der Zeit, in der wir alles ganz besonders sicher empfanden, aufbauen und ausbreiten konnten. Das führt nun zur umgekehrten Reaktion, wir sehen nur noch diese Risiken und orientieren uns daran. Exakt das ist nun die große Chance, die wir also solche aber übersehen. Kurz: Wir stehen gerade diesbezüglich endlich besser da, als jemals zuvor!
Meine Einschätzung ist, dass wir viele dieser Herausforderungen lösen werden, vielleicht sogar wie die Pandemie unterm Strich ganz gut. Wenn wir Pharisäern wie Sinn nicht folgen, bei dem ich gar nicht mehr verstehe, was er uns zur Energie überhaupt sagen will, bekommen wir vielleicht sogar mit 50 Jahren Verzögerung endlich mal den Anfang vom Ausstieg aus den fossilen Energien hin. Die Globalisierung wird sich neu ordnen und das ist gut so. Sie findet tatsächlich statt, seitdem Menschen logistisch in der Lage sind, großräumigen Handel zu treiben und sie wird nie enden. Wenn es gut läuft, werden wir mit einigen Jahren des Ruckelns und auch ökonomischer Belastungen eine bessere Diversifikation der globalen Ökonomie bekommen, bei der Nutzen und Lasten sicher nicht „fair“, aber auch nicht so asymmetrisch verteilt sind, wie heute. Das wird die großen Konflikte bestimmen, phasenweise auch verschärfen, letztlich aber eindämmen und so auch teilweise lösen.
Viel größeren Respekt, um nicht Angst zu sagen, habe ich vor diesem unveränderten Zombie namens Finanzsystem. Die Konsequenzen aus der Finanzkrise waren aus meiner Sicht lächerlich. Es wäre endlich an der Zeit gewesen, mit einem Mähdrescher durch dieses System zu fahren, es ist nicht mal zu einem Rasenmäher gekommen. Nun erleben wir an den Zins- und Devisenmärkten Veränderungen, die vermutlich mal wieder „keiner kommen sehen konnte“. Wenn da nicht schon wieder „Schwarze Schwäne“ so manche Modelle schreddern, würde es mich ehrlich gesagt wundern. Tatsächlich gilt meine kurzfristig größte Sorge nicht den panikartigen Medienthemen, die zu lesen sind, sondern einer Fortsetzung der Finanzkrise. Ich halte es für wahrscheinlicher, dass wir so ein Szenario erleben, als dass es uns erspart bleibt. Leider fürchte ich, dass wir dann keineswegs besser da stehen, als bei der letzten geplatzten größeren Spekulationsblase, denn: „Konnte ja keiner wissen“.
So setzt sich diese Geschichte leider fort, nämlich die der Risiken, die wir ignorieren. Das gilt leider auch für die langfristigste, die uns begleitet: Die Klimakrise. Zur Bedeutung von Fristen bei Risiken haben Kahneman et al. auch viel geforscht. Je längerfristig die sind, desto beliebter werden sie unterschätzt oder gar ignoriert. An der Stelle daher für mich als chronischen Optimisten leider die Erkenntnis: Kaum Anzeichen zur Besserung, unsere realen Handlungen haben mit den Risiken an der Stelle wenig zu tun, wir reden mehr darüber, aber die Verharrungskräfte sind unverändert dominant.
Insofern gelten meine persönlichen Sorgen nicht den Risiken, die unsere Medien bestimmen und vor denen viele so große Angst haben. Die kriegen wir in den Griff. Sorgen sollten uns die Risiken, über die wir nicht reden oder nur reden, statt wirklich zu handeln. Das ist kurzfristig eine Finanzkrise und leider inzwischen bereits mittelfristig die Klimakrise.
So ungefähr hätte ich eine Weihnachtsvorlesung aufgebaut 😉

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