person in white top

Märkte und Preise erklären unsere Welt nicht

Es ist schon erstaunlich, dass sich immer noch Ökonomen finden, die Basismodelle über freie Märkte mit einer Preisbildung entlang von Angebot und Nachfrage als Erklärungs- oder gar Lösungsmuster für unsere Welt halten. Dabei lesen wir täglich Nachrichten über das Verhalten von Akteuren, die sich damit schlicht nicht erklären, geschweige denn lösen lassen.
So plant die Bundesregierung gerade ein Verbot von Preiserhöhungen durch Versorger, damit diese die Subvention von Preisen, die unter dem Namen Preisbremse firmiert, nicht zur eigenen Margensteigerung abschöpfen. Die globalen Anbieterkartelle von Energie schaffen es immer wieder, Preise, insbesondere Börsenpreise, nach oben zu manipulieren. Das ist den Amerikanern ein Dorn im Auge, auch wegen der hohen russischen Einnahmen, gewiss nicht weniger wegen der innenpolitischen Folgen. Deshalb versuchen sie es mit einem Versicherungsembargo auf russische Öltransporte per Tanker, was als Ölpreisbremse firmiert. Die EU folgt dem Vorschlag und verspricht sinkende Ölpreise sowie sinkende Einnahmen im russischen Staatshaushalt. Zugleich räumt das Gesundheitsministerium ein, dass die Corona-Warnapp inzwischen auf einen Preis von 220 Millionen Euro kommt, was sich bald den Fernsehgeldern nähert, die alleine deutsche Medien für die Übertragung der Fußball-WM bezahlt haben, die nun ohne unsere Beteiligung ihren inneren Frieden suchen darf.
Nun erklären viele Ökonomen das mit den untauglichen staatlichen Eingriffen, was auch gar nicht falsch ist, aber übersieht, dass einige dieser Preisexzesse an Börsenplätzen passieren, die gerade wenn irgendwas knapp wird und das trotzdem gekauft werden muss, dazu neigen, das, was besagte Ökonomen gerne faire Marktpreise nennen wie folgt zu ermitteln: Die unterlegenen Akteure werden ausgezogen, über den Tisch gezogen und unter den überlegenen Akteuren zerteilt. Börsen tun nämlich vieles, faire Preise gehören auch mal dazu, aber nicht immer. Wer meint, sie seien der richtige Mechanismus, um unsere Energiepreise zu verhandeln, sollte sich intensiver damit beschäftigen, was Börsen tun, wenn Angebot und Nachfrage nicht mehr in Balance sind.
Solche Phasen kann man beispielsweise durch Regulierung vermeiden und wenn sie trotzdem eintreten mildern. An vielen Börsen hat man darauf besonders geachtet, was logisch ist, denn für eine gute Balance braucht man in unseren digitalen Zeiten nicht mal eine Börse, wirklich interessant wird sie in Zeiten der Dysbalance. Ausgerechnet bei den Energiebörsen hat sich dazu wohl keiner Gedanken gemacht.
So ist nun die Forderung nach mehr Regulierung oder mehr Staat im Energiesektor nahezu evident, sie kommt ja sogar aus „der Wirtschaft“ bzw. „dem Markt“. Wenn man aber sieht, wie hier mit der Gießkanne Preissubventionen vergossen werden, um dann zugleich überrascht festzustellen, dass so etwas jede Menge skrupelloser Krisengewinner (der Ökonom spricht vornehm von „Fehlanreizen“) anzieht, so muss man schon fragen, ob der Staat, sei es als Regulierer oder als Auftraggeber für ein unterkomplexes Digitalprojekt, klug handelt.
Die Quintessenz der Sache steht schon lange in den (besseren) Lehrbüchern. „Der Markt“ ist als Erklärungsmodell für unsere ökonomischen Systeme als braver Anfang der ökonomischen Lehre so etwas wie immer noch geduldet. Dass er einer Regulierung bedarf, war ohnehin nie strittig. Ebenso war stets klar, dass er trotz Regulierung keine symmetrische Verteilung von Nutzen und Lasten erzeugt, weshalb er auch keine „fairen“ Ergebnisse liefert. Daher war die Notwendigkeit von Umverteilung, nennen wir sie meinetwegen „sozial“, ebenfalls nie strittig. Insofern ist das Defizit nicht auf Seiten des „Marktes“ zu suchen, allenfalls im Denken derer, die diesem Dinge zuschreiben, die er weder leisten kann, noch überhaupt will.
Vielmehr gilt es, sich der Regulierung viel stärker zu widmen, was seitens des polaren Denkens vor allem erfordert, dass deren Notwendigkeit nicht einerseits stereotyp bestritten oder mit dem Ziel „so wenig wie möglich“ verbunden wird und andererseits die Gegenposition nicht mehr postuliert, man müsse so „viel wie möglich“ regulieren oder unmittelbar in staatliche Kontrolle überführen.
In den (besseren) Lehrbüchern steht vielmehr, dass die Diskussion über „mehr“ oder „weniger“ Staat bzw. Regulierung vollkommen deplatziert ist. Es geht vielmehr um die „richtige“ Regulierung, was zugegeben ein sehr schwierig feststellbarer Zustand ist. Aber auch hier gibt es Antworten, denn niemand erwartet dabei einen „Zustand“, sondern vielmehr einen dynamischen Prozess, den zu steuern vor allem eine glasklare Festlegung von Zielen, daraus abgeleiteten Maßnahmen sowie insbesondere(!) deren laufende Überprüfung erfordert.
Genau das passiert jedoch kaum. Wir haben nicht mal klare Ziele, zu denen beispielsweise gehört, was staatliche Regulierung nicht leisten kann oder soll. Vielmehr verwechseln wir strategische Ziele mit einer Art Blumenwiese, deren Gleichungssystem vermutlich so etwas wie „jeder muss profitieren“ ist. Das funktioniert sogar in Zeiten der Verteilung von Gewinnen ganz gut, aber sobald Verluste zu verteilen sind, wird es vorsichtig formuliert schwierig. Langfristige strategische Vorteile so einer Blumenwiesengesellschaft sind zudem bisher nicht feststellbar.
Mangels der klaren Ziele fällt das mit den Maßnahmen natürlich schwer. Die können aufgrund der beschriebenen Blumenwiese letztlich nur erratisch opportunistische Reaktionen auf die jeweilige Situation sein. Gleichwohl wäre selbst dabei etwas mehr Sachverstand für das, was wir gerne „Märkte“ nennen und vor allem für die Handlungen der Akteure wünschenswert. Die vielen Nachbesserungen der letzten staatlichen Eingriffe waren jedenfalls vollkommen absehbar und dass die vom Konzept weitaus klügere Gasumlage unter anderem daran scheiterte, ist mehr als bedauerlich, denn was diese Gaspreis“bremse“ nun bewirkt, ist in Teilen leider genauso absehbar, insgesamt aber noch vollkommen unklar. Die Trittbrettfahrerei wird natürlich zu ersterem gehören, wie sich das Unikum auf Verbrauch und Beschaffungspreise auswirkt, gehört leider zu zweiterem.
Wie die weltweiten Ölmärkte auf dieses Versicherungsembargo reagieren und ob das überhaupt gegen die Interessen von Griechenland, Malta etc. wirksam durchgesetzt wird, muss sich erst noch zeigen. Vielleicht gibt es bald kein versichertes russisches Öl für 60 Dollar mehr, sondern Schwellenländer kaufen das für 70 Dollar, um es dann für 85 Dollar wieder zu uns zu exportieren. Dann sinken die Einnahmen Russlands ein wenig, die Tanker fahren zwei Mal und wir können nur hoffen, dass dabei nichts passiert.
Kann aber auch ganz anders kommen und damit sind wir bei der Überprüfung von Maßnahmen, was bei jedem gut und agil geführten Unternehmen inzwischen als Priorität erkannt ist. Für die deutsche Denkweise natürlich ganz hartes Brot, aber es ist trotz aller analytischen Vorbereitungen nicht möglich, frei von Irrtum und Fehler zu entscheiden. Es gilt – (gute) Lehrbücher erklären das – daher sogar als strategisch falsch, Fehler vermeiden zu wollen. Vielmehr gilt es diese offen zu akzeptieren, möglichst schnell zu begehen, umgehend zu erkennen und daraus zu lernen.
Davon kann insbesondere bei unserer staatlichen Regulierung nun gar keine Rede mehr sein. Fehler werden allenfalls mit größerem Abstand von Folgeregierungen festgestellt. Ob diese Gaspreisbremse gut funktioniert oder das Versicherungsembargo die gewünschte Wirkung hat, werden diejenigen, die den Prozess zu steuern haben, kaum feststellen. Das wird wie alles ganz ganz prima funktionieren, so viel steht jetzt schon fest.
Vielleicht wäre es ein Anfang, wenn Ökonomen weniger vom Markt reden und Politiker nicht von Preisbremsen, wenn sie eigentlich gerade gigantische Subventionen verabschieden. Das könnte uns der Situation näher bringen, wenigstens bewerten zu können, ob das, was da als Maßnahme beschlossen wurde, in welchem Sinne auch immer tatsächlich funktioniert. Aus der Erkenntnis wiederum wäre es möglich, darüber nachzudenken, ob wir diese Ergebnisse überhaupt wollen.
Wenn man nicht in der Lage ist, Ziele top down zu definieren und dann an ihrer Umsetzung zu arbeiten, kann man sie wenigstens bottom up aus den tatsächlichen Ergebnissen ableiten. Auch das ist übrigens in einigen Lehrbüchern beschrieben – hat jedoch gar nichts mehr mit Märkten und Preisen zu tun.

Beitrag teilen:

Ähnliche Beiträge