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Meinungsfreiheit heißt nicht Beliebigkeit

Wenn man andere Meinungen kritisiert, bekommt man oft den Hinweis, man sei gegen die Meinungsfreiheit. Das ist natürlich ohnehin bereits ein innerer Widerspruch, denn die Kritik an Meinungen ist – m.E. explizit erwünschter – Bestandteil der Meinungsfreiheit. Oft wird darauf dann entgegnet, es gehe um Meinungsvielfalt und daher zähle jede Meinung. Das höre ich sogar von vielen Medienvertretern, wenn ich ihnen empfehle, nicht jede Randmeinung auf ihrer Bühne zuzulassen.
Ich habe ein ganz anderes Verständnis von Artikel 5 unseres Grundgesetzes. Der regelt neben der Meinungsfreiheit auch die Grundlagen für unsere Meinungsbildung, also die Freiheit der Presse sowie, das wird oft übersehen, ist aber gleichrangig formuliert, die Freiheit von Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre.
Dass es mit der Meinungsfreiheit auch Grenzen zu geben hat, ist übrigens unmittelbar an der Stelle geregelt, denn die „Schranken“ der allgemeinen Gesetze sowie insbesondere der Schutz der Jugend und der Ehre sind zu wahren. Rechtswidrige Inhalte oder Äußerungen sind insofern nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Auch falsche Tatsachenbehauptungen sind übrigens keine Meinung, wenngleich die oft, aber nicht immer rechtswidrig sind. Es ist insofern auch kein Widerspruch gegen die Meinungsfreiheit, wenn man Seiten wie RT oder fragliche Profile als Kanäle sperrt. Es mag im Einzelfall ein Irrtum sein, aber das Prinzip der Sperre an sich ist kein Verstoß gegen die Meinungsfreiheit, obwohl ich an der Stelle persönlich die Auseinandersetzung der Sperre prinzipiell vorziehe.
Von Vielfalt aber steht in Artikel 5 zunächst gar nichts. In der weiteren Interpretation haben Wissenschaft und Rechtsprechung daraus aber tatsächlich den Begriff der Vielfalt entwickelt. So hat das Verfassungsgericht festgestellt, dass insbesondere bei den Medien eine Vielfalt des Angebots erforderlich ist, um die Freiheit der Presse zu wahren und dass dazu auch keine Konzentration der Besitzverhältnisse von Medien zu akzeptieren ist. Das hat der Staat seitdem zu überwachen und entsprechend die Vielfalt der Medienangebote durchzusetzen, was bei den modernen digitalen Plattformen inzwischen kaum noch möglich ist.
Von einer Vielfalt der Meinungen steht da aber nichts und die ist auch nicht gemeint. Es ist keinesfalls der Grundgedanke da, besonders viele Meinungen seien hilfreich, Ziel oder wünschenswert. Die Väter des Grundgesetzes haben uns also durchaus „erlaubt“, uns zu einigen und Meinungen auch auszugrenzen, was nicht heißt oder erlaubt, sie zu untersagen. So eine Ausgrenzung dürfen auch Medien vornehmen. Der Vielfaltsbegriff gilt der Anzahl der Medienangebote, nicht deren Inhalt selbst. Da sind sie im Gegenteil explizit frei.
Ich bin insofern insbesondere der Meinung(!), dass öffentlich geäußerte Meinungen einer Begründung bedürfen. Das ist deshalb angemessen, weil solche öffentlichen Äußerungen die Intention haben, andere von der eigenen Meinung zu überzeugen oder zumindest damit zu konfrontieren. Das ist auch gut so, aber ohne eine Begründung, die es möglich macht, sich mit der Meinung auseinanderzusetzen, nicht akzeptabel. Daher lehne ich Meinungen ohne Begründung prinzipiell ab – das erlaubt mir Artikel 5 durchaus. In der Wissenschaft ist das übrigens als Methode akzeptiert und kein Wissenschaftler sieht darin eine Einschränkung der Freiheit der Wissenschaft.
Ich sehe das auch bei Meinungsäußerungen in SocialMedia-Plattformen durch Privatpersonen so. Mindestens, wenn sie als Post veröffentlicht werden, aber auch in Dialogen oder Kommentaren wäre das zumindest angemessen. Wenn mehr oder weniger prominente Personen mit gewissen Multiplikationskräften sich öffentlich äußern, sollte eine Begründung definitiv dazu gehören. Sofern die sich in Medien äußern, wird es zu Selbstverständlichkeit – und für Journalisten zur Pflicht, Begründungen nicht nur einzufordern, sondern auf ihre Belastbarkeit zu prüfen.
Das ist meiner Meinung nach der eigentliche Sinn der Meinungsfreiheit und nicht das Prinzip „viel hilft viel“. Insofern ist es auch Ziel, Meinungsvielfalt als Ausgangspunkt für gesellschaftliche Einigungsprozesse zuzulassen, kann aber nicht deren Ergebnis sein. Die sogenannte „pluralistische Gesellschaft“ ist daher kein Selbstzweck. Die kann gerne immer wieder Meinungsvielfalt erzeugen, sie darf sich aber auch der Aufgabe stellen, diese immer wieder einzuhegen. Das nennt sich Einigung und obwohl die niemals absolut erreichbar ist, bleibt sie das Ziel. Artikel 5 zeigt den Weg dahin, er verbietet das keineswegs.

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