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Wir leben in einer nonlinearen Welt

Selbst die von uns gestalteten Systeme, nennen wir es Weltwirtschaft oder Geopolitik, sind keine linearen Modelle, wo es einen Schalter A gibt, der proportional den Wert des Outputs B bestimmt. Es gibt viele Schalter und noch mehr Outputs, die Reaktionen sind alle komplex und nonlinear. Das heißt übrigens nicht, alles reagiere sehr schnell, sondern im Gegenteil sprechen wir von eher exponentiellen Prozessen, die anfangs sehr träge und dann „plötzlich“ in kaum mehr beherrschbarer Dynamik reagieren.
Ein wenig Stoff zum Nachdenken aus mehreren Artikeln, die ich unten freischalte und die auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun haben, aber doch alle zusammenhängen.
Zunächst ein Blick auf die westlichen Energiekonzerne. Die haben bekanntlich viele Jahre die Dekarbonisierung zumindest langfristig mit getragen und – mit unterschiedlicher Konsequenz – die Förderung fossiler Stoffe zurückgefahren. Das ist nun vorbei, die Pläne werden alle revidiert. Die dafür gelieferten Erklärungen der Manager lesen sich natürlich wie E-Fuel-Paper der FDP. Alles zum Wohle der Verbraucher, wegen Energiesicherheit, die Regierungen bitten darum etc.
Das ist natürlich gelogen. Die Konzerne reagieren ganz rational auf die gestiegenen Preise. Analysten waren bisher von langfristig (!) sinkenden Öl- und Gaspreisen ausgegangen, weil die Dekarbonisierung die Nachfrage reduziere. Diese Wette, die ich immer für naiv gehalten hatte, geht nun nicht auf. Die Konzerne waren übrigens genauso verhalten, die Pläne extrem langfristig angelegt und eine Umkehr jederzeit offen gehalten. Das passiert nun.
Wie komplex das im Einzelfall laufen kann, sehen wir am Beispiel der norwegischen Equinor. Die liefern sehr viel Energie nach UK, wo eine Übergewinnsteuer eingeführt wurde. Diese Steuer kann aber gemindert werden, wenn ein Energieunternehmen in die Energieversorgung investiert. So kauft Equinor lieber Förderquellen hinzu statt die Steuer zu zahlen. Ein komplett rationales Verhalten und auch hier ein Beispiel, wozu staatliche Regulierung führen kann. Vermutlich wollte UK sogar auch zusätzliche Investments in fossile Quellen fördern, um die Versorgungssicherheit zu verbessern und die Abhängigkeit von Ölförderländern zu reduzieren. Hier wechselt aber einfach nur ein bereits erschlossenes und UK belieferndes Feld den Besitzer.
Zugleich ist aber die Frage, ob wir diese Entwicklung nun schlecht finden. Denn tatsächlich erschließen hier westliche Energiekonzerne neue Förderquellen, auch Equinor übrigens, es geht nicht nur um Zukäufe. Das wird geopolitisch und für unsere Versorgungssicherheit prima sein, die Menge an Öl aber trotzdem erhöhen, für den Planeten also die falsche Richtung. Zudem: Da wir inzwischen nur noch Oligopole in dem Bereich haben, dürfen wir daraus keinesfalls sinkende Preise erwarten. Von der OPEC bis zu den großen Energieriesen haben alle verstanden, dass die Dekarbonisierung für diese Branche viel „angenehmer“ verläuft, wenn man die Preise hoch hält.
Das führt zur Frage, wie sich andere im weltweiten Transformationsprozess befindliche Akteure aufstellen. Hier lohnt ein Blick auf China sowie die Golfstaaten, also die Emirate und Saudi Arabien, die ihre Handlungen immer erkennbarer in einer Form zumindest gemeinsamer Interessen, wenn nicht einer Allianz abstimmen.
Dazu eine sehr kurze, aber global dauernd auftretende Meldung über den Versuch von chinesischen Investoren, Infrastrukturen oder Rohstoffvorkommen weltweit zu erwerben. Hier nur als Beispiel ein Streit mit Australien, die das – in dem Fall nun endlich mal – unterbinden möchten. Ob die Australier das Thema in den Griff bekommen, ist aber mindestens so schwer, wie für Europa. Denn China ist längst der mit Abstand größte Partner für die australische Wirtschaft und es gibt schon lange ein Muskelspiel um genau solche Beteiligungen. Wer die bessere Position hat, ist längst nicht klar.
Wie Chinesen ansonsten vorgehen und wie sie das mit dem Nahen Osten koordinieren, kann man am Beispiel Geely erkennen. Das ist ein chinesischer Automobilkonzern, der sich zur Spinne im Netz der Branche entwickelt. Das Unternehmen hat weltweit Beteiligungen erworben und will nun das Verbrennergeschäft von Renault mit den daran hängenden Allianzen zu japanischen Herstellern übernehmen. Das soll mit Saudi Aramco gemeinsam passieren, die in einem dafür zusätzlich errichteten E-Fuel-Versorgungsnetz die Produktion übernehmen sollen. Schon länger ist Geely an Volvo beteiligt, an verschiedenen UK-Firmen und hält eine Beteiligung an Daimler. Letztere wird bisher als nicht beherrschend bewertet, aber das kann man auch anders sehen, denn weitere Beteiligte an Daimler sind: Investoren aus dem Nahen Osten.
Schaut man sich die ganz große Landkarte an, so ist seitens China eine sehr interessante Strategie im Automobilsektor erkennbar: Auf dem eigenen Markt wird mit der Brechstange das E-Auto durchgesetzt und zwar batterieelektrisch. Das führt zu einer enorm agilen Szene von Herstellern, von denen BYD der führende ist. Das hat aus meiner Sicht viel mehr Potenzial als Tesla. Diese Hersteller sind bisher fast nur auf dem eigenen Markt aktiv und haben dort Produkte zu Preisen und Leistungen entwickelt, die insbesondere im Massenmarkt überlegen sind. BYD rollt das nun global aus und einer der ersten Märkte ist: Der Nahe Osten!
Parallel kauft Geely sich in alle möglichen Hersteller ein und fährt eine parallele Strategie. Es werden nämlich sowohl batterieelektrische Fahrzeuge hergestellt als auch – vor allem billige und einfache – Verbrenner, die sogar über Kooperationen mit einer zukünftigen E-Fuel-Versorgung verbunden werden.
So geht man mit nonlinearen komplexen Systemen um und mein Punkt: Ich sehe aus Sicht Deutschlands, weder mit Blick auf die Politik und leider – das ist der neue und alarmierende Punkt – auf unsere Industrie kaum Antworten auf dieses Prozesse. Wir haben keinen Energiekonzern und können nur abwarten, ob wir bei der Dekarbonisierung die Gewinne von westlichen „Partnern“ oder die von anderen Lieferanten füttern. In der für uns wichtigsten Branche stellen sich insbesondere die Chinesen sowohl vertikal als auch hybrid auf. Sie treiben batterieelektrische Mobilität voran und erschließen sich opportunistisch Verbrenner-Technologie mit der kompletten Versorgungsinfrastruktur dahinter. Genauso erschießen sie sich weltweit alle möglichen Rohstoffvorkommen.
Bei uns aber wird über die Energiewende gestritten, die die einzige schlüssige und für uns strategisch selbst gestaltbare Antwort auf diese Entwicklungen ist. Eine kleine, um ihre Existenzberechtigung ringende Partei zwingt zugleich ganz Europa eine E-Fuel-Debatte auf und glaubt, ausgerechnet die deutsche Verbrenner-Technologie müsse als Antwort auf diese Veränderungen gerettet werden.
Falls Verbrenner eine größere Rolle spielen werden, dann sind es ganz andere Hersteller und Besitzer, die das erreichen. Wo dabei die Wertschöpfung statt findet, ob beim Produkt oder beim Treibstoff, ist offen. In den weiter entwickelten Volkswirtschaften werden hingegen die batterielektrischen Produkte gefragt sein. Das sind die heutigen Märkte unserer Industrie und wir werden dort schlicht brutal abgehängt. China hat auf alle diese Optionen und Szenarien Antworten vorgelegt – wir nur die falschen.
Wir müssen unsere eigene Dekarbonisierung beschleunigen und unsere Autoindustrie muss auf den für sie relevanten Märkten dringend den Rückstand aufholen. Jede andere Politik ist gegen solche Strategien wie die Chinas hoffnungslos unterlegen.
Noch besser wäre es natürlich, wenn Europa ebensolche Strategien entwickeln würde, denn nur gemeinsam besteht dafür die Kraft. Das ist aber auch nicht ersichtlich, die FDP beschädigt übrigens auch das gerade – und es würde übrigens zu sehr ähnlichen Entscheidungen führen.

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