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Energiepolitik muss langfristig und ganzheitlich bewertet werden

Energiepolitik ist ein langfristiges „Geschäft“ und daher sollte man mit kurzfristigen Bewertungen vorsichtig sein. Zudem haben die meisten Entscheidungen Effekte auf mehreren Ebenen und entsprechend kann man das kaum eindimensional bewerten. Daher ist die nun finalisierte Abschaltung der letzten Kernkraftwerke keine einfach zu bewertende Sache und sie ist aus meiner Sicht kein simpler Grund zum Feiern. Vielmehr ist dies der letzte Akt einer Energiepolitik, die ich insgesamt als Scherbenhaufen bewerte, dessen Beseitigung uns mindestens zwei Dekaden kosten wird – ein Schätzwert zudem, der sich beliebig verlängern kann, wenn wir nicht sehr rasch zu einer sachgerechteren Debatte finden und dadurch die Grundlagen schaffen, dass sich die Energiepolitik wirklich mal fundamental ändert.
Denn: An der Energiepolitik der letzten 15 Jahre war sehr wenig richtig, verstanden haben sie nur wenige, angemessen bewertet wird sie bis heute kaum und wie viel besser es seit dem Regierungswechsel läuft, muss sich auch erst noch erweisen. Dabei spielt, wie in der Vergangenheit, in unserem gesellschaftlich/politischen System natürlich die Qualität der öffentlichen Debatte und Wahrnehmung eine große Rolle. Diese „Qualität“ aber ist wohl eher sogar von einem niedrigen Niveau rückläufig, während das Thema wegen der eskalierenden Energiepreise aber leider an Aufmerksamkeit deutlich gewonnen hat. Hier liegt vermutlich der Schlüssel für wirkliche Besserung, denn es dürfte eines der Themen mit größter politischer Wirksamkeit geworden sein – und die Frage lautet, ob das zu besseren Lösungen oder zu populistischem Murks führt, den wir in dem Bereich schon genug gesehen haben.
Momentan spricht leider vieles für letzteres, zumal die nun erst bevorstehende Energiewende überwiegend durch eine extrem polarisierte und von „beiden“ Seiten oft wenig sachgerecht geführte Debatte begleitet wird. Das ist mehrdimensional gefährlich, denn der Missbrauch des Themas durch das parteipolitische Spektrum beginnt bereits und für das Gelingen einer modernen Energiepolitik kommt es zudem auch noch sowohl auf den Wähler, aber auch auf den Verbraucher an. Wir entscheiden also auf mehreren Ebenen über die Zukunft unserer Energieversorgung.
Wie gering das allgemeine Wissen in dem Bereich ist, erkennt man bereits an dem mangelnden Verständnis des Unterschieds zwischen Primär- und Endenergie sowie der daraus resultierenden Erkenntnis, wie wichtig die Elektrifizierung von Energiesystemen ist. Ebenso wird viel zu oft über die Stromerzeugung gestritten, die Gesamtenergie dabei aber übersehen. Wenn man sich in Chart1 letztere für 2021 und hier in Form der Endenergie ansieht, erkennt man, wozu die Energiepolitik der letzten 15 bis 20 Jahre geführt hat: Im Verkehr ist Öl der überragende Energieträger und insgesamt ist es leider ausgerechnet das Erdgas geworden. Zwar dürfte Öl wegen des hohen Verbrauchs im Verkehr insgesamt noch der quantitativ führende Energieträger sein, aber Erdgas folgt nur knapp dahinter und ist zudem wegen seiner überragenden Bedeutung in der Industrie sowie bei den Heizungen wohl als wichtigster Energieträger bis heute zu bezeichnen. Hinzu kommt hier der Erdgasanteil beim Strom, der in dieser Darstellung nicht gesondert ausgewiesen wird.
Man darf leider als ganz großen Konsens insbesondere von Union und SPD den Ausbau von Erdgas mit all den inzwischen so unheilvoll gescheiterten Russland-Deals zum wichtigsten Energieträger Deutschlands betrachten. Es wird viel zu selten erkannt und „gewürdigt“, dass dieses Ziel im Zentrum der uns bis heute prägenden Energiepolitik über ganze Dekaden stand – und vielleicht auch: Steht!!! Denn die dahinter liegenden politisch/ökonomischen Strukturen, die vielen Netzwerke, die entstanden sind, die Verflechtungen von globaler Industrie und Politik, die Einbettung in die Ostpolitik, die vielen Fragen von Interessen bis zur Korruption, das alles beginnt erst ans Licht zu kommen. Wie viel davon noch aktiv weiter betrieben wird, können wir vor einer weiteren Aufklärung bis zu den Verstrickungen noch aktiver Akteure in Wirtschaft und Politik gar nicht bewerten.
Das sage ich ausdrücklich auch im Zusammenhang mit Diskussionen um E-Fuels und H2-Nutzung, bei Verbrenner-Debatten und weiten Teilen der sogenannten „Wasserstoffwirtschaft“. Nur, um kurz mal auf den Unterschied zwischen Primär- und Endenergie einzugehen: Das Chart zeigt wie gesagt die Endenergie, also die Energie, die für die genannten Zwecke tatsächlich genutzt wird. Die dafür erforderliche Primärenergie ist insbesondere bei allen Systemketten mit Transformations- oder Verbrennungsprozessen um ganze Faktoren höher. Das gilt also insbesondere für die direkte Nutzung von Öl und Gas, beim Strom aber auch für konventionelle Kraftwerke. Wir reden hier von Systemen, bei denen zwischen 40% und bis zu 90% der Primärenergie wirkungslos verschwendet wird. Das ist übrigens Physik, insbesondere Thermodynamik und der Großteil dieser Verluste ist auch durch „technologieoffene Fortschritte“ oder besser gesagt solche Träumereien nicht signifikant verbesserbar.
Wie groß der Scherbenhaufen ist und wie schwierig es wird, ihn aufzuräumen, sollte anhand der Darstellung klar werden. Wir haben alles andere als eine Ablösung der fossilen Energieversorgung gesehen, wir stehen allenfalls am Anfang einer solchen oder hoffentlich wenigstens am Ende einer, die uns eine enorme fossile Abhängigkeit bis zu unseren Industrieanlagen und Endprodukten eingebrockt hat. Es wird Dekaden brauchen, das wieder aufzulösen. Dabei ist die Elektrifizierung ein Element, dessen Wirksamkeit unverzichtbar ist und ausgerechnet darüber wird gleich zu Beginn höchst dümmlich gestritten.
Wie sehr wir hier im Rückstand sind, kann man ahnen, wenn man sich in Chart 2 den Stromsektor ansieht. Die Menge des produzierten Stroms ist nämlich über Jahrzehnte nahezu unverändert. Das liegt zwar auch an immer sparsameren Technologien bei den Verbrauchern, aber leider ist die Quote des Stroms bei der Gesamtenergie sogar leicht gesunken, während sie ganz im Gegenteil eigentlich erheblich steigen musste – und nun umso schneller muss. Insofern ist dieses Bild bereits ohne Bewertung der Produktionssegmente zunächst ein Beleg für das zuvor gesagte, denn unabhängig von der Frage, wie die derzeit so heiß diskutierte „Energiewende“ und hier insbesondere der Ausstieg aus der Kernenergie im Stromsektor zu bewerten ist, liegt das Versagen bei der Gesamtenergie darin, dass der Stromsektor keine deutlich höhere Quote erreicht hat.
Daher sind auch alle derzeitigen Bewertungen alleine deshalb verkürzt, weil sie sich rückwärtsgewandt mit den Quoten der Energieträger für die bisherige Stromerzeugung beschäftigen. Die Aufgabe lautet aber, diese Energiemenge mindestens zu verdoppeln und damit so viele Nutzungsformen aus den anderen Sektoren zu substituieren, wie es technisch möglich ist und synthetische Kraftstoffe auf das zu reduzieren, was nicht anders geht. Das ist die eigentliche Dimension, vor der wir stehen und das fängt mit dem Drama um unsere geliebten Verbrenner und Gasheizungen nicht wirklich agil an. Leider ist bereits an diesen Debatten nicht ablesbar, dass die Dimension der Aufgabe erkannt wurde.
Was nun den Stromsektor betrifft, so erkennt man auch hier den „Fingerabdruck“ der gesamten Energiepolitik, denn sehr grob und verkürzt ausgedrückt, wurde hier Kernenergie gegen Erneuerbare getauscht, während der Ausstieg aus insbesondere der Kohle, aber auch zumindest der Rückbau von Gas vom Zubau der Erneuerbaren kaum profitierten. Das darf man auch an der Stelle als Absicht bezeichnen. Es wird viel über die dumme Energiepolitik der letzten Jahrzehnte gesprochen, aber das ist aus meiner Sicht nicht der richtige Begriff. Die war nicht dumm, sondern falsch. Die Ratio ist leicht erkennbar: Die Gaspolitik hat auch hier stattgefunden und die Sache mit der Kohle findet in einigen Unions- und SPD-Regionen – bis heute! – größte Zustimmung. Wenn man sich die Standorte der Kohlekraftwerke ansieht, kann man die mit Wählerhochburgen der beiden Parteien, die genau diese Politik verantwortet haben, leicht in Deckung bringen. Zudem war das ökonomisch lange Zeit der billigste Weg, denn bis heute ist die Kohle unter den fossilen Energieträgern zur Stromerzeugung die billigste Form und Gas war lange Zeit zumindest nicht erheblich teurer.
Da wurde also ein wenig Erneuerbar gemacht, die teure Kernenergie für politische Gewinne geopfert und die fossile Gesamtstrategie perpetuiert. Das ist weder eine ökologische, noch eine zukunftsfähige Politik, aber rational erklärbar ist sie sehr gut. Nun werden manche sagen, der Ausbau der Erneuerbaren sei doch auf zumindest zuletzt 50% beim Strom ganz ordentlich. Das ist aber eine verkürzte Sicht, denn in dem Zeitraum hat die Leistungsfähigkeit insbesondere von Wind- und PV-Technologie um Faktor 15 und mehr zugelegt. Da sind also nicht mal die technologischen Fortschritte genutzt worden – und wegen des Designs der Strommärkte sowie der steuerpolitischen Gestaltung, vom insbesondere privaten Sromverbraucher alles mögliche finanzieren zu lassen, sind diese Vorteile bei den Endpreisen auch nie angekommen.
Insofern ist der Stromsektor nie ausreichend ausgebaut worden, im Stromsektor selbst sind die Potenziale Erneuerbarer nicht genutzt worden und man hat den Ausstieg aus der Kernenergie dem aus insbesondere der Kohle vorgezogen. Das ist alles falsch und daher gibt es aus ökologischer Sicht auch keinen Grund, sich über die nun endgültig abgeschalteten Atomkraftwerke zu freuen. Der Kohleanteil steigt gerade übrigens wieder, siehe Chart 3, das geht gar nicht!! Diesen Scherbenhaufen aufzuräumen wird sehr lange dauern und es ist längst nicht alles so aufgestellt, wie es erforderlich ist. Auch deshalb sehe ich keinen Grund zur Freude und es ist auch verkürzt, zu glauben, die jetzige Regierung mache nun alles richtig.
Das ist mangels der Einigungs- und Durchsetzungsfähigkeit dieser Koalition ohnehin nicht zu erwarten. Die Kakophonie, von der Opposition fleißig begleitet, Themen wie E-Fuels, H2-Heizungen oder der ganze Unfug, der nun zur Kernenergie verbreitet wird, nur, um daraus nun erneut politisches Kapital schlagen zu können, das lenkt nur von den eigentlichen Themen ab. Wir werden im Stromsektor die Kohle nicht so schnell los, weil der Ausbau Erneuerbarer im Feld bisher kaum schneller läuft, als früher. Die ganzen Barrieren und Verhinderer im Feld, übrigens auch nicht wenige Grüne, sind nicht einfach weg, nur weil nun ein Ministerium im Bund eine Änderung der Politik haben möchte – während andere das eben nicht wollen. Wir haben im Stromsektor und in der Gesamtenergie zudem dieses elende Gasproblem und das werden wir auch nicht so schnell los. LNG und Fracking als Quellen sind ein ganz dunkler Fleck, die Rolle von Erdgas als Brückentechnologie bei der Energiewende ist eine unbeantwortete Achillesferse – auch bei den Plänen des Habeck-Ministeriums. Die Idee hoher Strompreise ist ein Denkfehler ersten Ranges, denn genau dadurch wird die Elektrifizierung massiv beschädigt. Das ist auch ein Fehler der grünen Energiepolitik, über den zu wenig gesprochen wird.
Rein sachlich, wenngleich von marginaler Bedeutung, wäre es daher sogar richtig gewesen, die sechs Atomkraftwerke weiter laufen zu lassen, um wenigstens ein paar Kohlemeiler schneller los zu werden. Die Gaskraftwerke kann man so nicht verdrängen, da wird Unfug erzählt, zu den angeblichen Importen genauso, dazu nur kurz zwei weitere Charts ohne Erläuterung. Die Preise kriegt man daher auch mit abgeschriebenen Kernkraftwerken nicht in den Griff, die Preise haben sehr wenig mit den Erzeugungskosten zu tun, was für ein kaputter Markt! Gerade bei den Erneuerbaren sind die inzwischen so niedrig, dass deren Betreiber Unsummen verdienen. Beim Verbraucher kommt davon nichts an. Mit der Eskalation der Gaspreise haben wir nun sogar die perverse Situation, dass Kohlekraftwerke zu Goldgruben werden, abgeschriebene AKWs auch und das gilt für ganz Europa, wir sollten nicht nur über Deutschland reden. Das ist eine gewaltige Fehlentwicklung, an die keiner richtig ran will, auch die Grünen nicht. Von den Interessenverbänden der Erneuerbaren bis zu den klassischen Versorgern und den Energiemultis finden alle dieses Marktdesign einfach nur prima. Brüssel und die Hauptstädte Europas wollen zwar die viel zu hohen Margen abschöpfen, aber an den Preisen ändert das nichts und leider finden die Finanzpolitiker das Marktdesign genau deshalb auch ganz toll – es wird wie die Mineralölsteuer zur Einnahmequelle, die verhindert, dass man an den eigentlich unerwünschten Ursachen der Einnahmen etwas ändern will.
Das sind die Themen und ich habe sie hier sogar nur angerissen. Zugleich werden global Erneuerbare weiter ausgebaut, Gestehungskosten von 1 Cent pro KWh inzwischen erreicht, eine weitere Halbierung wird erwartet. Parallel wird fleißig die Elektrifizierung voran getrieben, beim Verkehr, bei der Wärme, in den Industrien. Afrika, wo ich gerade war, denkt fortschrittlicher als Europa. In Asien und nicht nur in China sind viele dieser Themen längst erkannt. Selbst die fossil ver- und gewöhnten Amerikaner ändern ihr Verhalten. In Deutschland findet aber eine polarisierte Debatte statt, die auf der einen Seite fossile und Kernkraft-Fantasieren mit irgendwelchen Angstbildern vor moderner Energieerzeugung paart und schwachsinnige Blackout-Themen auf Hitlisten bringt. Auf der anderen Seite wird ein komplett verlogener Ausstieg aus einer musealen Dinosauriertechnologie gefeiert und übersehen, dass der für sich genommen nicht mal eine ökologisch überzeugende Wirkung hat, dass er aber vor allem so gut wie kein Lösungspotenzial für die eigentlichen Aufgaben bedeutet. Dieser Ausstieg war und ist vollkommen unstrittig richtig, die Geschwindigkeit, da muss schon der Konjunktiv stehen, wäre richtig gewesen, wenn das Gesamtkonzert gestimmt hätte. Aber mit diesem Ausstieg ist noch kein modernes Energiesystem entstanden. Das ist zu 80% noch veraltet und die Themen, die diskutiert werden, passen bei beiden Polen nicht zu den Aufgaben.
Wenn es ganz falsch läuft, wird in diesem tendenziell konservativ denkenden Land eben diese polarisierte Debatte zu einem politischen Wechsel führen, der, wenn man deren Protagonisten bewertet, bisher nur so etwas wie eine energiepolitische Komplettverwirrtheit dokumentiert. Bei manchem dahinter mag vielleicht tatsächlich der Gedanke vorherrschen, eine Fortsetzung mit fossilen Energieträgern, die es schon irgendwo und irgendwie weiter geben wird, sei der bessere Weg. Das ist leider meine große Befürchtung, weshalb ich nicht davon überzeugt bin, dass diese falsche Energiepolitik wirklich zu Ende ist. An der Stelle traue ich außer den Grünen keiner einzigen Partei über den Weg. Daher sollte auch der politische Schaden, den die „Feiern“ über die letzten AKWs erzeugen, nicht übersehen werden.
Wir brauchen Lösungen, ein Ausstieg aus irgendwas ist keine. Die Lösungen sind nicht schlüssig vorgelegt, das sollte niemand leugnen, sonst wird die Lösung das sein, was bisher gemacht wurde.

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