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Wissenschaftler sind nicht immer Experten und sie äußern sich oft nicht mal wissenschaftlich

Eine große Gefahr selbst für sehr gute Wissenschaftler besteht darin, sich als Experte in Bereichen zu positionieren, in denen sie keine besondere Expertise haben. Das passiert insbesondere in Krisensituationen sehr oft, weil dann Medien gerne Bühne bieten und viele der Verlockung wohl nicht widerstehen können – oder ihnen gar weitere Interessen auf die Füße fallen. Wir haben das bei der sogenannten Dotcom-, der Finanz-, der Corona- und nun der Energiekrise ausführlich gesehen.
Warum die Medien ihrer Kuratierungsaufgabe nicht nachkommen und wenigstens recherchieren, ob die von ihnen als Experten vorgestellten wenigstens in der Wissenschaft zum fraglichen Thema mal relevantes veröffentlicht haben – mit Google Scholar in minimaler Zeit übrigens schon lange kein Hexenwerk mehr -, liegt leider an deren verändertem Geschäftsumfeld: Eine Sendung ohne „Experte“ ist ganz schlecht, ein Experte, der kompliziertes Zeug erzählt, ist noch schlechter, ein „Experte“ aber, der bunte Knete erzählt, geht immer.
Exemplarisch, weil besondere Bedeutung, hier mal Veronika Grimm, die sich mehr als unglücklich zu Energie-Themen äußert und dabei überwiegend zeigt, dass sie weder Ahnung davon hat, leider aber auch kaum etwas dagegen unternimmt. Wenn sie in diesem für sie typischen Twitter-Post einfach die Gesamtsystemfrage stellen würde, wäre das bereits irritierend, denn ihr Selbstverständnis sollte sein, solche Fragen zu beantworten.
Diese hier wäre nebenbei bemerkt übrigens leicht zu beantworten, weil sie in mehreren gut verfügbaren Quellen längst behandelt wurde: Erstens ist die Spitzenlastnutzung und damit zukünftig die indirekte Wasserstoffnutzung in Systemketten mit Wärmepumpen, die in vielen Fällen eine eigene Batteriepufferung, eine eigene Versorgung oder einen eigenen „intelligenten“ Tarif haben, ausgesprochen selten und zweitens ist auch dann die Systemkette über die Verstromung immer noch effizienter als die Verbrennung von H2 beim Endverbraucher. Warum das so ist, legt übrigens diese angeblich verkürzte Darstellung bereits nah. Grimm beweist hier leider erneut, dass sie so grundlegende Konzepte wie Grund-, Mittel- und Spitzenlast im Stromsystem nicht wirklich erfasst hat.
Aber sie stellt diese Frage bereits ganz anders, nein sie stellt gar keine Frage, sie trifft gleich mehrere Aussagen – und davon ist keine einzige korrekt. Leider sind ihre öffentlichen Aussagen zu vielen Themen, namentlich den Kernkraftwerken ganz überwiegend von derselben „Qualität“.
Sehr bedauerlich und daher darf man doch mal tiefer graben. Frau Prof. Grimm hat nämlich eine Ausbildung in ganz anderen Bereichen, sie hat Volkswirtschaftslehre und Soziologie studiert, ihre maßgeblichen wissenschaftlichen Arbeiten stammen aus der Spieltheorie und befassen sich mit Preisbildungsprozessen beispielsweise in Mobilfunkmärkten. Hier hat sie wissenschaftliche Relevanz erreicht, ihre Forschung in dem Bereich hat Bedeutung.
Seit 2020 hat sie aber gemäß ihrem wissenschaftlichen Profil wenig nachvollziehbare Berufungen in eher politische Gremien erhalten, die alle mit Energiefragen zu tun haben: Sie gehört dem Nationalen Wasserstoffrat der Bundesregierung an, sitzt in der Expertenkommission zum Monitoringprozess „Energie der Zukunft“ am BMWK, im Sachverständigenrat für Verbraucherfragen des BMUV sowie im Energy Steering Panel des European Academies‘ Science Advisory Council (EASAC). Sie ist Vorstand des Zentrums Wasserstoff.Bayern (H2.B) und inzwischen bekanntlich Vorsitzende der sogenannten „Wirtschaftsweisen“, was man als öffentlich prominenteste ökonomische Position überhaupt bezeichnen darf.
Tatsächliche wissenschaftliche Arbeiten in diesem Umfeld liegen jedoch kaum vor. Es gibt eine eher unwichtige Studie aus 2015, die den – aus meiner Sicht gescheiterten – Versuch erkennen lässt, ihre spiel- und markttheoretischen Grundlagen auf den Strommarkt zu übertragen. Die einzige neuere Studie aus ihrem Lehrstuhl, bei der sie jedoch nur als Co-Autorin geführt wird und die bisher nicht mal Google-Scholar erreicht hat, datiert auf den Herbst 2022 und daraus zitiert sie bis heute. Darin wird ein Preiseffekt der Kernkraftwerke auf den Strompreis prognostiziert und sie ist mit dem Argument für eine Laufzeitverlängerung eingetreten. Interessant ist, dass die dort aufgestellten Prognosen inzwischen durch Realdaten alle widerlegt sind, was Frau Prof. Grimm aber nicht davon abhält, bis heute – teilweise unter Zitierung eben dieser Studie – einen Preiseffekt der Kernkraft im Strommarkt zu behaupten. Das ist nur eine von mehreren unwissenschaftlichen Erzählungen, solche Postings wie das beigefügte tauchen immer wieder auf und sie macht das auch in den Medien so.
Dabei wird sie in der Wissenschaft und nicht selten übrigens auch direkt auf ihrem Twitter-Profil aus meiner Sicht vollkommen zurecht darauf hingewiesen, dass man bei Energiemärkten generell und ganz besonders im Stromsektor ohne Berücksichtigung von Ingenieurwissenschaften nicht sachgerecht argumentieren kann. Aber viele Ökonomen neigen ab einer gewissen Erfolgs- oder Reputationsstufe leider dazu, mit rein ökonomischer Methodik alles mögliche erklären zu wollen.
Ich habe das Glück, mit einem unbedeutenden Lehrauftrag in der Ökonomie und diversen Aufsichtsratsmandaten in der Praxis sehr breit aktiv zu sein. Namentlich beim Strommarkt arbeite ich mit Experten zusammen, die mit komplexen Simulationen Einsatzplanungen in der Energieerzeugung und Prognosen der Strompreisentwicklung machen. Beides ist nämlich maßgeblich für die Entscheidungen, wie Stromerzeugungssysteme eingesetzt werden, wie Netze gesteuert werden und wie der Strom letztlich produziert und vermarktet wird, welche Mengen zu welchen Konditionen also u.A. an der Börse in die preisbildenden Auktionen gehen – bis zu Ex- und Importplanungen. Optimistisch schätze ich, dass ich ein Fünftel bis ein Drittel davon so etwas wie „verstanden“ habe und bemühe mich daher sehr, den überwiegenden „Rest“ denen zu überlassen, die sich damit wirklich auskennen.
Dazu gehören die Netzbetreiber, die im Frühjahr 2022 und dann als Update im Herbst eine Studie zu den Kernkraftwerken vorgelegt hatten und dort zu klaren Ergebnissen kamen: Kein Preiseffekt, mehr Bedarf an Kohlekraftwerken, kein Blackout-Szenario, kritische Situation allenfalls in und für Frankreich. Ich selbst würde mich niemals in der Lage sehen, eine bessere Studie als diese vorzulegen, aber ich bin sehr wohl in der Lage, mich zu denen zu äußern, die das versucht haben: Das ist methodisch unterkomplexer Unfug!
Für die Wirkung von Wissenschaft in unserer Öffentlichkeit und als Einflussfaktor für unsere Politik bleibt die traurige Feststellung, dass dort oft zwar gewiss sehr kluge Leute, aber keine Experten wirken. Dafür gibt es gewiss viele Gründe, die sich im politisch/medialen Bereich finden.
Aber es gibt einen, den ich hier klar äußern möchte: Wissenschaftler neigen leider bei bestimmten Anreizen dazu, die wissenschaftliche Kernaufgabe, zwischen Wissen und nicht Wissen zu unterscheiden, aufzugeben. Oder klarer ausgedrückt: Ein Wissenschaftler, der sich zu Themen äußert, die er nicht mit wissenschaftlicher Methodik im Diskurs bzw. Peer-Review abgesichert hat, bewegt sich an dieser Stelle außerhalb der Wissenschaft und hat damit nicht mal grundsätzliche, noch gar konkrete Expertise.

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