Ich schätze Clemens Fuest sehr. Er hat sich vor allem zum Euro-System und der EU sehr wohltuend von seinem Vorgänger Sinn abgehoben und hier immer wieder wertvolle Beiträge gebracht. Auch in Fragen der Geld- und Haushaltspolitik ist er viel ausgewogener als sein dogmatischer Vorgänger. Was ich nicht nachvollziehen kann, ist die fehlende Distanzierung von Sinn, der inzwischen sogar in sehr dubiosen YouTube-Kanälen mehr als strittige Agenda betreibt, mit der er leider immer noch große Wirkung erzielt.
Was Fuest mit seinem Vorgänger teilt, ist eine in dem Maße eigentlich vermeidbare Ahnungslosigkeit von Energietechnologien und Energiemärkten. Das hat Fuest selbst übrigens mehr oder weniger deutlich mehrfach geäußert: Er sei „kein Experte im Energiebereich“. Das sagt er leider oft als Grußwort, wenn er beim Ifo an Sinn als Redner übergibt, was die Sache nicht besser macht.
Warum Fuest sich trotzdem immer wieder dazu hinreißen lässt, zu Energiemärkten oder Energiepolitik Kommentare abzugeben, ist mir unklar. Er bleibt damit stets weit unter seinen eigenen Ansprüchen, die er bei seinen Kompetenzfeldern immer einhält.
Sein Kommentar im Handelsblatt, leider inzwischen hinter der Paywall, ist ein wirklich peinlich zu nennender Höhepunkt. Hier rechnet er einen nonlinearen Transformationsprozess mit einem simplen Dreisatz, um daraus den Schluss zu ziehen, das Energieeffizienzgesetz koste Wachstum. Er beziffert das mit dieser „Holzrechnung“ sogar quantitativ. Ferner erkennt man im Text, dass er bei der Unterscheidung von Primär- und Endenergie zumindest „unsicher“ ist. Das sind teilweise Anfängerfehler, was in so einem Medium weder ihm, noch der Redaktion passieren sollte.
Seine Fehler beruhen auf der bei Ökonomen leider oft erkennbaren Weigerung, für die Erklärung von Märkten oder ökonomischen Zusammenhängen auch mal konkrete Kausalitäten zu prüfen. Statt dessen wird gerne mit Empirik und oft unterkomplexer Statistik irgendwas „gerechnet“, was nicht mal eine mathematisch nachgewiesene Korrelation, geschweige denn eine reale Kausalität darstellt. Hier übersieht Fuest beispielsweise, dass alleine durch die Elektrifizierung in den Bereichen Mobilität und Wärme keine linearen, sondern sprunghafte Effektivitätssteigerungen möglich sind, was insbesondere die geplanten Einsparungen bei der Primärenergie sogar leicht erreichbar werden lässt und mit dem Wachstum per se wenig zu tun hat – mit der Situation der deutschen Industrie schon mehr. Viel kritischer sind hingegen die Einsparungen bei der Endenergie, die es bisher auch gegeben hat, deren Beschleunigung aber nicht trivial ist. An der Stelle gelingen ihm sogar wichtige Gedanken, aber da er diese Begriffe nicht an jeder Stelle seines Texts treffsicher verwendet, bleiben die letztlich hängen und gehen bei seiner Behauptung, er habe da ein Wachstumshemmnis nachgewiesen, leider unter.
Faszinierend, wie verliebt manche Ökonomen in solche methodisch schnell in den Wald führenden „Berechnungen“ sind. So haben das Ifo und auch die Uni Nürnberg, Prof. Grimm, im Herbst zwei methodisch sehr ähnliche „Studien“ zur Preiswirkung der verbliebenen Kernkraftwerke vorgelegt. Mit einem simplen Marktmodell über die Preisbildung entlang einer Angebotskurve wurde letztlich sogar behauptet, dass alleine der Weiterbetrieb von bereits im Angebot befindlichen Kraftwerken den Preis senken solle. Diese Absurdität hatten die Autoren wohl selbst nicht bemerkt. Öffentlich behauptet wurde, der Preis werde steigen, wenn die Kraftwerke ausscheiden sollten. In den Studien stand tatsächlich explizit etwas anderes: Der Preis solle sinken, wenn sie einfach weiter laufen.
Lächerlich – und teilweise berufen sich noch heute sowohl Grimm selbst, als auch Fuest auf diese Aussagen, obwohl die schon im Herbst nicht der Realität entsprachen und die daraus sogar falsch abgeleiteten Aussagen später ebenfalls widerlegt wurden. Technische Dinge wie Spitzenlastproduktion und Preisbildung durch Merit-Order, die Dominanz des Gaspreises auf den Strompreis – keinerlei Themen in diesen „Studien“.
Diese Paper sind übrigens nie in wissenschaftlichen Kanälen erschienen, weshalb es dazu keinen Diskurs mit den passenden Antworten gab. Das ist sehr bedauerlich, denn so kann das in den Medien weiter als wissenschaftliche Aussage behauptet werden. Auch ein Problem der Medien, denn ein Paper auf einem geduldigen Server einer Uni ist damit noch kein wissenschaftliches Dokument.
Diese „Berechnung“ aus dem Handelsblatt wird Fuest auch nicht in der Wissenschaft veröffentlichen. Was er wissenschaftlich bisher publiziert hat, ist von großer Qualität. Er sollte sich daran halten, dann wären seine Beiträge auch in Politik und Medien sehr wertvoll. Zur momentan auf EU-Ebene diskutierten neuen „Schuldenregelung“ hat er sich bisher nicht geäußert. Das würde ich sehr gerne von ihm lesen.