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Ein Streit mehr: Jetzt der Industriestrompreis

Viele Industriekunden haben typischerweise Stromlieferverträge abgeschlossen, die an den Spotmarktpreis oder ähnliche Börsenpreise gekoppelt sind. Seit der Eskalation der Energiepreise haben diese Unternehmen in der Spitze eine Verzehnfachung ihrer Stromkosten gesehen, wer dauerhaft mit einer Verdopplung davon kommt, gehört zu den „Gewinnern“, Faktor drei bis fünf gilt als „normal“. Entsprechend kamen aus der Industrie die Forderungen nach einer schnellen (!) Lösung.
Der stets an allem schuldige Habeck hat dazu ein Konzept entwickelt, das ich vor einigen Wochen vorliegen hatte. Die Idee: Unternehmen sollen direkte Lieferverträge mit Produzenten machen können, die staatlich hinterlegt werden. Einerseits garantiert der Staat demnach den Produzenten für den Ausfall des Unternehmens einen Mindestpreis. Andererseits schöpft der Staat aber den Übergewinn ab, wenn der Erlös des Produzenten zu hoch ausfällt. Das ist quasi eine EEG-ähnliche Regelung speziell für ein Lieferverhältnis zwischen Industriekunden und Stromproduzenten. Ziel ist es, den Unternehmen den billigsten Erneuerbaren Strom zu erschließen, dabei aber die Produzenten mit Garantien zu stützen, damit die solche Verträge auch refinanzieren können. Die Banken würden das sonst nicht akzeptieren. Im Unterschied zum EEG sollen hier aber Erträge nach oben abgeschöpft werden, dann würde der Staat kassieren.
Ich habe schon schlechtere Entwürfe gesehen und halte das von der Idee her innerhalb des existierenden Systems für eine diskussionswürdige Notmaßnahme, die sogar gute Aussichten hätte, dass der Staat letztlich finanziell gar nichts zu leisten hat. Was ich daran vor allem skeptisch bewerte, ist gar nicht das Konzept selbst, sondern die Frage, ob sich am Markt genug Interessierte auf der Seite der Betreiber von Windparks finden, die das nutzen möchten. Immerhin wäre damit ein Rahmen geschaffen, wie Anbieter und Abnehmer zusammen arbeiten können, wenn sie sich denn finden.
Ich hatte oft erläutert, dass ich eine umfassende Reform des Strommarkts nebst der Strombörsen für notwendig halte, zumal das Thema in dieser Größenordnung in die Gesamtwirtschaft inklusive der Privathaushalte sickern wird, wenn keine umfassenden Lösungen gefunden werden. Aber eine echte Reform wird wohl gar nicht kommen, schnell wäre das ohnehin nicht möglich. Daher halte ich diesen Entwurf im Sinne einer Notmaßnahme insgesamt für die bisher beste Idee, was nicht viel sagt, denn es ist die einzige, was wiederum viel sagt.
Wie damit nun umgegangen wird, macht mich angesichts einer nicht endenden Kampagne über Deindustrialisierungsgefahren und die in der Tat alles andere als kleine Belastung vieler Unternehmen erneut sprachlos. Das fängt bei den Medien an, denn ich habe an keiner Stelle einen Bericht gelesen, der das Konzept von Habeck auch nur beschrieben hätte. Die meisten in der Öffentlichkeit dürften also keinerlei Ahnung haben, was beabsichtigt ist und worüber sie sich mal wieder trefflich aufregen.
Verhindert aber keine breite öffentliche Debatte dazu. Ob die diversen Politiker, die sich dazu nun äußern, das gelesen haben, weiß ich natürlich nicht. Was sie von sich geben, ist jedenfalls teilweise ein Abgesang an Lügen und Unkenntnis. Von der Union kommt wieder die Falschbehauptung, die Atomkraftwerke könnten den Preis senken, was nicht nur gelogen, sondern inzwischen natürlich operativ unmöglich ist. Von der FDP kommen vollkommen „überraschend“ Hinweise, der Staat solle keine weiteren Subventionen erfinden, sondern die Steuern senken. Dass es hier sogar um eine Reduzierung von Subventionen durch Herausnahme aus dem EEG, konstruktiv primär um Garantien und sogar eine Abschöpfung von Vorteilen beim Stromproduzenten geht, wird also komplett falsch bewertet und wie Steuersenkungen diese Mehrkosten um ganze Faktoren kompensieren sollen, mögen die den betroffenen Unternehmen mal erklären. An der Ursache, nämlich den hohen Preisen, ändert das alles genau gar nichts.
Keineswegs besser sind Hinweise, man müsse „das Angebot“ erhöhen, sei es durch Ausbau Erneuerbarer oder wie auch immer. Kommt teilweise aus Kreisen der Grünen. Wer das sagt, ignoriert die Tatsache, dass wir in dem „Markt“ bereits sehr lange ein wachsendes Angebot zu sinkenden Gestehungskosten bei zugleich trotzdem steigenden Endpreisen haben. Weshalb es nun – insbesondere kurzfristig – besser werden soll, wenn man einfach das fortsetzt, was bisher schon nicht funktioniert hat, wird an der Stelle leider nicht erläutert. Dieses Ausbauargument, das wahlweise mit Erneuerbaren oder mit Kernkraft hinterlegt wird, zeigt eher, dass die Probleme in der Marktsystematik nicht erkannt sind oder eine Änderung gar nicht gewollt ist, was für bestimmte Interessen ganz gewiss gilt.
Interessant ist, dass gerade die Parteien, die sich eigentlich rühmen, die Interessen der Unternehmen wahrzunehmen, mit nicht mehr verfügbaren Kernkraftwerken oder lösungsfernen Grundsatzstatements über Subventionen sowie Steuersystematik ihre besonders nachhaltigen „Lösungsbemühungen“ darlegen. In vielen Debatten wird das trotzdem genau so weiter getragen und der übliche Sprech von der linksgrünen Deindustrialisierung dazu gefügt. Ein Gegenvorschlag, wie man das besser machen könnte, Hinweise auf Atomkraftwerke und Steuersenkungen werte ich als solche mal nicht, ist nicht bekannt.
Das ist eine so abgründig destruktive Politik sowohl von Teilen der Regierung als auch der Opposition, wie man sie in Krisenzeiten eigentlich früher nicht erleben musste. Da galt es, dass gerade in Krisen primitive Angriffe auf die Regierung ein Tabu und kooperative Zusammenarbeit oder allenfalls höchst konstruktive Kritik Pflicht sind. Lag natürlich auch daran, dass die Öffentlichkeit so ein Verhalten früher sofort bestraft hätte.
Das ist leider inzwischen anders. Es wird geradezu gefeiert, dass man Habeck hier wieder irgendeine ganz besonders dumme Idee unterstellen kann, während zugleich niemand ernsthaft Alternativen einfordert und die ganz große Mehrheit der Kommentierenden recht sicher gar nicht weiß, worum es hier konkret überhaupt geht.
Da ich mit vielen Unternehmen zu tun habe, weiß ich um deren wachsende Einsamkeit. Dabei ist mir noch nicht ganz klar, was die schlimmer trifft: Die Frage, ob ausgerechnet ein grüner Wirtschaftsminister hier helfen kann/wird oder die schamlose Art und Weise, wie die bisherigen wirtschaftsorientierten Parteien deren Interessen – sorry – schlicht verarschen.

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