Wenn man als überzeugter Europäer weltweite Quellen regelmäßig recherchiert, wird man in den letzten Jahren zunehmend zu einer Erweiterung der Recherche ermuntert: Der nach Antidepressiva.
Das jüngste Kaleidoskop liest sich ungefähr so: Während wir in China einen Fünfjahresplan nach dem anderen aufgehen sehen und dort nicht nur der eigene Markt immer mehr von den ganz gezielt aufgebauten eigenen Industrien erobert wird, erscheinen diese auch auf immer mehr Exportmärkten in der ganzen Welt. Von den strategisch aufgebauten Schlüsselindustrien wie Solar, Batterien, E-Mobilität etc. über die Erschließung von Rohstoffvorkommen in aller Welt bis zum Einkauf in Logistik („Neue Seidenstraße“) funktioniert das hervorragend und keineswegs „überraschend“, denn diese Programme sind alle offen verkündet und erkennbar exekutiert worden. Die Antwort der Amerikaner ist umfassend. Von Blockademaßnahmen der chinesischen Handelspolitik bis zur ebenfalls strukturierten und gezielten Entwicklung eigener Schlüsselindustrien werden strategisch abgestimmt zwischen Politik und Wirtschaft Billionen an Investitionen mobilisiert. Paul Krugman beschreibt die bereits erkennbare Wirkung in der NYT. Täglich kommen im WSJ konkrete Berichte über Investitionen in innovative neue Technologien, teilweise mit Beträgen, die bei einzelnen Unternehmen das übersteigen, was bei uns ganze Staaten auflegen.
In Europa findet zeitgleich ein sowohl intellektuell als auch finanziell gänzlich anämischer Wettbewerb um den noch unwesentlicheren Beitrag statt. Ein fast schon furchterregender Investitionsrückstau in der Breite, der ausgerechnet bei Zukunftsthemen wie Digitalisierung, Bürokratie, Bildung und Fachkräfte nochmals ausgeprägter ist. Dieser Rückstau trifft auf eine Debatte, in der wahlweise mehr Geld für Konsumausgaben oder weniger Geld für alles diskutiert werden. Die einen entwickeln keine kräftige Vision zukunftsfähiger Sozialstaaten, die anderen reden von soliden Haushalten und Schuldengrenzen, die sie in Ämtern einmal platziert natürlich gar nicht einhalten können, weil es nicht geht. So wachsen nur Schattenhaushalte und jede Menge Abgabensysteme neben der eigentlichen Haushaltsführung, über die schlicht immer besser gelogen werden kann. Sie alle eint leider nur, dass sie bereits keine intellektuelle Kraft haben, strukturierte oder gar strategische Ideen zu entwickeln.
Es ist eine Debatte veralteter Gießkannenkonzepte, in einer Zeit, in der es weder funktionierende Gießkannen, noch genug Ressourcen für deren Befüllung gibt. So sollen entweder irgendwelche Etats in Sozialhaushalten aufgestockt werden, deren Verteilung immer ineffizienter und teurer wird. Oder es werden Erleichterungen wie Steuersenkungen oder Subventionen ausgesprochen, die stets allen zukommen, entweder allen Bürgern, allen Unternehmen, allen Branchen. Keinerlei Struktur ersichtlich, keine Lenkungswirkung zu erwarten. Mit allen möglichen breiten Instrumenten wird wahlweise Geld irgendwoher beschafft und irgendwohin umverteilt, dabei wird zeitgleich vom Sparen und besseren Haushalten gesprochen, um dann doch wieder diesen wirren Geldfluss irgendwie zu erhöhen. Dabei nehmen die gegenläufigen Effekte dramatisch zu. Zinsmaßnahmen lassen den Wohnungsbau einbrechen und dann soll dort wieder mehr Geld reingesteckt werden, Preise werden hoch getrieben und wenn das dann unerträglich wird, durch Subventionen wieder reduziert. Haushalte werden rasiert, mit Kürzungen stellt man sich vor Kameras und tatsächlich kommen täglich irgendwelche Instrumente, um staatliche Einnahmen zu erhöhen.
Irrsinn!
Der Gipfel dieser Anämie ist die Frechheit der Ampel-Regierung, ein Gesetz „Wachstumschancengesetz“ zu nennen, mit einem Betrag von ein paar Briefmarken zu budgetieren und damit allgemeine Steuersenkungen für Unternehmen zu finanzieren. Das eigentliche Versagen dieser Regierung besteht darin, so etwas in der aktuellen Situation überhaupt auf den Tisch zu legen. Thematisiert aber niemand, statt dessen arbeitet man sich daran ab, dass es sogar zunächst mal gescheitert ist, weil eine Ministerin ihre Zusage mit Gegenforderungen verknüpft. Selbstverständlich zeigt dieser Streit, wie dysfunktional dieses Kabinett arbeitet und dass es sich damit auch noch in die Öffentlichkeit bewegt. Aber dieser überflüssige Sturm im Bodensatz eines sinnfreien Wassergläschens neben dem Ozean des Weltgeschehens erregt unsere Medien und offensichtlich viele Menschen unter uns deutlich mehr, als die bodenlose Frechheit, so einen kraftlosen kleinteiligen Murks überhaupt erst vorzulegen!
Nun könnte man natürlich hoffen, dass dieses Drama endlich ist, denn kraft- und ideenlose Regierungen kann man auch wieder los werden. Diese Regierung aber erbt nur, was eine ebenso zu bewertende über Jahrzehnte gezüchtet hat. Das aus den früheren Reihen stammende politische Angebot redet leider denselben unstrukturierten Murks und hat an konstruktiven Vorschlägen nur zu bieten, man müsse mehr über Kernkraft nachdenken, dürfe die Rolle von Kraftstoffen nicht zu schnell reduzieren, die EZB solle weiter die Zinsen erhöhen und der Haushalt müsse unbedingt stabil bleiben.
Die meisten Menschen scheinen zu merken, dass dieses Gesamtangebot politischer Führung inakzeptabel ist. Ein wachsender Teil wendet sich daher an das Angebot, Nationalismus und Rassismus wieder als emotional/intellektuellen Kern unserer „Führung“ anzustreben.
Vollendeter Irrsinn!