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Ein Bericht des Rechnungshofs erzeugt unverdienten Lärm

Der Bundesrechnungshof legt mit Datum 7. März 2024 einen „Bericht zur Umsetzung der Energiewende im Hinblick auf die Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Umweltverträglichkeit der Stromversorgung“ vor. Dieser Bericht hat zwei Dimensionen: Seine fachlichen Inhalte und seine kommunikative Begleitung.

Zum fachlichen Inhalt:

Die wesentliche Substanz des Berichts kann aus der Zusammenfassung zitiert werden: „Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) steuert die Energiewende im Hinblick auf die gesetzlichen Ziele einer sicheren und preisgünstigen Versorgung mit Elektrizität weiterhin unzureichend. Es muss sein Monitoring zur Versorgungssicherheit vervollständigen und dringend Szenarien untersuchen, die aktuelle Entwicklungen und bestehende Risiken zuverlässig abbilden. Außerdem hat es immer noch nicht festgelegt, was es unter einer preisgünstigen und effizienten Versorgung mit Elektrizität versteht. Angesichts der Entwicklung der Strompreise empfiehlt der Bundesrechnungshof eine grundlegende Reform der staatlich geregelten Energiepreis-Bestandteile.“

Dieses Zitat stammt jedoch aus dem Bericht des Rechnungshofs vom März 2021 und gilt dem damaligen Kabinett Merkel sowie spezifisch dem Ressort Altmaier. Der 2024er Bericht wiederholt – in der Substanz! – dieselben Bewertungen, behauptet jedoch, die Lage habe sich gegenüber 2021 verschlechtert. Einen Beleg für diese Einschätzung liefert der Bericht nicht. Es gibt nicht mal den Versuch, die Lage von 2021 mit der von 2024 zu vergleichen – und dazwischen liegt immerhin die Energiepreiskrise am Gasmarkt in Folge eines anhaltenden Kriegs in Europa. Da dürfen die Autoren sich schon fragen lassen, ob die Analyse methodisch vielleicht ein paar Kleinigkeiten übersieht.

Die wesentliche Begründung dieser Bewertung aus 2021 bezieht sich auf den eklatant unter Plan laufenden Ausbau der Infrastrukturen im Bereich der Netze sowie bei den Erneuerbaren. Diese Feststellung ist unstrittig richtig, aber eines Sonderberichts unwürdig, denn das ist schlicht allseits bekannt und wenn man das als ausgesprochen wichtige Bundesbehörde trotzdem anspricht, sollte man sich der tieferen Ursachen dieser Fehlentwicklung annehmen, also einen Mehrwert zum unstrittigen Informationsstand liefern.

Neben dem unter Plan bleibenden Ausbau kritisieren sowohl der 21er als auch der 24er Bericht die Strompreisbildung sowie die daraus resultierenden Endpreise. Interessant ist hier zunächst die Feststellung, dass dies vor allem private Haushalte betrifft und eben nicht die Industrie, deren Preisniveau im 24er Bericht mit ca. 5% oberhalb des EU-Durchschnitts beziffert wird, bei Haushalten werden knapp 43% genannt.

Die Kernkompetenz des Rechnungshofs bei der Bewertung von Haushalten und Kostenstrukturen kommt an der Stelle leider überhaupt nicht zum Ausdruck, was man enttäuschend nennen darf. Weder wird die Abhängigkeit vom Gaspreis durch Merit-Order, die insbesondere in den Jahren zwischen diesen beiden Berichten so eklatant teuer wurde, überhaupt nur thematisiert, noch werden die kritisierten staatlichen Steuern und Entgelte genauer betrachtet. Es wird hier zwar wiederholt moniert, diese seien zu hoch und eine Reform sei zu empfehlen, aber geliefert wird dazu rein gar nichts. Das ist des Rechnungshofs unwürdig, denn gerade hier hat er einen wichtigen Punkt angesprochen, jedoch gänzlich ohne zu liefern. Sowohl das Markt-Design als auch die seit Jahrzehnten den Strompreis massiv belastenden weiteren Komponenten sind dringend zu prüfen, aber das schlicht – sogar ohne substanzielle Begründung, nur mit der gefühlten Behauptung, das sei irgendwie zu teuer – zu fordern, ohne auch nur einen weiteren Gedanken dazu zu liefern, ist inakzeptabel.

Das ist umso bedauerlicher, als hier sogar Widersprüche im Bericht auftreten, die zeigen, dass die Autoren wohl mit dem Thema weitgehend überfordert sind. So wird sowohl der unzureichende Netzausbau moniert, als auch vollkommen undifferenziert über die „Kosten“ dafür räsoniert. Wenn man den Bericht wörtlich nimmt, fordert der Rechnungshof von der Bundesregierung, gefälligst die notwendige Infrastruktur sicher zu stellen – was, auch da wäre etwas Nachhilfe erforderlich nebenbei bemerkt nur in sehr geringem Maße Aufgabe der Bundesregierung ist, von der man hier Maßnahmen verlangt, die sie im Rahmen der föderalen Ordnung sogar gar nicht durchführen darf. Zugleich moniert der Bericht, das dürfe aber bitte nichts „kosten“.

Auch das ist fachlich ausgesprochen enttäuschend, denn hier wären gerade vom Rechnungshof wenigstens die Grundlagen einer Investitionsrechnung zu erwarten, die – das wird nämlich vollkommen zurecht kritisiert – in der Tat zu vermissen ist. Dabei besteht auch ein enger Zusammenhang zu den kritisierten Entgelten und auch den Marktstrukturen, da diese Investitionen über die Netzentgelte sehr kurzfristig und zudem asymmetrisch zwischen Haushalten sowie Industrie auf die Strompreise umgelegt werden. Es wäre daher dringend geboten, sowohl die Höhe dieser Investitionen und deren Festlegung („Verhandlung“ zwischen Netzagentur und Netzbetreibern) sowie die spätere Verteilung von Nutzen und Lasten zu untersuchen.

Tatsächlich liefert ausgerechnet der Rechnungshof dazu nichts, rein gar nichts. Dass diese Investitionen einen Nutzen haben, wird sogar komplett übersehen, geschweige denn bewertet, wie dieser verteilt wird. Dabei ist es in der Tat so, dass die Verbraucher in fraglich kurzer Frist hier die Errichtung einer Infrastruktur bezahlen, die danach den Netzbetreibern gehört. Das kann man so machen, wenn sichergestellt ist, dass den Verbrauchern danach der Nutzen dieser Infrastruktur zur Verfügung steht – was ggf. sogar zu negativen Netzentgelten zu führen hätte. Nichts dergleichen ist aber geregelt, der Bericht spricht es nicht an, er redet im Gegenteil verbal immer wieder durcheinander von „Investitionen“, „Investitionskosten“ oder „Kosten“. Das würde ich keinem Erstsemester zu durchgehen lassen, das ist fachlich unterirdisch und ein Vollversagen des Rechnungshofs in einer Frage, wo er in der Tat gefragt wäre!

Damit ist leider festzustellen, dass insbesondere der 24er Bericht, der diesbezüglich noch schwächer als der 21er ist, bei einigen Kernkompetenzen des Rechnungshofs fachlich versagt. Darüber hinaus befasst sich insbesondere der 24er Bericht fachlich über viele Seiten mit sehr vielen weiteren Punkten, die mit der Kompetenz und übrigens dem Mandat des Rechnungshofs nichts zu tun haben. Dazu ist leider ein noch klareres Urteil zu fällen: Was hier von Strompreisbildung, Stromimporten, Gestehungskosten, Infrastrukturmaßnahmen bis zu Redispatch „erzählt“ wird, ist fachlich unterirdisch, grob falsch, dummes Zeug, unbegründet, teilweise auf dem Niveau der Replikation von gängigen Desinformationen. Wie hier fachlich inakzeptable Begriffe – „Dunkelflaute“, „Versorgungssicherheit“ – verwendet werden, hat teilweise emotionalisierendes Bild-Niveau. Das darf man sogar entsetzlich nennen!

Da letzteres gut 2/3 des fachlichen Umfangs insbesondere des 24er Berichts ausmacht, muss man diesen insgesamt als gänzlich unqualifiziert bezeichnen. Das fachliche Fazit lautet also: Einige bekannte Defizite werden lediglich benannt, aber nicht analysiert. Gerade im Kompetenzbereich des Rechnungshofs liegenden, leider kaum politisch diskutierte Missstände im Markt-Design und Entgeltsystem werden teilweise sogar gar nicht erkannt, geschweige denn aufgearbeitet. Stattdessen vergreift der Bericht sich fachlich ganz überwiegend in Themen, die von den Autoren offensichtlich nicht beherrscht werden und zudem das Mandat deutlich dehnen. Letzteres kritisiere ich übrigens nicht, der Rechnungshof darf sein Mandat auch weit auslegen, das kann man als Bürger nur begrüßen – aber dann muss er auch liefern. Hier fehlt es aber an jeder fachlichen Sorgfalt, in leider sogar allen Bereichen, beim eigentlichen Mandat bereits und darüber hinaus noch eklatanter.

Zur kommunikativen Begleitung: Der Bericht selbst, Verlinkungen unten, wird mit einer Pressemeldung herausgegeben, die vorsichtig formuliert eher irritierend ist. Hier lässt sich der Präsident des Amts, Scheller, wie folgt zitieren: „Die sichere Versorgung ist gefährdet, der Strom teuer, während die Bundesregierung die Auswirkungen der Energiewende auf Landschaft, Natur und Umwelt nicht umfassend bewerten kann“. Im Weiteren wird mehrfach der Begriff der „Versorgungssicherheit“ bemüht, von „wirklichkeitsfremdem Monitoring“ gesprochen (alle Informationen stammen aus der Bundesregierung/Netzagentur), von „Gefahren“ ist die Rede, die Maßnahmen seien „ungenügend“, es gebe „Wissenslücken“.

Das sind Bewertungen, die der Bericht selbst so nicht äußert und die er keineswegs hergibt. Da hier die derzeitige Bundesregierung explizit angesprochen wird, erfolgen diese Aussagen ohne jede Grundlage. Es gibt wie gesagt nicht mal eine Differenzanalyse des Status 2021 versus 2024, es wird sogar nur der unter Plan laufende Onshore-Windkraftbereich betrachtet, Fortschritte beim EE-Ausbau und auch beim Netzausbau insgesamt bleiben unberücksichtigt. Korrekt ist, dass in der Tat die Gesamtpläne nicht erreicht werden, aber der hier vermittelte Eindruck, es werde sogar schlechter, wird nicht begründet – und man darf auch bei aller berechtigten Kritik an der Ampel-Regierung feststellen, dass so eine Begründung kaum erfolgreich sein kann.

Diese kommunikative Begleitung, die man wohl auf dem Präsidenten Scheller persönlich zuordnen darf, ist also weder durch den Bericht selbst gestützt und bezüglich der Kritik an der amtierenden Bundesregierung fast schon übergriffig. Damit wird ein fachlich schwacher Bericht vorgelegt und in dieser Art nach meiner Bewertung das Amt und dessen Präsident beschädigt.

Ein etwas kritischerer Blick auf die eigenen fachlichen Kompetenzen hätte zu einer Kürzung des Berichts führen dürfen und der wäre dann besser wesentlich leiser kommuniziert worden. Ohne Bewertung meinerseits nur der Hinweis, dass Scheller selbst nicht unumstritten ist und seiner Frau von Lobby-Control diverse Interessen in Energiethemen nachgewiesen werden.

Die weitere kommunikative Begleitung dieses Berichts ist leider kurz erzählt: Die überwiegende Mehrheit der Medien nutzt die Pressemeldung und die Zitate Schellers. Erkennbar haben die meisten darüber berichtenden Journalisten den Bericht selbst nicht gelesen, den aus 2021 erst recht nicht. Interessanterweise zeigt ein Blick in Presse-Archive, dass der 21er Bericht medial fast untergegangen ist.

Das Thema ist wichtig und es wird von immer mehr Institutionen schlicht missbraucht, um politisch/gesellschaftlich unwürdig zu emotionalisieren. Dass die Medien es mal wieder tun, ist nicht überraschend, dass man dem Rechnungshof dasselbe anlasten muss, ist eine herbe Enttäuschung, denn er hätte hier in der Tat einige Dinge aufzuarbeiten.

So haben aber Medien und eine wichtige unabhängige Institution zugleich komplett versagt.

Der 2024er Bericht: https://www.bundesrechnungshof.de/SharedDocs/Downloads/DE/Berichte/2024/energiewende-volltext.pdf?__blob=publicationFile&v=4

Der 2021er Bericht:

https://www.bundesrechnungshof.de/SharedDocs/Downloads/DE/Berichte/2021/versorgungssicherheit-und-bezahlbarkeit-von-strom-volltext.pdf?__blob=publicationFile&v=1

Die fachliche Substanz daraus:

Die Berufung von Scheller (Auszug): https://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundesrechnungshof-opposition-hat-vorbehalte-gegen-kay-scheller-a-967858.html?fbclid=IwAR3e3NghGHuvb-eAxxI2GKMw87x1Sp5rAxW3JhyMKCl61CURdsvDd_5SUtU

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