Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm hat eine neue „Studie“ vorgelegt, die sich mit den „Stromkosten“ der Zukunft „befasst“. Das Medienecho ist wie immer bei Grimm groß. Das ist kein Zufall, denn Grimm weiß, was sie zu liefern hat, damit die, die nur auf so etwas warten, es sofort weiter drehen. Kurzer Ausschnitt der Aufmachungen als weiteres Dokument eines aus meiner Sicht gänzlich inakzeptablen medialen Gehabes sowohl von Teilen der Wissenschaft als auch der Medien:
Handelsblatt: „Darum dürfte Strom langfristig teuer bleiben. Mit dem Erneuerbaren-Ausbau sinken die Preise, verspricht die Bundesregierung. Eine neue Studie der Wirtschaftsweisen Grimm offenbart jedoch, dass in der Rechnung ein zentraler Teil fehlt.“
Wirtschaftswoche: „Wirtschaftsweise warnt vor langfristig hohen Stromkosten. Wind und Sonne schicken keine Rechnung? Vorsicht, sagt Ökonomin Veronika Grimm. Sie widerlegt das Argument von Erneuerbaren-Befürwortern, dass Ökostrom besonders günstig sei. Die Kosten für die Industrie bleiben wohl hoch.“
Spiegel: „Trotz Energiewende Wirtschaftsweise rechnet auch in Zukunft mit hohen Strompreisen. Je weiter die Kosten erneuerbarer Energien sinken, desto günstiger werde Strom in Zukunft, sagen Politiker. Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm hält dagegen: Die Zeiten ohne Wind und Sonne kämen auch 2040 noch teuer zu stehen.“
FAZ: „Wirtschaftsweise Grimm mahnt : Künftige Stromkosten deutlich höher als Erneuerbare-Kosten. Die Bundesregierung hofft auf sinkende Strompreise durch den Ausbau der Erneuerbaren. Wirtschaftsweise Veronika Grimm kritisiert die Diskussion: In der Rechnung fehle ein zentraler Teil.“
Holzklasse – hier exemplarisch „Junge Freiheit“: „Wirtschaftsweise deckt Habecks Strompreislüge auf. Grüne-Politiker und Öko-Lobbyisten wollen mehr Strom aus Wind und Sonne. Dafür versprechen sie fallende Strompreise. Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm hält das für Unfug. Bei der Berechnung seien fundamentale Fehler gemacht worden.“
Diese Medienberichte und getroffenen Aussagen sind alle vollumfänglich falsch. Keine dieser Bewertungen lässt sich aus der Studie entnehmen. Der FAZ-Beitrag ist dabei der mit Abstand am wenigsten misslungene, denn hier wird außer einigen Zitaten von Grimm selbst aus der „Studie“ wenigstens nichts abgeleitet, was in dieser gar nicht steht. Leider aber überlässt die FAZ das Grimm selbst, indem unkritisch zitiert wird. Grimm selbst: „Je mehr Strom die Erneuerbaren produzieren, desto höher werden die Kosten, um Versorgungslücken abzudecken“. Ferner: „Entscheidungen zu verzögern senkt die Kosten nicht, eher im Gegenteil“ – gemeint ist der Ausbau der H2-ready Gaskraftwerke. Diese Aussagen von Grimm sind der von Grimm selbst dazu vorgelegten „Studie“ aber ebenfalls nicht zu entnehmen und aus dieser auch nicht abzuleiten.
Was kein Medienbericht leistet, ist eine kritische Würdigung des „Papiers“, das keine Studie ist und das übrigens auch von sich selbst nicht behauptet. Es ist, um das klar zu sagen, nichts anderes als eine minderwertige Publikation, die man PR-Wissenschaft nennen darf, mit der Institute oder auch einzelne Wissenschaftler leider gerne mal so etwas wie einen „Aufschlag“ leisten, in der Hoffnung, dafür von den Medien durch Zitat oder gar größere Aufmachung belohnt zu werden. Das wird zuverlässig erfüllt, sofern Thema, Duktus und ein paar steile Thesen in der Begleitrhetorik – Grimm beherrscht das hervorragend – stimmen. Es gehört insofern leider dazu, dass Wissenschaftler sich nicht zu schade sind, in der Pressemeldung zu solchen Papieren mal etwas „freier“ zu formulieren, als im Dokument selbst.
Sehr traurig ist, dass diese 19 überflüssigen Seiten eigentlich auch ohne Sachverstand schnell überprüfbar sind. Die meisten Berichte, ich nehme den der FAZ aus, zeigen, dass das Paper nicht gelesen wurde. Es beinhaltet nämlich zunächst mal keinerlei Eigenleistung. Wenn da also geschrieben wird, Grimm tue dies oder jenes, stelle das und das fest, so ist das schlicht falsch. Das Paper besteht vollständig aus der Zusammenstellung von Daten aus anderen Studien zum Zwecke einer Art „Beispielrechnung“. Bereits jedem einigermaßen sorgfältig arbeitenden Journalisten darf dabei auffallen, dass diese Daten aus anderen Quellen von vor 2021 stammen, also wohl bei dem Thema nicht so ganz aktuell sind. Der Zweck des Papiers, das sagt es unmissverständlich, besteht darin, ich übersetze das mal, darauf hinzuweisen, dass die Stromgestehungskosten einer einzelnen Anlage nicht gleich den Stromgestehungskosten des Gesamtsystems sind. Insbesondere bei Erneuerbaren seien die Kosten für Reserven zu beachten, sofern diese nicht liefern können.
Nun denn, das ist die wissenschaftlicher formulierte SocialMedia-Weisheit, dass nachts die Sonne nicht scheint. Die primäre Frage wäre natürlich, ob es erforderlich ist, das dann endlich mal zu klären. Die Antwort lautet unstrittig: Nein, bereits die selbst gesetzte Aufgabenstellung des Papiers macht klar, dass es überflüssig ist. Methodisch wird es danach mehr als dürftig, wobei die Autoren selbst erklären, dass sie absichtlich keine „komplexere“, sondern eine bewusst sehr einfache Berechnung vornehmen, um die Sache mit der Sonne und der Nacht zu belegen. So werden zwei kaum dokumentierte Beispiele, eine „Fabrik“ mit komplett konstantem und eine „Region“ mit einem irgendwie schwankenden Verbrauch angenommen. Dazu dann irgendwoher stammende Produktionsverläufe von Wind. Was als PV-Ertrag genommen wurde, geht aus dem Papier nicht hervor, in der dürren Zeichnung dazu gibt´s kein PV. Daraus werden schließlich irgendwelche Unterdeckungen berechnet, die wahlweise durch Batterien oder Gaskraftwerke, zukünftig mit H2 betrieben, zu decken sind. Ich kann diese Beispiele und den Modellansatz mangels Dokumentation nicht bezweifeln, das ist aber auch komplett unwichtig, denn die Berechnung soll ohnehin nur zeigen, dass es nicht bei den Gestehungskosten von Wind und PV bleiben wird. Da das eine Trivialität ist, muss man diesen „Beweis“ eigentlich nicht näher untersuchen.
Was nun aber mehr als ärgerlich ist: Das Papier selbst belässt es ganz wesentlich dabei, hier mal so etwas wie eine Bierdeckelrechnung zu machen, wie sich das mit den Kosten für die Erneuerbaren und den Gesamtkosten entwickeln könnte. In der Kommunikation von Grimm selbst und noch mehr in den Medienberichten werden aber die ganzen Preise pro KWh zitiert, als seien die höchst valide – von Grimm – ermittelt. An der Stelle muss man nun selbst diesem dürftigen Papierchen eine methodisch falsche Quellennutzung vorwerfen. Es werden hier durchaus renommierte Analysen über diverse Kosten zitiert, das reicht von PV- und WKA-Gestehungskosten über Preise für Batteriekapazitäten bis zu Projektionen von zukünftigen H2-Preisen. Diese Daten stammen aber alle von vor 2021 und die – sehr ausführlichen – Originalquellen weisen hier auf zwei Dinge hin: Erstens werden ganz erhebliche Korridore an bereits aktuellen und vor allem zukünftigen Preisen ausgewiesen und zweitens wird sehr deutlich gemacht, dass selbst diese Korridore mit großen Schätzunsicherheiten verbunden sind. Das ist die wissenschaftliche Methode, um auszudrücken, dass man es schlicht nicht weiß und auch nicht besser wissen kann.
Wer solche Daten von vor 2021 dann aber für ein Papierchen in 2024 nutzt, um konkrete Preise bis 2040 auf zwei Stellen hinter dem Komma auszuweisen, darf sich eigentlich nicht mehr auf diese Quellen berufen und sich zudem fragen, warum man keine aktuelleren nutzt. Über diese zweifelhafte Datennutzung hinaus ist der nächste und sehr grobe methodische Fehler, dass in dem Papier sogar deutlich geäußert wird, dass man lediglich eine sehr simple Beispielrechnung macht, um auf den Unterschied zwischen Stromgestehungskosten einzelner Anlagen und denen des Gesamtsystems hinzuweisen (was man nicht muss und so nicht tun sollte). Im Prosa-Teil des Papers werden diese bereits zweifelhaft ermittelten Beispieldaten dann aber verbal beliebig generalisiert. Das Papier geht hier also in den Bewertungen der eigenen „Analyse“ bereits viel zu weit, aber es belässt es wenigstens bei der – ich kann es nur wiederholen – trivialen Feststellung, dass die Gestehungskosten des Gesamtsystems höher als die der günstigsten EE-Anlagen sein werden. Mehr steht da tatsächlich nicht drin!
Die Attribute, die dann teilweise von Grimm selbst genutzt werden, das sei „teuer“, es werde zu „steigenden“ Kosten kommen etc. sind in der Studie schlicht nicht enthalten. Das wäre auch sehr peinlich, denn eine solche Einordnung dieser Daten kann man anhand so einer Bierdeckelrechnung nicht machen. Was übrigens gar nicht erst versucht wird, ist eine Vergleichsrechnung zu einer anderen Energieversorgung. Auch das wird in den Medien komplett falsch dargestellt, denn das Papier vergleicht lediglich die Frage, mit welchen Technologien man die erforderlichen Backup-Leistungen gestalten sollte – um dann festzustellen, dass die zu Mehrkosten gegenüber den günstigen EE-Basispreisen führen, wie erstaunlich.
An der Stelle hat das Papier eine sehr klare und wissenschaftlich inakzeptable Tendenz, denn für Grimm wenig überraschend resultiert die Notwendigkeit einer breiten H2-Nutzung, während Batterien demnach fast schon utopisch teuer sind. Das „gelingt“ rechnerisch nur, indem man die breiten H2-Korridore am untersten Rand ansetzt und zugleich bei den Batteriekosten halt auf den Daten von vor 2021 das Maximum dessen annimmt, was man so findet.
Das kann nun wissenschaftlich leicht schief gehen. Grimm setzt für 2021 (da beginnt diese Berechnung im Jahre 2024 nämlich!) für Batterien einen Preis von 600 EUR pro KWh an und für das Jahr 2040 wird ein Absinken auf 285 EUR angenommen. Der Preis für in 2024 nicht geschätzte, sondern tatsächlich gebaute Großspeicher in den USA und Australien nähert sich: 100 USD pro KWh. Das ist mehr als Faktor sechs günstiger als hier für 2021 angenommen und bereits heute fast ein Drittel billiger als der für 2040 vermutete Wert in der Grimm-Studie.
Kann bei langfristigen Prognosen immer passieren, aber das darf man kenntlich machen und bereits längst überholte und veraltete Daten darf man ebenfalls erkennen. Sogar für ein überflüssiges Stück PR-Wissenschaft. Diese Bierdeckelrechnung sagt valide genau das, was sie selbst auch als Ergebnis formuliert: Die Einzelanlage setzt nicht die Kosten für das System. Das wusste man vor diesem Werk auch schon. Was da an Daten und Berechnungen vorgelegt wird, ist unbrauchbar. Welche Gestehungskosten auf Systemebene in 2040 entstehen mögen, wird durch diese Beispielrechnung kein Stück klarer und die Aussage, dass ausgerechnet H2-Backups sogar um ganze Faktoren günstiger als Batterien sein werden, ist vorsichtig formuliert hier nicht bewiesen worden.