Wenn Wissenschaft nicht eindeutig sagen kann, was ist, hat das keine Bedeutung, dann ist das kein Wissen, sondern Ahnungslosigkeit. Wenn Wissenschaft sagt, was kommen wird und das dann nicht eintritt, ist das offensichtlich ein Irrtum, also auch Ahnungslosigkeit. Wenn Wissenschaft gar behauptet, irgendwas zu wissen, was in zehn oder mehr Jahren passiert, ist das Hokuspokus, denn so etwas ist gar nicht möglich.
Das sind so ungefähr die gängigsten Argumente gegen wissenschaftliche Erkenntnisse, vor allem die unbequemen betreffend. Steigert man sich weit genug in die Verdrängung hinein, findet man immer „Quellen“ oder „Wissenschaftler“, die sich sehr genau festlegen, die das Wissen unserer Wahl liefern und das mit ganz einfachen Erklärungen, die jeder endlich nachvollziehen kann.
Diese Quellen sind dann natürlich die einzig richtigen. Dass die wiederum oft Behauptungen und Festlegungen treffen, die nun wirklich leicht erkennbar gar nicht möglich sind, dass exakt diese Quellen den als so wichtig (und richtig!) erachteten Zweifel gar nicht mehr zulassen, stört nicht weiter. Das ist menschlich, aber wer so argumentiert, weiß weder, was Wissen ist und erst recht nicht, wie man das schafft.
Wirklich bedenklich sind Leute, die eine gewisse Kenntnis von Wissenschaft nachweisen, diese jedoch missbrauchen, um solche „Quellen“ zu liefern. Ein Beispiel begegnet mir häufiger, da werden renommierte Klimaforscher und deren Studien mit der – vergleichsweise simplen – physikalischen Tatsache zitiert, dass eine Erwärmung von durchschnittlich 1,5 Grad eine Zunahme der Feuchtigkeit um 7% bedeutet. Was soll’s, 7%, wer sich über so eine Bagatelle aufregt, sollte den Mehrwertsteuersatz thematisieren, aber keine Klimahysterie anstellen. Andere kommen mit historischen Pegelständen von heute komplett anders laufenden Entwässerungssystemen. Ebenso gut funktionieren hunderte Statistiken über geschickt gewählte Zeiträume, aus denen man alle möglichen Kausalitäten oder deren Widerlegung glaubt ableiten zu können, „Window-Dressing“ nennt man das in der Finanzszene. Manche verstärken das mit plump falschen Daten, aber es gibt „Künstler“, die es auch ohne hinbekommen. Solche „Quellen“ sind bekanntermaßen schnell erstellt und nur mühsam widerlegt.
Wie schwierig das ist, sieht man an diesem 7%-Spielchen, das ja zunächst sachlich korrekt ist. Was hier aber nicht erwähnt wird: Die enorm dynamischen physikalischen Effekte, die sich aus dieser für einen Laien schnell als irrelevant vermuteten Zunahme an Feuchtigkeit ergeben, die zudem in Kombination mit thermischen Veränderungen stehen, sind bereits messbar, aber vor allem lokal nur schwer vorherzusagen. Physikalisch ebenso klar, aber viel schwieriger zu modellieren und damit auch konkret zu beziffern ist, dass diese erhöhten Durchschnittswerte zu weit höheren Ausschlägen der Maximalwerte (Regenmenge, Windstärke), zu weit höherer Häufigkeit und zu einer weit höheren lokalen Konzentration von Ereignissen führen muss. Aber was heißt schon „weit höher“ gegen so klar nachvollziehbare 7%? Hier wird die Physik leider enorm komplex, was die große Chance für Demagogen ist, denn gerade Laien lassen sich an der Stelle gerne ins „wissen wir nicht“ verleiten. Korrekt ist sogar, dass man es bisher nur grob messen kann, wir sehen es an der statistischen Zunahme von Extremwetter auf dem ganzen Planeten, aber man kann den 7% keine Zahl entgegen setzen. Werden also Spitzenwerte sich um 20% oder 100% erhöhen, werden Häufigkeiten gar um 1000% zunehmen und wo so ganz genau wird was passieren?
Das wissen wir nicht. Solche Zahlen kann niemand liefern. Die einzige valide Zahl ist diese 7%. Womit wir beim ersten Absatz sind: Wenn wir nur diese Zahl kennen, ist alles andere Ahnungslosigkeit, Irrtum und Hokuspokus. Warten wir also mal ab, bis wir diese Zahlen wirklich „wissen“ – also real messen können.
Besser nicht!
Die Physik sagt tatsächlich viel mehr, denn wenn wir eine solche Zahl messen können, ist die sogar schon falsch, weil wir einen ganz anderen Irrtum begehen: Wir messen Vergangenheit über einen willkürlich als relevant vermuteten Zeitraum und glauben gar, damit die Zukunft zu sehen, dabei gilt das nicht mal für die Gegenwart.
Da sind sie mal wieder, diese vielen meist exponentiellen, polynomiellen, jedenfalls nonlinearen Prozesse, die in komplexen Systemen auch noch aufeinander einwirken, Sprünge erzeugen, Kipppunkte kennen, die wir modellieren, um sie zu verhindern, was dann bei Erfolg als Fehler bezeichnet wird. Da kann aber aus 7% auch mal 1.000% an anderer Stelle werden, einer relevanten zudem, denn diese andere Stelle kann das Wasser im Wohnzimmer, das abgedeckte Dach oder die weggeschwemmte Autobahn sein.
Schauen wir aber auf eine Statistik der willkürlich gewählten letzten 10 oder 20 Jahre, es ist ja langfristig, wissen wir bekanntlich, Physik und so, also schauen wir mal ganz besonders lange zurück! Super Idee, die wir komplettieren mit der beliebtesten Methode jedes mathematischem Sondertalents, nämlich dem Mittelwert, den jeder zu kennen glaubt verstehen zu dürfen. Das ist dann aber eine Linearisierung, also so ganz genau überhaupt keine gute Idee, je länger der Zeitraum eine übrigens immer weniger gute Idee. So kann es nämlich passieren, dass wir einen Jet, der bei gerade 1.000 km/h weiter beschleunigt mit einer Geschwindigkeit von 150 km/h bewerten, die er im Mittel seit seinem Start hingelegt hat.
Ab einer gewissen Komplexität kann das Gesamtverhalten wie beispielsweise das konkrete Wetter an einem konkreten Ort trotz des abgesicherten Wissens von Kausalitäten und Wirkungsweisen nicht „präzise“ vorhergesagt werden. Die Frage, wie das in 10 Tagen, 10 Monaten oder 10 Jahren aussehen wird, umso weniger. Man kann diese Kausalitäten in Kombination mit immer mehr Daten sowie der Fähigkeit, diese zu verarbeiten aber nutzen, um Modelle zu rechnen, die immer bessere Ergebniskorridore, also Wahrscheinlichkeiten liefern.
Um den ersten Absatz aufzugreifen: Der Anspruch solcher Ergebnisse ist eben nicht, zu sagen, was ist. Daher ist es Ahnungslosigkeit, das zu fordern. Der Anspruch ist auch nicht, zu sagen, was eintreten wird. Erneut ist es Ahnungslosigkeit, von Irrtum zu sprechen, wenn das tatsächlich eintretende vom Modell abweicht. Daher besteht erst recht nicht der Anspruch, etwas über längere Zeiträume zu „berechnen“. Es ist vielmehr Ahnungslosigkeit, das als Hokuspokus zu bezeichnen.
Diese und weit mehr methodisch durch naturwissenschaftliche Kausalitäten und mathematisch abgesicherte Datenanalysen entwickelten Modelle sind sehr wohl valide Instrumente, um in diesen hoch komplexen Systemen immer bessere Szenarien und Ergebniskorridore zu berechnen. Das ist also ein Raum, bei Szenarien genau genommen sogar mehrere, an Wahrscheinlichkeiten, was natürlich für viele, die bereits eine singuläre Wahrscheinlichkeit als Unwissen bezeichnen, gar nicht mehr akzeptabel ist. Was aber oft übersehen wird: Je länger solche Modelle verfolgt werden, je mehr Daten und Erkenntnisse einfließen, desto enger werden die Korridore, desto klarer werden die Wahrscheinlichkeiten. Was viele also als „Irrtum“ oder „Ahnungslosigkeit“ bezeichnen, ist exakt Teil der Methodik, um aus einem Streulicht eine Taschenlampe zu machen, um aus bestehendem Wissen unter Filterung von Irrtum und neuen Erkenntnissen mehr Wissen zu schaffen.
Wie man damit nicht umgeht, war gestern und heute quasi im Brennglas der Unwetterwarnungen für Westdeutschland zu sehen. Da wurden bis zu 70 Liter Regenwasser pro Quadratmeter erwartet, es waren nur 50. Es wurden Sturmböen von bis zu 120 km/h erwartet, es waren nur gut 100 km/h. Es wurde vor Großschäden gewarnt, sie traten nicht ein. Es wurde für Westdeutschland erwartet, einiges entlud sich in Frankreich, darüber redet man aber nicht, das ist ja „woanders“ und überhaupt nicht da, wo es angesagt war. Die Warnungen wurden gestern in vielen Plattformen abgeschaltet, weil es zu den üblichen, fast schon von Hass geprägten Reaktionen vor „Klimahysterie“ kam. Heute wird der sachliche Nachbericht von dpa ebenfalls bereits überfallen, wahlweise mit denselben Kommentaren oder dem typischen Räsonieren über Wetter versus Klima sowie dem Hokuspokus mit diesen lächerlichen Modellrechnungen. Auch die 7%-„Wissenschaftler“, die stets alle anderen als unwissenschaftliche Laien schmähen, nur weil sie mal einen Punkt in einer Studie gefunden haben, waren wieder dabei. Ich habe das ausnahmsweise bei mir gelöscht, es ist teilweise jetzt wirklich zu anstrengend.
Wie das mit der Nutzung von Wissenschaft für unsere Öffentlichkeit und die demokratischen Entscheidungsprozesse weiter gehen soll, ist mir zunehmend ein Rätsel. Ich füge eine Seite der Max-Planck-Gesellschaft bei, die sehr leicht verständlich vermittelt, was bereits 2023 global passiert ist – auch das wird gerne immer noch bestritten. Ebenso steht da gut verständlich, weshalb die generellen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, also das abgesicherte Wissen, so schwierig in konkrete Folgen an konkreten Orten herunter zu brechen sind. Die Wissenschaftler begründen hier sehr gut, weshalb es Sinn macht, in den zukünftigen Modellen über die Nutzung bereits komplexer statistischer Analysen hinaus zu gehen und KI einzusetzen. Dazu gibt es ein internationales Projekt namens Xaida, welches bereits seit vielen Jahren globale Wetterereignisse dokumentiert sowie KI-basierte Modelle entwickelt, um die sowie die weitere Klimaentwicklung zukünftig noch besser modellierbar zu machen.
Ich gehe davon aus, dass KI hier einen erheblichen Fortschritt liefern wird, das sehen wir bereits in den letzten Jahren. Man muss aber befürchten, dass es Teile unserer Gesellschaft besser erreichen wird, wenn ein KI-Modell ein gefälschtes, für Menschen aber nicht mehr erkennbares Video mit der Ankündigung des US-Präsidenten zum 3. Weltkrieg generiert, als irgendeine Hokuspokus-KI, die völlig unhaltbares Zeug mit Wetterdaten macht, die es ohnehin schon immer gegeben hat und die mit gesundem Menschenverstand viel klarere Ergebnisse liefern.
Eines aber ist bereits Wissen: Die weitere Verbesserung dieser Modelle wird einen essentiellen Mehrwert für unseren Alltag liefern. Das fängt mit Unwetterwarnungen an, die Schäden vermeiden und Leben retten helfen – und es wird zu präzisen Erkenntnissen führen, welche Siedlungsräume wir trotz unserer Hybris schlicht aufgeben müssen. Bei letzterem sind die Versicherer übrigens schon recht weit – aber auch das will noch keiner wissen, obwohl das Wissen längst da ist.