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Was alles schlecht ist – oder vielleicht auch nicht?

Negative Strompreise sind ganz schlecht. Hohe Strompreise sind auch schlecht. Stromexporte sind sowieso schlecht. Stromimporte sind noch schlechter. Die USA haben ihre Schuldenquote von 60% auf 120% verdoppelt. Das kann nicht gut gehen. Wir bleiben bei 60%, das ist richtig so. Die Chinesen sind auch überschuldet. Die subventionieren ihre Industrie. Deshalb sind billige E-Autos, die gestern noch zu teuer waren, natürlich auch ganz schlecht. Die chinesische PV-Industrie hat Überkapazitäten, was zu Preiskämpfen führt, das ist auch alles ganz schlecht. Mit ihren Batterien, die man gestern noch gar nicht bezahlbar und erst recht in Mengen produzieren konnte, überschwemmen sie die Weltmärkte, typische Folge von Staatswirtschaft, also, überraschend, ganz schlecht.

So was funktioniert ökonomisch nicht, alle doof, alles ganz ganz schlecht.

Mir ist auch schlecht!

Okay, wenn manche dieser „Analysen“ für solche über Dekaden entstandenen Weltmarkttrends einen in Deutschland seit Ende 2021 amtierenden Fachminister oder zuletzt 3% abgeschaltete Energieerzeugung als Ursache heraus arbeiten, kotze ich inzwischen nicht mehr, der Teil des Magens ist final entleert. Aber so ein hilfloses Gestammel findet in unseren Wirtschaftsmedien statt und es wird teilweise von Leuten mit Ökonomiestudium in diversen Echokammern mit denselben Tiefflugübungen stereotyp wiederholt. Dabei merkt man sogar gelegentlich, was die vor 20 Jahren an der Uni mal zu ökonomischen Modellen von vor 60 Jahren so gehört haben. Aber auch das geht wild durcheinander. Da werden Preiskämpfe auch mal zur normalen Folge von Staatswirtschaft erklärt oder es wird übersehen, dass Amerikaner von „Überkapazitäten“ reden, weil das ein rechtlich definierter Begriff ist, den die einsetzen wollen, um in dem fraglichen Bereich eigene Kapazitäten aufzubauen, die sie durch Behinderung von Wettbewerb in Kombination mit staatlicher Förderung schützen möchten.

Aber das könnte ein buntes Bild stören: Das gemeinsam erkennbare solcher Beiträge ist unsere romantische Markt- und Wettbewerbsordnung, wie wir sie an deutsch/österreichischen Unis so gerne vermitteln, leider immer noch. Der Staat hält sich raus, sorgt für freien Wettbewerb und über den Preis in transparenten Märkten finden Angebot und Nachfrage zu einer gesunden Schwankung um ein Gleichgewicht. Deshalb darf man sich mit Preisschwankungen übrigens beschäftigen, aber hohe oder niedrige grundsätzlich schlecht zu finden, ist gewissermaßen ganz ganz schlecht. Greift der Staat aber ein, gar unter Einsatz eigener Schulden, geht dieses Gleichgewicht verloren, zum allgemeinen Schaden. Besser überlässt man das den Unternehmern, die sind immer klüger und wenn nicht, müssen die sterben, damit die klügeren überleben und das übernehmen. Naja, wenn das gerade passiert, ist es nebenbei auch ganz ganz schlecht und jener Fachminister hat alles falsch gemacht oder soll endlich mal was tun. Wie bei den Preisen, denn wenn die schwanken ist das bekanntlich – wir ahnen es – ganz schlecht.

Ja, danke, Bienen und Blumen, Maja, der Honig und die Schlümpfe mit dem gemeinsamen Gedanken an eine gerechte Welt.

Nur mal so: Ob es dieses nette Modell mit dem netten staatsfernen Wettbewerb und den transparenten Märkten mit den stets logisch und autonom agierenden Konsumenten, die immer wissen, was besser ist und immer frei entscheiden können, was sie tun, mal für 2,5 Millisekunden zwischen 1955 und 1970 im Verwaltungsbezirk Südbaden der Bundesrepublik Deutschland real gegeben hat, dürfen Wirtschaftsforensiker herausfinden! Darüber hinaus: Hat es das nie gegeben.

Jüngst erleben wir, dass der vorsichtig formuliert begrenzt funktionierende Mechanismus, solche bunten Ideen über Südbaden hinaus zu etablieren, beispielsweise die WTO, von China mit überschaubarem Interesse beachtet wurde. Das war für die gar nicht mal so komplett ohne Erfolge. Der US-Präsident Trump hat das erkannt und erklärt, dieses WTO-Zeugs könne dann mal in die Tonne. Sein Nachfolger macht das nicht anders, er redet nur nicht so deutlich darüber. Ändern wird sich daran also nichts. So sehen wir die zwei großen Jungs am Tisch, die mit immer mehr Geld immer mehr „subventionieren“, um damit Infrastrukturen und ganze Industrien aufzubauen. Die Chinesen machen das eher strategisch, die Amerikaner jetzt mit dem Prinzip „viel hilft viel“. Und nein, das überlassen sie Unternehmen, das ist immer noch keine „Staatswirtschaft“ und wer das nicht kapiert, wird auch kaum verstehen, dass beides viel mehr mit Neoliberalismus als mit Keynes zu tun hat, aber durchaus mit beidem.

Passiert aber erst seit 20 Jahren, wir sollten mehr Erkenntnisse sammeln, um mal unsere Modelle anzupassen, der Lehrplan folgt zehn Jahre später. Die Profs, die darüber im Fernsehen berichten, leben noch länger. Da kann einem ganz ganz schlecht werden.

Zugegeben, man kann das alles trotzdem ganz ganz schlecht finden. Keine Frage, legitime Überlegung, man darf schon noch darüber nachdenken, was die großen Jungs so machen. Aber sein eigenes Verhalten darf man dabei auch mal in Frage stellen. Ist es beispielsweise klug, in einem Spiel darüber zu jammern, dass die großen Jungs die Regeln diktieren? Macht es Sinn, mit denen über Regeln zu lamentieren, die man lieber hätte? Darf man nicht auch mal darüber nachdenken, ob die großen Jungs vielleicht wissen, was sie tun? Dass die möglicherweise doch nicht so doof sind wie wir das auf unserer Uni vermittelt bekamen?

Ganz ganz schlecht wäre es nämlich, wenn das klappt, was die großen Jungs da tun. Mit einem technologieoffenen Blick kann man erkennen, dass es seit mehr als 20 Jahren genau so ist. Da nämlich, spätestens irgendwo um die Jahrtausendwende ist Europa stehen geblieben.

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