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Wer erklärt den Anwälten des Kapitalismus, wie der funktioniert?

Fehlt es im Finanzministerium an basaler Fachliteratur? Ist sogar das Gabler Wirtschaftslexikon gespart worden?

Wertschöpfung entsteht nicht durch alle möglichen „Bereitschaften“, sondern durch konkret exekutierte Arbeitsteiligkeit. Die ist zwingend voller Vorleistungen und daher wurde mal Geld erfunden, um die Leistungsverrechnung agiler zu gestalten. Bereits die Fugger hatten daraus die Idee entwickelt, dass die Bereitstellung von Geld ein exzellenter Treiber für Wertschöpfung ist. Schulden im heutigen institutionellen Maßstab wurden nämlich vom Gläubiger erfunden, nicht vom Schuldner – aus Gründen!

Später hat man erkannt, dass daraus eine einzig relevante Quelle für Wertschöpfung entstanden ist, die unter dem Namen Kapital bis heute genutzt wird. Bereits seit Jahrhunderten streiten Denkrichtungen darüber, wie man das mehren, verteilen und einsetzen kann. Marx, Keynes, Hayek, Friedman, Krugman – sie alle hatten unterschiedliche Ideen, wie das ökonomisch und gesellschaftlich am besten organisiert werden könnte, aber es gewissermaßen bis auf die Ebene aller öffentlichen Kommentare zu „sparen“, wäre keinem in den Sinn gekommen. Weiß Herr Lindner noch, was Kapital ist und wie Kapitalismus funktioniert?

Kapital ist der Anfang von allem, nicht Arbeit, nicht Leistung, auch nicht „Verdienst“. Der Satz, ein Euro müsse zuerst verdient werden, bevor man ihn ausgeben kann, ist sachlich dumm. Zuerst muss ein Euro bereit stehen, damit man daraus durch Arbeitsteiligkeit 5 Cent Wert schöpft, die man dann verteilen kann. Wachstum entsteht u.A. daraus, wenn diese 5 Cent für andere Wertschöpfungen eingesetzt werden. Ob die in unserer Definition dafür investiert oder ausgegeben werden, ist sogar egal. Die 5 Cent können auch gespart werden, denn das gibt es ja gar nicht, dafür macht ein anderer schließlich Schulden, mit denen er eine Wertschöpfung beabsichtigt.

Kommt dieser Kreislauf aus Kapitalbereitstellung, Mehrung durch Wertschöpfung und Bereitstellung des Mehrwerts in Form von Kapital ins Stocken, können die von Lindner zitierten Bereitschaften in den Himmel wachsen, während die Wirtschaftsleistung nur weiter sinkt. Bei einer alternden Bevölkerung umso mehr, aber das steht nicht mehr im Gabler, da muss man etwas dickere Bücher heranziehen. Amerikaner verstehen das alles besser, denn die hatten mit Depressionen zu tun, während die Deutschen ihre Depression heute übersehen, da sie sich durch einen Sparkurs glaubten daraus retten zu können, der dann zum finalen Stillstand führte und mittels Druckerpresse eben nicht als erster, sondern als letzten Akt in die Hyperinflation führte. Dieser letzte Akt aber, der dominiert heute unsere Denkweise.

Dem Finanzminister wäre dringend zu empfehlen, sich ums Kapital im Kapitalismus mehr zu sorgen. Es ist genug davon da, aber das liegt nur ineffizient herum. Irgendwer muss es wieder in Bewegung bringen. Amerikaner und Chinesen machen das durch eine Kombination aus staatlichen Mitteln, also Subventionen und Umverteilung, die Lindner aber ablehnt. Deren Ziele sind Anreize für privates Kapital, welches in der Wirkungskette dort also folgt. So herum funktioniert das da nämlich! Das gilt für viele in Deutschland leider als „links“, aber so sind sie halt, die Amerikaner und Chinesen, komplett linke staatswirtschaftliche Ökonomie. Die vielen neoliberalen Anleihen dabei – ach, lassen wir diese Details, warum soll man das Denken weiter entwickeln, wir haben das mit „der Wirtschaft“ zwischen 1950 und 1980 in Deutschland abschließend erforscht, mehr braucht man nicht, das ist ja noch jünger als der Dieselmotor.

Wie auch immer kann man natürlich das Ziel verfolgen, den Kapitaleinsatz ganz alleine beim Privatsektor zu sehen, also Haushalte und Unternehmen. Aber die tun es auch nicht, ein Finanzminister, der als Autoreflex vom Sparen spricht, wenn er einen Strohhalm mit einem Mikrophon verwechselt, ist dabei nicht förderlich. Ein Staat, der einen weiteren Wachstumstreiber, die Produktivität, durch Bürokratie und Digitalisierungsverhinderung abwürgt, übrigens auch nicht. Die von Lindner so gerne zitierten Unternehmer brauchen für die Risiken ihrer Geschäftsmodelle keine Nachhilfe durch den Finanzminister, die regulatorischen Risiken, überhaupt geschäftliche angehen zu dürfen, wären mal ein Thema. Darüber wird aber von allen nur geredet, vorzugsweise, indem man der jeweils anderen Seite (meist zurecht!) nachweist, was sie da gerade mal wieder verschlechtert hat. Die Bereitstellung von Infrastrukturen für jede ökonomische Aktivität (Bildung, Energie, Mobilität etc.) wären auch so Themen, die man als Unternehmer mit dem Staat mal im Sinne von Chancen oder eben auch Risiken besprechen möchte.

Wer es also anders als Amerikaner und Chinesen machen möchte, ist herzlich willkommen, zu zeigen, wie man die Deutschen wieder zum Kapitalismus überreden kann. Die Ausführungen des Finanzministers und übrigens auch des Oppositionsführers leisten das nicht. Sie zeigen eher ein tiefes Unverständnis, was Kapitalismus überhaupt ist. Das ist deshalb so schwierig, weil ausgerechnet die in unserem politischen Spektrum die Rolle des Kapitalismus anwaltlich zu vertreten haben, was mit der Kontrollfunktion anderer Interessen die bisherige Balance in der Staatsführung brachte.

Wenn die Anwälte des Kapitalismus aber das Kapital vergessen, deren Anhänger die Fehler auf der anderen Seite überbewerten und die weit größeren auf der eigenen Seite komplett übersehen, hat der Kapitalismus natürlich keinerlei Chance. Das sehen wir in allen Daten, beginnend mit 2000, beschleunigend seit 2008.

Darüber sollte Lindner reden, Merz noch viel mehr. Wie kann diese seit 20 Jahren laufende Erosion des Kapitalismus umgekehrt werden? Das ist deren Aufgabe, die ökologische und gesellschaftliche Korrektur ist die der anderen, die „dürfen“ genau das, wofür sie kritisiert werden, macht mal euren Job, die Schlagseite des Leistungsspektrums liegt nämlich genau hier begründet!

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