Das Finanzministerium hat vor einigen Tagen neue Zahlen zum Schuldentilgungsplan der nächsten Jahre veröffentlicht. Demnach werden bereits ab 2028 die jährlichen Tilgungen von zuletzt 3,7 Milliarden auf 12,8 eskalieren und zwar JEDES Jahr bis 2058.
Einige Medien thematisieren dazu „Lindners schweres Erbe„. Das ist zwar so zunächst mal richtig, aber nur ein Bruchteil der Nachricht. Es wäre gut, wenn das in Sachen Schuldenbremse gespaltene und diesbezüglich wahlentscheidend denkende Volk wenigstens aufgeklärt würde, wozu dieses Instrument alle (!!) Finanzminister geführt hat – und wohl weiter führen wird.
Ich verkürze es, hoffe aber auf dediziertere Aufklärung: Es gibt Schulden im Haushalt, die der Schuldengrenze unterliegen und auf die jeder achtet. Alle Finanzminister sind bemüht – und an der Stelle verfassungsrechtlich gebunden – über diese berühmten 60% zu berichten. Aber es gibt auch „Schulden“, die dieser Berichtspflicht „entgehen“. Ebenso gibt es Schattenhaushalte, die sogar einer komplett eigenen Buchführung unterliegen. Ein Beispiel ist der Klimatransformationsfonds, die Bundesbahn, die KfW und m.E. auch das Netzengelt, über das Stromkunden staatlich festgesetzte Abgaben zahlen, die – teilweise – für staatliche Aufgaben eingesetzt werden. Solche „Instrumente“ gibt es dutzende und es wird weitere geben, immer mehr!
Die erste kausale Folge der Schuldenbremse sind also solche „Vehikel“ in denen der Staat Abgaben generiert und wie auch immer verwendet. Nun ist das nicht grundsätzlich falsch, im Gegenteil, zweckgebundene und dafür verwendete Mittel sind sogar wünschenswert. Es sollte aber ganzheitlich, systematisch und nach klaren Kriterien darüber berichtet werden. Was also fehlt, sind Transparenz und nachvollziehbare Gesamtbilanz. Das will natürlich kein Politiker aus keiner Partei. Lieber streitet man über 60%, die keiner mehr versteht und so ganz genau auch niemand mehr kennt.
Die zweite kausale Folge ist aber, dass unsere Finanzpolitiker die einfachsten Fragen der Finanzierungsrechnung nicht mehr nutzen können: Welchen Finanzierungsbedarf habe ich für welche Dauer und wie kann ich die Konditionen an den Kapitalmärkten optimal nutzen. Jeder Hausbesitzer fragt sich bei seiner Hypothek nach der besten Laufzeit und orientiert sich dabei am Zins. Die Finanzminister können das nicht. Denn: Je nach Art der „Vehikel“ ist deren Laufzeit gesetzlich geregelt.
Die größte Sünde passierte daher in der Amtszeit von Schäuble, der die Option hatte, sich vom Kapitalmarkt sogar dafür bezahlen zu lassen, vergleichsweise lang laufende Kredite aufzunehmen. Jedes Unternehmen und jeder Privathaushalt hätte da umgeschuldet und sich den Negativzins so lange wie möglich gesichert. Zinslasten wären auf Jahrzehnte in Zinseinnahmen wandelbar gewesen, von den vielen Möglichkeiten, damit kluge Investitionen anzuschieben sogar abgesehen.
Die zweitgrößte Sünde passierte in der Amtszeit von Lindner. Die sogenannten „Sondervermögen“ und auch andere „Ausnahmen“ der Schuldenbremse wurden als sogenannte „Notkredite“ aufgenommen und die können überhaupt nicht mehr anhand der Konditionen der Kapitalmärkte optimiert werden, da ist genau so ein Tilgungsplan vorzulegen, wie wir ihn nun sehen. Es sieht so aus, dass Lindner hier existierende Spielräume nicht ausreichend genutzt hat, das wäre ein handwerklicher Fehler mehr, aber grundsätzlich war bei der Wahl des Instruments genau dieses Ergebnis vorgegeben. Das darf man ihm so pauschal also nicht vorwerfen.
Was man Lindner viel deutlicher vorwerfen darf, ist seine Kommunikation dazu. Denn es ist klar, dass bereits in vier Jahren hier Tilgungslasten kommen, die gar nicht möglich – und vor allem nicht sinnvoll! – sind. Er wusste also, dass er sich zugleich als Hüter der Schuldengrenze inszeniert und sich selbst(?) oder seinem Nachfolger eine Hypothek in die Bücher schreibt, die zwingend dazu führen MUSS, eben diese Schuldengrenze ein paar Jahre später zu reißen – oder eben jenen Etikettenschwindel weiter fortzuschreiben, was aber „technisch“ immer schwieriger wird. Der zukünftige Finanzminister muss nämlich nicht nur den kommenden Finanzbedarf wieder in solche Salami-Verhikel verpacken, sondern auch den aus der Lindner-Zeit.
Es ist vollkommen richtig, dass wir die Art, wie öffentliche Haushalte aufgestellt werden, welche Berichtspflichten es gibt, wie die Verwendung zu kontrollieren ist und wie Politik mit Geld umgeht, dringend zu diskutieren haben. Das muss auch Ausgangspunkt aller weiteren Änderungen, namentlich der Aufnahme von mehr Schulden sein. Es ist aber schlicht naiv, anzunehmen, die Schuldenbremse leiste dazu irgendeinen sinnvollen Beitrag.
Das genaue Gegenteil ist der Fall und die Kapitalmärkte sehen das übrigens bereits. Die niedrigsten Zinsen für deutsche Staatsschulden sind nicht mehr gesetzt, die Reputation bröckelt – leider zurecht!