Als ich in den letzten Wochen teilweise beißend ironisch auf einen Bedarf an mehr als Anti-Grünen Statements hinwies, kamen prompt: Anti-Grüne Statements. Ich bin darauf nicht eingegangen, weil es Teil der Methode ist, den Diskurs auf die (nicht-)Klärung von irgendwelchen Nebensächlichkeiten zu verengen bzw. sogar an der Stelle abzuwürgen. Trotzdem gehen immer wieder Leser auf diese Troll-Aktionen ein. Daher bewusst separat ein neben einer Hausdurchsuchung und einer weiteren Strombettellüge jüngst inszeniertes besonders emotionalisierendes Thema: Inflation.
Habeck hat in einer Rede unter Verweis auf die November-Daten darauf hingewiesen, dass die Inflation rückläufig ist und die Preise sinken. Darauf gab es eine besonders laute Empörung von „Experten“, die sich einmal mehr lustig machten, Habeck habe keinerlei Ahnung, denn die Jahresinflation weise darauf hin, dass die Preise allenfalls langsamer steigen. Ich fand das insbesondere auf LinkedIn von diversen Finanzexperten, Volkswirten, Vermögensverwaltern, Fachanwälten und sogar CFOs sehr belustigend, denn es ist: Ein Eigentor!
Zunächst gibt es fachlich nicht „die“ Inflation, sondern eine simple Definition für den Preisunterschied zwischen zwei Referenzzeitpunkten. Tatsächlich wird ein Verbraucherpreisindex gerechnet, der ab einem Normzeitpunkt – bei uns derzeit 2020 – das absolute Preisniveau abbildet. Daraus werden verschiedenste Inflationsraten abgeleitet, monatlich, jährlich, Vorjahresvergleich etc. Der Index lag 2020 normiert bei 100, zurück gerechnet in den 90ern bei 60 und er hat im Sommer/Herbst 2024 ein Plateau um 120 ausgebildet. Der wesentliche Anstieg war 2022/2023 sowie Anfang 2024. Im November ist der Wert auf ca. 119 zurück gegangen. Die Aussage von Habeck war also schlicht korrekt und diese „Experten“ sollten sich schämen, das „Argument“ bei einer positiven Jahresrate könne es keinen Preisrückgang geben, ist mathematisch kompletter Unfug, denn der Rückgang von Inflation erfolgt sogar sehr oft exakt so.
Nun ist Inflation ein sehr tiefes Thema und was Habeck insgesamt sagte, habe ich gar nicht zur Kenntnis genommen, weil es mich nicht interessiert. Ich fand seine Leistung als Wirtschaftsminister viel besser als deren Ruf. Namentlich den Rückbau der Förderung von Erneuerbaren sowie den Konkurrenzdruck durch knallharte Ausschreibungen hat er wie keiner seiner Vorgänger vorangetrieben und damit die Strompreise für neue Anlagen auf historische Tiefs getrieben. Er ist bei den Betreibern Erneuerbarer Energien keineswegs so beliebt, wie die Allgemeinheit glaubt – aus Gründen. Immerhin hat er die Mengen erhöht und dadurch den Unternehmen einen Ausgleich für den Preisrückgang gegeben. Ich verstehe nicht, warum das zu Beschwerden führt, zumindest das hat sein Ministerium besser gemacht, als alle Vorgänger der letzten 20 Jahre, das ist eine ordentliche Symbiose aus ökonomischen und ökologischen Lösungen, die man in unserer verkrusteten Bürokratie erst mal hinbekommen muss. Wer sich an Grünen abarbeiten will, wird woanders besser fündig, es ist vollkommen ersichtlich, dass es hier nur um die politische Beschädigung eines Gegners geht, den man vermutlich sehr ernst nimmt – ebenfalls aus Gründen.
Trotzdem: Ich beschäftige mich lieber mit Leistungen, die mehr Wirkung und Bedeutung haben. Das sind in Deutschland systembedingt schon immer die Inhaber des Kanzleramts und des Finanzministeriums. Ich kann nur sehr empfehlen, auf die Inhaber sowie Bewerber für diese Ämter zu achten, wenn man Finanz- und Wirtschaftspolitik sowie beispielsweise Inflation beobachten möchte.
Die Inflationsforschung zur Corona-Krise (zuerst Deflation, dann steile Inflation) ist noch längst nicht abgeschlossen. Die besseren Vermutungen sehen Lieferketten plus folgender Einergiepreisschocks als Ursache, die zu lange oder vielleicht zu starke Nachfragestimulierung durch Finanz- und Geldpolitik als Verstärker. Mag sein. Es gab jedenfalls Druck auf die Notenbanken, die Zinsen anzuheben. Mag richtig gewesen sein. Das Dreisatzökonomiebierdeckelbüchlein von Sinn et al., dessen grandiose Tiefe wir in unserer Medienökonomie bis zum Erbrechen ertragen müssen, gibt nichts anderes her.
Nun kann eine Notenbank eine Ökonomie sehr wohl abwürgen und damit auch die Preise in die Knie zwingen. Das führt seitens Sinn et al. übrigens sofort zu Klageliedern über die schwache Ökonomie. Das „blöde“ an der aktuellen Situation: Es dürfte drei Treiber der Inflation geben: Die Energieimporte (in Dollar), geopolitisch immer noch kritische Lieferketten, Fachkräftemangel. Für Deutschland kommt hinzu, dass sehr viele und leider auch jährlich mehr Haushalte bei den Wohnkosten unter immer eklatanteren Druck kommen. Das ist in unserer Inflationsrate nur teilweise abgebildet, denn Mieten sind strittig gewichtet und Eigenheimkosten sind nicht enthalten.
Schauen wir aber auf die Folgen höherer Zinsen, so können die der Währung Auftrieb geben oder deren Abwertung verhindern, bei den Lieferketten und Fachkräften bestenfalls nichts bewirken, während die Produktion eigener Energie durch die Kapitalkosten verteuert wird und der Immobilienmarkt als direkt funktionierende Maßnahme einfach mal ebenso kurz wie konsequent abgewürgt wird.
Nun sagen diese komplett kontraproduktiven Folgen wenigstens einräumende Experten, wir hätten halt außer Zinserhöhungen nichts. Mag sein, aber vielleicht suchen wir wenigstens mal danach?
Jetzt sehen wir global zwei führende Ökonomien, die parallel Unmengen an Kapital erzeugen und mit sehr moderater Zinspolitik so etwas wie eine Doppelstrategie fahren. Viel mehr Geld, geringfügig teurer. Bisher führte das bei der einen zur Währungsaufwertung, was die andere zur Abwertung nutze, weshalb die eine das aber beenden möchte. Beide bekämpfen sich mit wachsendem Protektionismus. Was diese Kombination aus Kapitalflut, Währungskrieg und Protektionismus an den globalen Währungs- und Handelsmärkten bewirken wird, ist vollkommen unklar.
Klar ist nur, dass wir uns diese Dreisatzrechnungen nicht mehr leisten können und Debatten von selbsternannten Wirtschaftsexperten ohne basale Dreisatzkenntnisse führen uns nicht weiter. Der Weg, den wir ohne bessere Lösung gehen, ist übrigens klar: Es ist der Weg Japans. Wenn uns nichts besseres einfällt, werden wir in dieselbe zähe Erosion kommen, die wir mit einer ebenso zähen Ausweitung der Schulden refinanzieren.
Wenn einer das schon vormacht, kann man zumindest aktiv prüfen, ob man das selbst so machen will, statt hinterher zu stolpern. Zumal unklar ist, ob das für Europa in einer anderen geopolitischen Situation und einem anderen gesellschaftlichen System überhaupt funktionieren kann!