Während ein FAZ-Herausgeber auf Social Media unerträgliche Reichweitenbettelei mit einem noch unerträglicheren Gastbeitrag von Hans-Werner Sinn macht, ist ein großartiges Interview mit einem sehr klugen Mann, Herfried Münkler, untergegangen. Ich schalte es anbei frei, hier nur einige Highlights direkt zitiert:
Wie sehr können wir Deutsche uns dann noch als Teil einer von Amerika geführten Wertegemeinschaft fühlen?
Wir spüren Veränderungen, die für das Selbstverständnis des Westens weitreichende Folgen haben werden. Es ist viel die Rede über das Auseinanderfallen der Welt in rechtsstaatliche Demokratien und autoritäre Autokratien. Trump stellt nun mit seiner Politik die Vereinigten Staaten als demokratischen Rechtsstaat infrage und führt sie immer mehr in die Nähe eines autokratischen Regimes.
Heißt das, Europa muss das Erbe der westlichen Idee schultern und sich als Konkurrent zu Amerika verstehen?
Wertepolitisch wahrscheinlich schon, geopolitisch wohl besser nicht. Da müssen wir weiter hoffen, dass Amerika seinen atomaren Schutzschirm über uns spannt. Man kann auch nur hoffen, dass es sich bei der zweiten Amtszeit Trumps um eine Zwischenphase handelt, nach der Amerika zur alten Politik zurückkehrt.
Der Westen macht aber nicht den Eindruck, als würde er wieder wie früher werden. Nicht nur in Amerika, auch in Europa boomt der Rechtspopulismus. Innen wie außen wachsen die Zweifel an dem einst populären Modell der liberalen Demokratie. Wie konnte es so weit kommen?
Europa war viel zu zögerlich, gegen die illiberalen Demokratien in den eigenen Reihen einzuschreiten, von Ungarn über Italien bis zu den Niederlanden. Man hätte sagen müssen: Wir sind eine Wertegemeinschaft, deshalb schließen wir euch aus. Das geht aber nicht, weil die EU einen Konstruktionsfehler hat: Ein Land kann austreten, aber nicht von der Mehrheit rausgeworfen werden. Die Krise der liberalen Demokratie hat freilich auch damit zu tun, dass ein großer Konjunkturzyklus ausläuft und sich wirtschaftliche Sorgen bei den Menschen aufbauen. Dann kommt schnell der Ruf nach dem starken Mann oder auch der starken Frau.
Finden Sie die Ukrainepolitik des Bundeskanzlers besonnen ?
Er handelt nach dem Motto: zu wenig, zu spät, und gibt das als Besonnenheit aus. Das kann mich nicht überzeugen.
Werden wir in Deutschland insgesamt außenpolitisch gut regiert?
Die deutsche Politik hatte mal strategische Köpfe. Heute hat sie eher versierte Taktiker, deren Zeithorizont bis zum nächsten Wahltag reicht.
Wenn die Idee eines verteidigungsfähigen Europas scheitert – was wäre dann die Option für Deutschland?
Vermutlich die Anlehnung an Amerika, was allerdings mit einem Geschäft verbunden wäre: Ihr haltet den nuklearen Schutzschirm über uns aufgespannt, und dafür unterstützen wir euch im indopazifischen Raum, auch mit militärischer Präsenz. Dafür müssten unsere Streitkräfte ihre Verlegefähigkeit dramatisch steigern. Die Alternative, die ich mir keineswegs wünsche, wäre, dass die deutsche Bevölkerung eine russlandaffine Regierung an die Macht bringt, der transatlantische Westen kollabiert und sich das geostrategische Konzept Russlands durchsetzt: der Eurasismus – also ein geschlossener, wirtschaftlich verbundener Raum von Lissabon bis Wladiwostok, so wie es Putin 2001 im Deutschen Bundestag skizziert hat. Dann hätte der Kreml in Europa das Sagen, nicht nur in Osteuropa, sondern auch in Mittel- und Westeuropa.