Wer noch ausreichend Abstand zu der bewusst verzerrten öffentlichen Maximalerregung hat, kann leicht recherchieren, dass die Parteien jenseits der AfD sich einig waren, eine Fokussierung auf Migration im Wahlkampf zu vermeiden. Mit eben diesem Abstand kann man auch zu der Erkenntnis kommen, dass es von der äußeren bis zur inneren Sicherheit sowie den vielen geopolitischen, ökonomischen und ökologischen Herausforderungen auch gute Gründe dafür gibt, sich – zumindest auch – mal mit anderen Themen zu befassen. Parallel wurden vor und nach dem Bruch der Ampel aber konkrete Maßnahmen diskutiert und abgestimmt. Man mag gerne verschiedene Meinungen haben, ob das eine oder andere Lager eine „Asylwende“ wollte oder nicht, ob das „genug“ ist oder nicht, aber ein „weiter so“ ist bei niemandem festzustellen.
Entsprechend wurde auch konkret gehandelt, von Grenzkontrollen bis zu Abschiebungen und das erfolgte auch auf europäischer Ebene. Auch hier kann man Meinungsbilder haben, ob das „genug“ ist, ob man das mit oder gegen Europa macht, welche Ziele das haben soll, aber dass die Zahlen seitdem sogar sehr schnell nachweislich in Bewegung sind, kann niemand leugnen. In diesem Kontext wurde seit Monaten der Vorschlag der Union fachlich diskutiert. Es gab rechtliche Bedenken, es gab strategische, es gab pro und contra, der Vorschlag ist teilweise Konsens, teilweise nicht, er ist vor allem eher sehr dünn, also so etwas wie ein schneller Wurf. Auch das kann man richtig oder falsch finden, alles Meinungssache.
Klar war, dass es vor der Wahl in der Form keinerlei Sinn macht, das zu vertiefen. Man hatte auf Arbeitsebene gewisse konkrete Maßnahmen abgestimmt, die begannen nachweislich zu wirken, man hatte seine Grenzen ausgelotet, Eilbedarf gab es keinen, die Wahl und die neue Regierung sollten das Mandat haben, in der Sache weiter zu wirken. Es gab und gibt keinen sachlichen Grund, explizit über diesen Stand dieses einen Vorschlags nun konkret weiter zu diskutieren, gar abzustimmen.
Dann kam Aschaffenburg.
Wie in der Union dann die Entscheidung zustande kam, dem Bundestag diese Abstimmung über diesen eigentlich schon veralteten Entwurf aufzuzwingen, wird vielleicht mal Historiker interessieren. Klug finden kann man das eigentlich nur, wenn man dahinter die Strategie vermutet, sowohl in der Union als auch in der Öffentlichkeit eben doch die Kooperation mit der AfD mal zu „sondieren“. Bei allen anderen möglichen Motiven kann man das eigentlich nur fahrlässig bis dumm finden. Zugegeben, meine Bewertung, mit folgender Begründung: Dass der Vorgang sogar unabhängig von seinem Ausgang sehr wahrscheinlich nur der AfD nutzen konnte, auch weil es in der Sache eine reine Symbolmaßnahme war, heißt für mich ein massiv schlechtes Chance/Risiko-Verhältnis bei einem Vorgang, der schon fast an Brandstiftung reicht, weil ebenso klar war, dass damit die Agenda des Wahlkampfs kippen wird.
Warum also die bisherige Fokussierung auf Wirtschaft und Geopolitik opfern und einen Kipppunkt des Wahlkampfs riskieren? Hat sich da tatsächlich jemand total verzockt oder war die Agenda eine andere? Das werden nur wenige wirklich wissen und auch das zeitnahe Verhalten wird keinen Aufschluss liefern, denn die Union wird wie alle anderen noch mehr zur Getriebenen werden. Ob sie das wollte oder nicht mehr kontrolliert, was sie selbst herbeiführte, kann vielleicht sogar nur in späteren Memoiren von heute handelnden Insidern ermittelt werden. Niemand wird in naher Zukunft ehrliche Auskunft über wahre Motive und Überlegungen geben. Die jetzt zu erwartende Dynamik dominiert alles!
Was letzte Woche im Parlament passierte, war eine Tragödie, die dadurch verschärft wurde, dass dem Brandstifter durch zu viele Redebeiträge begegnet wurde, die mit Benzin löschen wollten. Die Empörung mag verständlich sein, aber statt zu erkennen, wie unfassbar wichtig es war, auf die in der Sache zu diesem Zeitpunkt gegenstandslose Zuspitzung und Konfrontation sowie auf die vielen bereits bekannten, seriös zu klärenden Sachmängel des Vorhabens hinzuweisen, wurden Gift und Galle gegeneinander ausgetauscht. Es wurde ferner einer mehr als fraglichen Taktik die eine oder andere Gegentaktik entgegen gesetzt. Alle haben sich in Wahlkampfmodus begeben, gefragt, wie sie kommunikativ profitieren können, es gab zu wenige, die nur einen Fokus hatten: Die Sache gehörte schlicht nicht auf den Tisch, weder so, noch jetzt. Punkt.
Man hat sich mit Abstand betrachtet inzwischen bei fast allen Parteien den Politikstil der AfD aufzwingen lassen. Was damit leider auch klar war: In der Öffentlichkeit musste das Thema nun noch weiter im Dreck versinken. Jetzt wird nur noch diskutiert, wer Massenvergewaltigungen duldet oder verhindern will.
Eine traurige Woche – außer für AfD-Fans und der wohl bewusst wachsenden Zahl derer, die ernsthaft über eine Kooperation nachdenken bzw. diese betreiben.